Der falsche Zauber der Wirklichkeit
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„Law of the Journey“ hieß diese Installation Ai Weiweis in der Prager Nationalgalerie Bild: Ullstein
„Faction“ zählt neuerdings mehr als „Fiction“. Was bleibt von der Kunst, wenn die Künstler den Fiktionen nicht mehr trauen und ihre Werke mit Realität aufladen? Ein Einspruch.
In ihrer Nobelpreisrede berichtete die Schriftstellerin Olga Tokarczuk, sie werde oft gefragt, ob das, was sie schreibe, auch wirklich wahr sei. Dass die Leser sich nicht nach den Fiktionen sehnen, die sie als Autorin erfindet, sondern wissen wollen, ob das Geschilderte auch real so passiert sei, deutet Tokarczuk als Indiz dafür, dass es mit der Literatur zu Ende geht. Sie sieht es als zivilisatorischen Rückschritt an, dass dem Fiktionalen kein positiver, existentieller Wert, keine fraglose Geltung mehr zugesprochen, sondern dass es umgekehrt sogar mit Fake News und anderen Formen der Lüge und Manipulation gleichgesetzt wird.
Tokarczuks Beobachtung lässt sich mühelos ergänzen. So sind nicht nur Geschichten, die „bloß“ ausgedacht sind, sondern alle Texte, die sich in ihrer Form als eigene Realität zu behaupten suchen, heutzutage von Geringschätzung bedroht. Daher ist etwa Lyrik sowie all das, was mal experimentelle Literatur hieß, schon länger im Rückzug begriffen. Erst recht findet Ähnliches in der bildenden Kunst statt, lässt sich dort allerdings eher als Krise der Autonomie denn als Krise der Fiktion fassen. Hatten Künstler während der gesamten Moderne vor allem darauf gesetzt, sich über formale Errungenschaften und über kunstspezifische Kategorien wie Komposition, Faktur oder Originalität zu definieren, ist inzwischen vermehrt zu beobachten, dass sie ihren Arbeiten lieber dadurch Gewicht verleihen, dass sie sie mit Stoff aus der realen Welt aufladen.
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