Stories_Schlaflos #5

Das Hörbuch des Blutes

Vor dem Schlafengehen sollte man nicht zu schwer essen - und sich auf keinen Fall Clive Barkers blutige Kurzgeschichten als Hörbuch reinziehen. Wir haben Sie gewarnt ...    03.11.2006

Hörbücher und -spiele mögen ein Popularitätshoch erleben - von der Machart her sind sie dennoch oft genug Schlaftabletten. Im (Schlaf und Nerven kostenden) Selbstversuch macht sich Reinhard Ebner daher auf die Suche nach Hörkunstwerken, die auch zu fortgeschrittener Stunde garantiert wachhalten.

 

Der Abend davor: Früher war alles besser, die Fische größer, die Gauner kleiner und das Frühstückssemmerl billiger - schon klar. Aber was Clive Barker neuerdings so fabriziert, ist nun wirklich (im übertragenen Sinn) ein Trauerspiel. Romane wie "Coldheart Canyon" sind bloß noch wahnsinnig bemühte Trash-Makulatur. Auch schlechte Filme nach Barker-Stoffen gibt´s zuhauf (löbliche Ausnahme: "Hellraiser"); dafür schrieb der Mann in seiner besten Zeit ausnahmslos saugute Bücher.

Auf meinem Nachtkastl findet sich daher heute abend ein Stilleben für audiovisuell veranlagte Horrorfans: drei CDs mit Geschichten aus dem "Ersten Buch des Blutes", ein glatzerter Schmerzensmann auf dem Cover des dazugehörigen Schubers und der metallische Glanz des Discmans.

 

Hörphase: Erst bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß die CD-Box in Wahrheit nur drei der sechs Erzählungen aus dem ersten "Buch des Blutes" enthält. Daß diese Information verschämt im Kleingedruckten versteckt wurde, das erst sichtbar wird, wenn man die CD entnimmt, ließe sich fast als Etikettenschwindel werten.

Dafür sind die enthaltenen drei Storys umso bemerkenswerter. Gleich die erste füllt den literarischen Topos einer Fundgeschichte, die der fiktiven Authentizität des Geschehens versichern soll, mit völlig neuem Sinn: Ein geltungsbedürftiger junger Mann gibt sich als Medium aus. Die Geister sehen dem unwürdigen Treiben eine Weile zu, ehe sie ihm ein jähes Ende bereiten. Und dann wird die Haut des Mannes zum Pergament, auf dem die Bücher des Blutes verfaßt werden.

Darunter in diesem Fall der auf der zweiten CD nachfolgende "Mitternachts-Fleischzug" sowie "Das Geyatter und Jack".

Mit dem Schauspieler Matthias Koeberlin (ja, der ständig blutende und rotzende Kerl aus dem "Jesus Video") als Sprecher wurde die optimale Wahl getroffen. Der unaufgeregte Plauderton des Mannes könnte nicht stärker mit dem Geschehen kontrastieren - etwa wenn ein Sachbearbeiter auf dem Heimweg hilflos mitansehen muß, wie die Fahrgäste eines gesamten U-Bahnzugs der Reihe nach ausgeweidet und zum Ausbluten an den Haltegriffen aufgehängt werden.

Das Grauen entfaltet sich in diesen Erzählungen ganz von selbst. Da braucht´s nicht auch noch einen hysterisch kreischenden oder asthmatisch schnaufenden Vorleser. Clive Barker gelingt zudem ein Kunststück, das Koeberlin ebenso kongenial ins Hörbuch übersetzt: er verbindet Horror mit Komik. Hier spritzen nicht nur Blut und Hirnmasse, sondern die Geschichten sprühen im selben Maße vor subtilem, groteskem und schwarzem Humor.

Kaum jemand zeigt so überzeugend wie Barker, wie sinnlos letztlich die Unterscheidung zwischen vermeintlich ernsthafter und trivialer Literatur ist. Kaum jemand hält jedoch auch so wirkungsvoll vom Schlaf ab. Wie sollte man auch in Frieden büseln, wenn die Welt da draußen voll ist mit mörderischen Existenzen mit einem Sinn fürs Makabre?

 

REM-Phase: Alpträume haben etwas Kathartisches - ebenso wie das Horrorgenre in all seinen Ausprägungen. In all dem Grausen und Gruseln läßt es sich eine Weile häuslich einrichten. Wo sonst könnte man einem irren Schlächter bei der Arbeit zusehen? Vor allem, wenn man gleichzeitig sein Opfer und damit Gegenstand praktizierter Vivisektion wird ...

Interessiert sehe ich dabei zu, wie der Darm unter der Bauchdecke hervorgezogen und um den angewinkelten Arm gewickelt wird. Die übrigen Organe folgen nach, werden abgewogen, in Kühlbeutel gepackt und mit dem Datum beschriftet. Ich fühle nichts. Bloß als mir der Kerl durch die Brusthöhle in die Kehle faßt, um die Zunge mit einem schnellen Schnitt zu entfernen, ist da so ein kurzes Kitzeln im Hals.

 

Der Morgen danach: Die Hörversion des "Ersten Buchs des Blutes", die in Wahrheit nur die erste Hälfte des ersten Buchs umfaßt, macht Lust auf mehr. Und davon gibt es zwar noch nicht genug, aber immerhin hat man mittlerweile auch das "Zweite Buch des Blutes" in Audio-CD-Form nachgeschoben. Und dann gibt´s ja noch das gute alte Buch. Besonders zu empfehlen: "The Damnation Game" ("Spiel des Verderbens") und "Cabal".

Reinhard Ebner

Clive Barker - Das erste Buch des Blutes

ØØØØØ


Lübbe Audio (Bergisch Gladbach 2006)

 

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