
Verlag-Kommentar : Bloß kein Dessertwein zur Romanze
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Wasser statt Wein: Lesekreis im Portugiesischen Buchladen in Frankfurt Bild: Patrick Junker
Bei Holtzbrinck hofft man auf Lesezirkel, damit die Leute wieder mehr Bücher kaufen. Die Verlagsgruppe gibt deshalb eifrig Anregungen – die sich aufs Unwesentliche konzentrieren.
Wie stellt sich die Verlagsgruppe Holtzbrinck einen Lesekreis vor? Auf einer gerade freigeschalteten Website lässt sich das nachlesen: „Ein Glas Wein in der Hand, entspannte Musik im Hintergrund, nette Leute und ein Buch. So oder so ähnlich sehen heutzutage Lesekreise, auch Literaturkreise genannt, aus.“ Nette Leute? Entspannte Atmosphäre? Musik im Hintergrund? Ach so, das Buch kommt auch noch vor, ganz zuletzt, schließlich soll es nicht stören bei so viel Gemütlichkeit. Ob die Buchmacher von Holtzbrinck je einen Literaturzirkel besucht haben?
Man braucht jedenfalls Phantasie, um sich unter diesen Prämissen eine Diskussion, sagen wir, über Michael Lentz’ neuen Tausendseiten-Roman vorzustellen, der gerade im Holtzbrinck-Verlag S. Fischer erschienen ist, oder über Angelika Klüssendorfs bei der Holtzbrinck-Tochter Kiepenheuer & Witsch verlegten Roman „Jahre später“. Diese Bücher sind existierenden Lesekreisen ja kein Plauschvorwand, sondern Hauptattraktion, das Gruppenziel ist nicht Harmonie, sondern bestenfalls stürmische Debatte. Vielleicht deshalb der Alkohol. Auch Holtzbrinck empfiehlt sich in seinen „Tipps für Ihren Lesekreis“ nunmehr als Sommelier: „Wein ist ein allseits beliebtes und bekanntes Genussmittel“, heißt es da. „Daher kann er auch gerne in Literaturkreisen serviert werden. Egal, ob es sich um eine romantische Liebesgeschichte oder ein tragisches Gesellschaftsdrama handelt, ein Glas Wein zum Buch passt eigentlich immer“ – ja, es sorgt „für eine gesellige und fröhliche Runde“.
Von schweren Weinen in edlen Flaschen wird allerdings abgeraten. „Probieren Sie es lieber mit einem leichten Wein zum Buch, der auch zu kleinen Snacks überzeugt. Rotweine wie ein Pinot Noir oder Zweigelt eignen sich bestens, oder Sie setzen auf frische Weißweine, die voll im Geschmack sind – wie ein Pinot Grigio oder ein Grüner Veltliner“. Voll im Geschmack dürfen sie sein, die Stimmung des Buches sollen sie jedoch nicht unbedingt wiedergeben, wie der Leitfaden rät: Also keinen lieblichen Wein zur Romanze kredenzen. Was uns erst auf die Idee bringt: bei der nächsten Hemingway-Runde ordentlich Rum zu kippen, Whiskey bei Dylan Thomas auszuschenken und zu Houellebecq Eierlikör. Ein Verleger hat hierzu einmal luzide Berechnungen angestellt, als er das Verhältnis von Alkoholkonsum und gedrucktem Buch in Augenschein nahm: Ein Buch, stellte er fest, verbrauche nicht nur beim Schreiben Alkohol, sondern auch beim Lesen. „Achten Sie beim Kauf auf den auf der Flasche angegebenen Alkoholgehalt“, warnt hingegen Holtzbrinck die Organisatoren der Lesekreise, schließlich gehe es nicht darum, „betrunken zu werden“. Sondern um die Lektüre, also aus Verlagssicht um den Verkauf von Büchern – oder doch eher von Wein? So oder so, beim Lesen wie beim Trinken scheint man dem Rausch nicht zu trauen.
