Im Gespräch: Florian Keisinger mit dem »Büroübersetzer« Gerd Busse
Am 6. Oktober erscheint im Verbrecher Verlag der siebte und letzte Band der grandiosen Romanserie Das Büro aus der Feder des niederländischen Autors J.J. Voskuil. In den Niederlanden avancierten die „Büro“-Bücher in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu Bestsellern. Und auch in Deutschland erreicht die Geschichte des wissenschaftlichen Beamten Maarten Koning, der sich tagtäglich im Amsterdamer Institut für Volkskunde mit den Widrigkeiten des Arbeitslebens sowie den Launen seiner mehr oder weniger skurrilen Kolleginnen und Kollegen auseinandersetzen muss, eine treue Leserschaft.
Anlässlich der Veröffentlichung des finalen Bandes der Büro-Serie hat sich Florian Keisinger, der die ersten sechs Bände des Büros für uns besprochen hat, mit dem Übersetzer Gerd Busse unterhalten.
Florian Keisinger: Herr Busse, 7 Bände Das Büro, gut 5.000 Seiten, allesamt von Ihnen übersetzt. Erleichtert?
Gerd Busse: Wie man’s nimmt. Wenn man sich zwanzig Jahre mit solch einem Mammutwerk beschäftigt hat und dann plötzlich fertig ist, macht man natürlich gewisse Entzugserscheinungen durch: Man fühlt sich ein bisschen wie Maarten Koning nach seiner Pensionierung. Aber ich bin natürlich erleichtert, dass wir es geschafft haben, den Roman nach all den Schwierigkeiten – der jahrelangen, mühsamen Suche nach einem deutschen Verlag, der Finanzierung der Übersetzung und der Werbung für den Roman bei den Lesern und im Buchhandel – zu einem glücklichen Abschluss zu bringen. Und dass das gelungen ist, ist vor allem dem mutigen Verleger Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag) und seinem Team, und hier insbesondere meinen beiden Lektoren Kristina Wengorz und Ulrich Faure, zu verdanken, die keinen Stein auf dem anderen gelassen haben, um den Text „zum Sprechen“ zu bringen. Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar.
FK: Der Roman ist eine liebevolle Satire auf den Wissenschaftsbetrieb, mit zahlreichen zumeist sehr eigenwilligen Charakteren. Und er zeichnet obendrein ein feines Bild der niederländischen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da galt es viel unter einen Hut zu bringen. Was waren die größten Herausforderungen beim Übersetzen?
GB: Eine Herausforderung war die außerordentliche Schlichtheit des Voskuilschen Stils, den einmal jemand mit der schönen Wendung „Prosa nach dem Bildersturm“ umschrieben hat. Es hat mich oft ein wenig Überwindung gekostet, seine Sprache nicht hier und da etwas aufzuhübschen. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass es einen nicht unerheblichen Teil der Magie des Textes ausmacht, wenn Maarten ständig „irritiert“ ist, eine Sonne „vage“ am Himmel steht oder sein Gegenüber „ein hysterisches Gesicht“ (statt einen hysterischen Gesichtsausdruck) hat. Mit anderen Worten: Das Schwierigste an dem gesamten Projekt war es, einfach nur zu übersetzen, was dort stand, und die Finger von stilistischen „Verbesserungen“ zu lassen.
FK: Der Autor J.J. Voskuil hatte ein präzises Gefühl für Sprachbesonderheiten. Der Duktus der 1950er war ein anderer als in den 1970ern. Wie sind Sie damit umgegangen?
GB: Die Sprache entwickelt sich in der Tat mit den handelnden Personen in ihrer Zeit. Meist war das kein Problem, weil Voskuil selbst ein gutes Gespür für die zeitliche Gebundenheit der „Bürosprache“ hatte, so dass bei ihm etwa in den 1950er Jahren noch nicht von „Projekten“ die Rede ist, und die „Evaluation“ des „Managements“ wie auch des „Outputs“ des wissenschaftlichen Personals erst in den späten 1970ern einsetzt. Meine Lektoren und ich haben streng darauf geachtet, keine sprachlichen Anachronismen zu produzieren, und lieber einmal zu viel als zu wenig recherchiert.
FK: Erinnern Sie sich an die eine oder andere knifflige Situation?
GB: Ein Wort hat mir und meinem Lektor Ulli Faure tatsächlich einiges an Kopfzerbrechen bereitet. Dies betrifft das häufiger in Het Bureau anzutreffende niederländische Wort mieters, ein schon fast vergessenes Wort, das durch Het Bureau jedoch eine Renaissance im Niederländischen erlebt hat. Das Wort mieters stammt aus den 1920er oder 30er Jahren, bedeutet so viel wie „toll“, hat aber eine sexuelle Konnotation (weil es von „Sodomitismus“ abgeleitet ist). Im Deutschen würde das Wort „geil“ dem entsprechen, doch es wäre undenkbar, dass Maarten und Nicolien, deren calvinistischer Hintergrund ihnen selbst ein unschuldiges „Scheiße“ schon sehr schwermacht, etwas „geil“ finden würden. Ich habe mich schließlich dafür entschieden, mieters (nicht immer, aber doch regelmäßig) mit „scharf“ zu übersetzen, um die sexuelle Konnotation zu retten. So richtig zufrieden bin ich damit aber nicht.
FK: Sie kannten Voskuil, der 2008 verstorben ist, persönlich. Wie viel Voskuil steckt eigentlich in Maarten Koning, dem Protagonisten von Das Büro?
GB: Voskuil war in vielem so, wie ihn die Leser von Das Büro in seinem Alter Ego Maarten Koning kennengelernt haben: ein netter, bescheidener und unkomplizierter Mensch, der sagte, was er dachte, aber der sich gern auch mal ein gutes Gegenargument anhörte. Ich habe bereits 2000 oder 2001, also lange, bevor ein deutscher Verlag in Sicht war und um den richtigen „Sound“ zu finden, angefangen, Teile aus dem ersten Band des Romans zu übersetzen und bei meinen Besuchen in Amsterdam mit dem Autor zu besprechen. Es war immer ein großes Vergnügen, mit ihm an dem Text zu arbeiten – und mir von ihm dann etwa vormachen zu lassen, wie Beerta sprach oder wie sich das „Hö, hö“ von Vanhamme anhörte. Aber das Schönste an so einem Besuch war, dass man dann mitten in der Romankulisse saß: im Wohnzimmer von Maarten und Nicolien Koning, dem Ort zahlloser Gespräche, Dramen und Gefühlsausbrüche, die in Das Büro ja so eindringlich beschrieben werden.
FK: Im Grunde ist Das Büro ein gewaltiges Egodokument. Und damit nahe am aktuellen literarischen Zeitgeist und an Büchern wie "Min Kamp" von Karl Ove Knausgård, die ein Welterfolg sind. Wo Knausgård sich allerdings literarisch entblößt und alles nach außen kehrt, hat man bei Maarten den Eindruck, er würde sich am liebsten selbst auflösen.
GB: Ich habe es nie so richtig verstanden, warum Das Büro immer mit Knausgårds Min kamp oder dem Erzlangeweiler Marcel Proust und seiner Suche nach der verlorenen Zeit verglichen wird. Wenn man den Roman schon mit einem anderen Romanprojekt vergleichen will, dann, finde ich, kommt die sogenannte „Martin-Schlosser-Reihe“ von Gerhard Henschel – der siebte Band, Arbeiterroman, ist gerade bei Hoffmann und Campe erschienen – dem Voskuilschen Epos am nächsten. Beide Romane weisen eine Menge Parallelen auf: den knappen, schlichten Erzählstil und den Witz, die selbstironische Distanz, mit der die Autoren das Leben der Hauptperson, ihres Alter Egos, schildern, der genaue Blick für menschliche Beziehungen und die Dialoglastigkeit – die Hauptprotagonisten, Maarten Koning und Martin Schlosser, tragen sogar denselben Vornamen! Der Martin-Schlosser-Zyklus ist übrigens auch ein guter Tipp für all jene Leser, die sich verzweifelt fragen, was sie denn nun lesen sollen, wenn sie mit dem Büro einmal fertig sind. Mir hat Gerhard Henschel jedenfalls sehr dabei geholfen, die schlimmsten Entzugserscheinungen zu überstehen.
FK: Es gibt einen Charakter, der mich beim Lesen wiederholt an den Rand des Wahnsinns getrieben hat: Maartens Frau Nicolien! Ich hätte sie wegen ihrer Kompromisslosigkeit und kategorischen Ablehnung jeglicher Form von Ambition bisweilen gerne geschüttelt und ein Stück weit ins "echte Leben" geholt. Ging es Ihnen ähnlich?
GB: Nein, gar nicht! Nicolien – die im wahren Leben, als Lousje Voskuil, übrigens eine sehr charmante und gastfreundliche Dame ist, die mit beiden Beinen fest im Leben steht – ist ein wichtiges Gegengewicht im Leben des wissenschaftlichen Beamten Maarten Koning. Sie ist es, die ihn immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringt und ihn an seine einstigen Ideale erinnert. Und seien wir doch mal ehrlich: Was wäre Das Büro, wenn Nicolien sich unseren traurigen Helden nicht regelmäßig zur Brust nehmen und ihn stattdessen betüddeln und um sein aufreibendes Büroleben bedauern würde? Das wäre doch höchst langweilig, oder?
FK: Nur wenige Menschen haben Maarten in den letzten Jahren so gut kennengelernt wie Sie. Darf man sich ihn trotz allem als einen glücklichen Menschen vorstellen?
GB: Wohl nicht als einen glücklichen Menschen, aber als einen Menschen, der offen für die kleinen Glücksmomente im Leben ist – eine Begegnung auf der Straße, der tiefe Himmel über der niederländischen Polderlandschaft oder ein Kindheitserlebnis –, und der versucht, die Erinnerung daran festzuhalten. In diesem Sinne ist Das Büro also durchaus auch eine „Suche nach der verlorenen Zeit“.
Wir danken Gerd Busse und Florian Keisinger für das Gespräch!
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