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Theater : Angriff auf einen Kritiker

  • -Aktualisiert am

F.A.Z.-Kritiker Stadelmaier Bild: F.A.Z.

Gerhard Stadelmaier, Theaterkritiker der F.A.Z., ist von einem Schauspieler angegriffen worden. Dessen Arbeitsverhältnis mit den Städtischen Bühnen Frankfurt wurde beendet. Bericht eines Kritikers, dem die Freiheit genommen wurde, seinem Beruf nachzugehen.

          3 Min.

          Ich hatte mich auf die Premiere gefreut. Und hätte gerne über sie geschrieben. Doch das geht jetzt nicht.

          Statt dessen ist von einem Skandal zu berichten. Ich wurde von einem Schauspieler körperlich genötigt, nach ungefähr zwanzig Minuten das Theater zu verlassen. Dabei rief er mir die schönen deutschen Sätze „Hau ab, du Arsch! Verpiß dich! Beifall für den Kritiker!“ höhnisch nach. Es kam dann tatsächlich tröpfelnder Beifall im Publikum auf. Wiewohl meine Kritikerkollegen sitzen blieben und nicht mit mir den Saal verließen, in dem man soeben auf eklatante Weise einem Kritiker die Freiheit genommen hatte, seinem Beruf nachzugehen.

          Umwerfend realistischer Zug

          Das Schauspiel Frankfurt hatte in der Schmidtstraße 12, seiner Nebenspielstätte, „Das große Massakerspiel. Oder Triumph des Todes“ von Eugene Ionesco angesetzt, Regie führte Sebastian Hartmann. In dem Stück, uraufgeführt 1970 im Schauspiel Düsseldorf, geht es darum, daß in eine wohlgeordnete, reiche, selbstgefällige Welt und Gesellschaft der Tod einbricht und in einem von Ionesco grandios aus- und durchkomponierten Szenenreigen epidemisch durch Salons, Schlafzimmer, Kirchen, Gefängnisse, Kliniken, Literatenstuben, Liebesnester und dergleichen fegt. Und keinen verschont. Das hätte mich schon interessiert: dieses Stück zu sehen, das vor sechsunddreißig Jahren einem sozialliberalen Milieu als fortschrittsfeindlich und reaktionär und irreal galt und das jetzt, ein paar Seuchen und Kriege später, einen umwerfend realistischen Zug offenbart und seine Zukunft womöglich erst noch vor sich hat.

          Thomas Lawinky 2004 auf der Bühne im Schauspiel Hamburg
          Thomas Lawinky 2004 auf der Bühne im Schauspiel Hamburg : Bild: picture-alliance / dpa/dpaweb

          Man spielt in der Frankfurter Schmidtstraße aber nicht Ionescos „Großes Massakerspiel“, sondern offenbar ein Anti-Stück mit dem ungefähren Arbeitstitel „Entgrenzung“ oder auch „Aufhebung des Theaters“ (Ionescos Erben und Rechte-Inhaber sollten sich das ruhig mal anschauen). Schauspieler erbrechen minutenlang Mineralwasser, einer Schwangeren wird das Fruchtwasser abgezapft und dieses dann geschlürft, wobei eine andere Frau zwei Männer, die „Ein Bier!“ verlangt hatten, ausgiebig masturbiert und das Publikum gebeten wird, doch mit den Schauspielern mal rumzuwandern und hinter Wände zu horchen. Dieses Theater will nicht, daß man zuguckt und mitfühlt und sich eine Meinung oder gar eine Haltung bildet. Dieses Theater will auch keine Kritik. Es will, daß man mitmacht.

          Ich gehöre zur Öffentlichkeit

          Ich bin aber nicht im Theater, um mitzumachen. Ich gehöre nicht zum Theater. Ich gehöre zur Öffentlichkeit. Ich bin auch nicht fürs Theater da. Ich bin fürs Publikum da. Wer Kritiker attackiert und beleidigt und anpöbelt, attackiert und beleidigt, bepöbelt das Publikum: die Öffentlichkeit des Theaters.

          Denn als ich über den toten Schwan, den die Schwangere aus ihrem Fruchtwasser hervorpreßte, zu lächeln wagte, sagte der Schauspieler Thomas Lawinky zu einer Mitspielerin: „Der da“ (und da deutete er auf mich) „hat gerade gelacht. Zeig dem mal das Kind.“ Dann legten sie mir den toten Schwan in den Schoß, und Herr Lawinky forderte mich auf: „Schreiben Sie, daß das ein schönes Kind ist, schreiben Sie das. Sie sehen doch so klug aus.“ Auf meine leise gemurmelte Replik: „Sie leider nicht“, riß er mir meinen Kritikerblock brutal aus der Hand, rannte auf die Spielfläche, hob meinen schönen Spiralblock wie eine Trophäe hoch und schrie: „Wollen mal sehen, was der Kerl geschrieben hat.“

          Schreib weiter, Junge

          Er konnte aber meine Notizen nicht verstehen und gab mir den Block zurück mit den Worten: „Schreib weiter, Junge, der Abend wird noch furchtbar.“ Damit sollte er wohl recht behalten. Wie aus Kollegenkreisen zu erfahren war, sollen später noch Schauspieler lange versucht haben, in Wasserflaschen zu urinieren und sich mit Fäkalbrei zu beschmieren. Als ich nach dieser Attacke auf meinen Körper und meine Freiheit, die nichts weniger als die Freiheit der Presse ist, den Saal verlassen wollte, rief er mir, wie gesagt, jenes „Hau ab, du Arsch! Verpiß dich!“ nach.

          Das ist neu. Das hat es im Theater noch nie gegeben. Nie auch habe ich mich in meinem über dreißigjährigen Kritiker-Leben so beschmutzt, erniedrigt, beleidigt gefühlt - und so abgrundtief traurig übers Theater.

          Eine strukturelle Logik

          Man könnte jetzt sagen, hier lief ein Schauspieler Amok. Und er fiel unprofessionell und sozusagen privat aus der Rolle. Das Problem dieses Theaters aber, das die Frankfurter Intendantin Elisabeth Schweeger zu verantworten hat, besteht darin, daß dort Schauspieler keine Rollen spielen - sondern Lebensgefühle. Und da aller Ekel, alle Provokationen, alles Ordinäre, alle Körpersäfte, alle Geschmacklosigkeiten und Ödnisse, alle Grenzüberschreitungen in diesem Lebensgefühlstheater schon durchdekliniert sind und dem leidlich abgestumpften Publikum alles an Zumutungen schon zugemutet wurde, besitzt das Aus-der-Rolle-Fallen Herrn Lawinkys einem Kritiker gegenüber sozusagen eine strukturelle Logik: Das blieb als Provokationsmöglichkeit gerade noch übrig.

          Frau Schweeger, die Intendantin, hat sich am Freitag morgen bei mir telefonisch entschuldigt mit den Worten, sie wolle dafür sorgen, daß diese Attacke gegen mich „in den nächsten Aufführungen nicht wieder passiert“. Schönen Dank auch.

          Siehe auch: Konsequenzen aus dem Theaterskandal.

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