Kolumne

Zum Tod von Günter Kunert (1929-2019)

Erzähler, Katzenliebhaber und Sammler

In einem seiner frühesten Gedichte, „Über einige Davongekommene“, hatte Günter Kunert das zerstörte Nachkriegsdeutschland vor Augen:

„Als der Mensch / unter den Trümmern / seines / bombardierten Hauses / hervorgezogen wurde, / schüttelte er sich / und sagte:/ Nie wieder. // Jedenfalls nicht gleich.“

Zugleich ist in diesem Gedicht ein für Günter Kunert charakteristisches Spannungsverhältnis zwischen Hoffnung und Ernüchterung angelegt. Die Skepsis sollte hingegen in Kunerts weiteren Schaffensjahren mehr und mehr die Oberhand erhalten.

Der am 6. März 1929 in Berlin geborene Schriftsteller Günter Kunert hatte das Berlin der Nazizeit mehr oder weniger in ständiger Gefahr überstanden. Als sogenannter „Halbjude“ war er wegen „Wehrunwürdigkeit“ vom Kriegsdienst in der Deutschen Wehrmacht ausgemustert worden. Zugleich mußte er miterleben, wie die Angehörigen seiner jüdischen Mutter in Konzentrationslagern verschwanden und nicht mehr zurückkehrten. Die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus, Krieg und das Elend der Nachkriegszeit hoffte Kunert, wie viele andere Überlebende dieser Zeit, im Aufbau eines neuen, sozialistischen Deutschlands endgültig zu überwinden. Bereits 1948 war Günter Kunert daher der SED beigetreten.

Als junger Mann hatte er in Ostberlin den damaligen DDR-Kulturminister und Dichter Johannes R. Becher kennengelernt, der das Erscheinen seines ersten Büchleins „Wegschilder und Mauerinschriften“(1950) förderte. Die Bekanntschaft mit Bertolt Brecht ermunterte ihn zum Weiterschreiben. Den jungen Lyriker beeindruckte Brechts lakonische Schreibweise in dessen späten Gedichten wie etwa den „Buckower Elegien“.

Kunerts politische Ernüchterung in der DDR ließ indessen nicht lange auf sich warten. Bald hatte er durch ungeschminkte Kritik der Verhältnisse das Mißtrauen der Kulturfunktionäre auf sich gelenkt. Zugleich gelang es Kunert bereits seit den 1960er Jahren, seine Bücher auch in der ehemaligen Bundesrepublik zu veröffentlichen.

Die Ausbürgerung des kritischen Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR im November 1976 hatte Günter Kunert zusammen mit anderen Schriftstellern der DDR wie etwa Stephan Hermlin, Jurek Becker, Stefan Heym und Christa Wolf in einem offenen Schreiben an die Staatsführung kritisiert. Wie viele andere Künstler, Schauspieler und Schriftsteller der DDR verlegte auch Günter Kunert in Folge der kulturpolitischen Verschärfung 1979 seinen Wohnsitz in die Bundesrepublik.

In eindrucksvoller Weise bilden seine Erinnerungen „Erwachsenenspiele“(1997) Kindheitserinnerungen ebenso ab wie die erlebten Jahre in der DDR und die Zwänge ihrer bürokratischen Unterdrückung. „Erwachsenenspiele“ stellt bis heute ein zeitloses Dokument der deutschen Teilung aus der Sicht eines kritischen Zeitgenossen dar.

Auch in der Bundesrepublik blieb Günter Kunert ein kritischer Zeitgenosse. Er erhob sein Wort in der Öffentlichkeit, wenn er kraft seiner Lebenserfahrung Fehleinschätzungen beim Namen nennen wollte. In besonderer Weise wandte er sich gegen jegliche Schönfärberei der DDR, deren Diktatur er leidlich erfahren hatte. Angesichts der planetaren ökologischen Katastrophe bezweifelte er als „heiterer Melancholiker“, daß eine Korrektur der „schiefen Ebene“, auf welcher er die Menschheit angesiedelt sah, möglich sei.

Günter Kunert war einer der produktivsten deutschen Autoren mit nahezu sechzig Veröffentlichungen. Neben Gedichtbänden, Erzählungen und zwei Romanen legte Kunert auch etliche Hörspiele, Features und Filmdrehbücher vor. Sein umfangreiches Werk war mit internationaler Anerkennung und zahlreichen Preisen bedacht worden. Daneben verblüffte Günter Kunert mit seiner umfassenden Belesenheit. Stellvertretend in seiner Sammlung „Das letzte Wort hat keiner“ (2009) äußerte er sich in verschiedenen Beiträgen und Einwürfen über Schriftstellerkollegen und die Herausforderung der Schriftstellerei, wobei auch hier das für ihn typische Wechselspiel tiefer Nachdenklichkeit mit psychologischer Einfühlsamkeit zum Vorschein kommt. Mit feiner Ironie hatte er die menschlichen Schwächen nicht zuletzt bei sich selbst ausgemacht.   

In einem ehemaligen Schulhaus in Kaisborstel bei Itzehoe hatte Günter Kunert zusammen mit seiner Frau Marianne als notorischer Katzenliebhaber auch für seine Sammlungen etwa von Blechspielzeug über genügend Raum verfügt. Zudem war Günter Kunert als Maler, Graphiker und Zeichner in Erscheinung getreten und hatte sich mit einer charakteristischen Bildwelt etablieren können. Am 21. September 2019 ist Günter Kunert im Alter von 90 Jahren in Kaisborstel an einer Lungenentzündung verstorben.

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