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Umgängliche Gespenster
Zuerst finde ich es großartig und bemerkenswert, wie Max selbst Position bezieht. Das fehlt mir so häufig, denn manchmal habe ich schon Lyriker_innen geradeaus die Kinderfrage gestellt: »Was meinst du damit eigentlich?« und die Antwort fiel ausweichend aus. Das kann viele Gründe haben, oftmals sehe ich darin aber eine gewisse Verantwortungsscheu. Ich begrüße es aber eher, klare Ansagen zu bekommen, zu denen ich wiederum Stellung nehmen kann - denn mir selber meinen Teil denken, das kann ich allein.
Zumal ich so die Gelegenheit geboten bekomme, die Umsetzung der Gedichte vor die Folie ihrer Intention zu halten. Du nennst den Bannspruch, Max, das finde ich spannend. Der Getriebene »josef, iosif, joseph« vollzieht ein Ritual der Austreibung. Das ist tatsächlich ein Akt der Selbstermächtigung und damit vielleicht einer der Rache.
Wenn ich durch die Gedichte lese, stelle ich eine Bewegung fest. Mit den Worten »zu beginn, josef, ist es noch einfach« beginnt A.H.A.S.V.E.R., zwischendurch heißt es »wer deutet deine träume, josef / liest deine zeichen, nebukadnezar?« und der Zyklus endet auf »josef, cartaphilos, malchus, bottadio / ewig wandernde seid ihr geworden« und spielt dabei die kulturhistorischen Beinamens Ahasvers an. Das Subjekt der neun Gedichte wird erst in Frage gestellt und wird zum Schluss in Individuationen zersplittert. Es fällt mir schwer, diese Bewegung als Rachefeldzug zu deuten und noch schwerer darin die Konstruktion einer Welt aus Sprache auszumachen oder, wie Martin das ausdrückt, die Verschreibung auf eine Sache hin.
Ich habe meine Kritik an Max' Debütband neu gelesen und muss ironischer Weise zugeben, dass das, was ich darin als Schwäche interpretiert habe, in meinen Augen die Stärke von A.H.A.S.V.E.R. ausmacht. Um die Inglourious Basterds-Referenz aufzunehmen: Josef ist in meinen Augen kein Bear Jew, der mit baseball bat bewaffnet Schädel einschlägt. Nicht in erster, zweiter oder letzter Instanz. Dazu ist er zu unbestimmbar und zum Schluss zu viele verschiedene Individuationen seines ihm zugeschriebenen Selbsts.
Was er aber ist, oder sie sind: Ein hantologisches Echo. Ein Gespenst, das umgeht und mit dem vielleicht eine Drohung einhergeht. Dass diese allerdings nicht offen ausgesprochen, sondern im Gegenteil offen gelassen wird, finde ich an A.H.A.S.V.E.R. umso überzeugender.
Aber vielleicht begegnen wir drei uns damit auf unseren Wanderungen genau hier?