Die rote Olivetti : Ich war der Jesus der achtziger Jahre
- -Aktualisiert am
Die Goldenen Jahre, als Spesen keine Rolle spielten: Helge Timmerberg, Reisender, Journalist und Autor. Bild: privat/Piper Verlag
Der Schriftsteller und Journalist Helge Timmerberg hat ein Buch über sein Leben geschrieben. Ein Trip nach Wien – und in die Vergangenheit des deutschen Journalismus.
Der Schriftsteller und Journalist Helge Timmerberg hat ein Buch über sein Leben geschrieben, von dem man einiges lernen kann. Es zu lesen bedeutet nicht nur, mehrmals um die ganze Welt zu reisen, das war in seinen früheren Geschichten und Büchern auch schon so. Nein, die „Die rote Olivetti: Mein ziemlich wildes Leben zwischen Bielefeld, Havanna und dem Himalaja“ bringt einen darüber hinaus an einen sagenhaften Ort, zu dem keine Airline fliegt: in die Vergangenheit des deutschen Journalismus.
Es müssen im wahrsten Sinn des Wortes goldene Jahre gewesen sein. Dort existieren gut genährte Regionalzeitungen, bei denen mittags Feierabend gemacht wird und in die der junge Timmerberg einfach mal hineinspaziert, weil ihm in Indien eine Stimme befohlen hat, Journalist zu werden. Bald darauf schreibt er für den „Stern“, der unter seinem Chef Henri Nannen doppelt so viele Geschichten produzieren und bezahlen lässt wie später ins Heft kommen. („Es war eines der besten Magazine der Welt, und das Beste waren die Honorare“, so Timmerberg. „Das Zweitbeste am ,Stern‘ waren die Spesen. Sie spielten keine Rolle.“)
Auf den Spuren von Hunter S. Thompson
Die Lektüre von Hunter S. Thompsons „Fear and Loathing in Las Vegas“ legt bei Timmerberg endgültig den Schalter um, er schreibt über das, was er sieht, hört, fühlt, er ist subjektiv und hedonistisch, er tut, was ihm Spaß macht. Für den neu gegründeten deutschen „Playboy“ („Was Männern Spaß macht“) steht er einen Monat auf der Reeperbahn vor einem Striplokal, um Kunden hereinzulocken (vergeblich), für das 1986 ebenfalls neu gegründete Magazin „Tempo“ recherchiert er drei Monate lang eine Reportage über Pornos, fliegt mit Beate Uhse in ihrer Cessna über Norddeutschland und fragt sie zwischen zwei Luftlöchern, was sie dazu sagen würde, wenn ihre drei Enkelinnen vor die Kamera treten wollten. Antwort Uhse: „Natürlich würde ich ihnen dabei helfen, warum denn nicht?“
Es sind die achtziger Jahre, die der 64-jährige Timmerberg wiederauferstehen lässt, „das amerikanische Jahrzehnt“. Ein Jahrzehnt, in dem der Journalismus ichfixierter wurde, aber auch interessanter und anarchischer, eine Zeit, die ohne Computer auskam und in der Printmedien keinerlei Konkurrenz fürchten mussten, wenn es um Anzeigen ging.
Die rote Reiseschreibmaschine, nach der dieses Buch benannt ist, ist sozusagen das technische Emblem dieser prädigitalen Zeit, die auch ihre Schattenseite hatte. Etwa, wenn Timmerberg mit einem schwindenden Honorarvorschuss in Indien sitzend nur hoffen konnte, dass Manuskript und angefügte Rechnung rechtzeitig in der Redaktion eintrafen, bevor er anfing zu hungern. Dazu gab es bald immer weniger Anlass. Die „Bunte“ zahlte Timmerberg für seine bekifft verfassten Boulevardtexte 30 000 Mark im Monat, bis er München nicht mehr aushielt und nach Havanna zog. Dort schrieb er in den neunziger Jahren, im Hotel wohnend, weiter für die „Bunte“ und deutsche Zeitschriften und verdiente extrem gut. Warum er das so detailliert aufschreibt? Er wollte, so Timmerberg in seinem Buch, nicht angeben, sondern „meinen jungen Kollegen der Gegenwart erläutern, was Mitte der Neunzigerjahre im Journalismus möglich war. Ich will, dass sie weinen.“