Dichtertotenbriefe

Briefe an D wie Duras

Elke Engelhardt schreibt an Marguerite Duras

Verehrte Marguerite,

Vielleicht ist es eine Art Festschreibung, hier zu sitzen, mit den Geräuschen von draußen, die wie Wellen an mein Ohr branden, nicht als Sätze erkennbar, nur als menschliche Stimmen, und dabei an die Schönheit Ihres zerstörten Gesichts zu denken, mir vorzustellen wie jede Spur der Zerstörung in Ihrem Gesicht zu einem Wort wird, zu einem Satz, bis schließlich ein Brief entsteht, den ich weniger schreibe, als dass ich ihn Ihnen zu verdanken habe. Weil ich nichts anderes tue, als Ihr Gesicht zu entziffern. In immer neuen Versuchen.

Natürlich habe ich versucht, zu schreiben wie Sie. Sie nachzuahmen. Aber immer wieder, bei jeder Lektüre, hat es Momente gegeben, in denen es ganz still wurde in mir. Alles kam zur Ruhe und Ihre Sätze wurden zu einem Teil der Zerstörung in mir. Zerstörten den Ehrgeiz, die Flüchtigkeit, die vielen kleinen Routinen, mit denen ich der Einsicht in die eigene Bedeutungslosigkeit entgehen wollte. Ihre Sätze zu lesen, war immer wieder eine Erlösung von den falschen Gewissheiten. Eine Versöhnung mit dem Zweifel. Denn Zweifel, das haben Sie geschrieben, „ist das Schreiben“. Die Möglichkeit alles zu verwandeln, in Liebe, in Schönheit. In etwas, das wirklicher ist, als wir selbst.

Wenn ich Bilder von Ihnen sehe, nicht die aus Indochina und nicht die aus der Nachkriegszeit, sondern Bilder von Ihnen mit Yann Andrea, Bilder von Ihnen in Trouville, Bilder aus den 80er und 90er Jahren, wenn ich Ihr zerstörtes Gesicht betrachte, denke ich an diesen Satz: „Ich habe ein zerstörtes Gesicht“ und wundere mich nicht, dass so viel Schönheit in der Zerstörung liegen kann. Wenn ich schreibe, schreibe ich an Ihr zerstörtes Gesicht. Der Satz über das zerstörte Gesicht und das langsame Sterben der Fliege, sind untrennbar mit Ihnen verbunden. Aber das sind nur Bilder für den unbeschreiblichen Rest. Für das, was unzerstörbar ist. Ihr Schreiben. Ihre Bücher. Die Sätze, Frauen und Geschichten. Der Mekong. Die Mutter. Der Bruder. Der Liebhaber.

Weil Ihre Sätze nicht nur schön sind, sondern ohne Alter. Zeitlos. Vielleicht sogar körperlos. Denn egal wovon Sie geschrieben haben, Sie schrieben immer von der Liebe.

Der sehr schwierigen Liebe zu Ihrer Mutter, und der nicht weniger schwierigen Liebe zu den Männern. Später. Bis zuletzt.

Alter, Liebe, Mutter. Das ist, was ich in Ihren Worten lese. Immer wieder. Immer anders.

Vielleicht ist die Liebe ganz einfach. Vielleicht ist sie der größte Schmerz. Davon handeln Ihre Bücher. Das steht in Ihrem zerstörten Gesicht.

Eine Aufwartung des Schicksals.

Ich habe alles, was ich bekommen konnte, von Ihnen gelesen, ohne jemals das Gefühl zu haben, Sie jetzt zu kennen, mehr von Ihnen zu wissen, als man erkennen kann, wenn man ihr zerstörtes Gesicht ansieht. So ist das wohl, wenn man liebt. Man beginnt zu sehen, was unter der Oberfläche liegt, unter dem zerstörten Gesicht und jenseits des Todes der Fliege.

Vielleicht sollten wir vom Alkohol sprechen, von der Angst, zu versagen. Davor, dass die Einsamkeit ein Gewicht bekommen kann, das alles andere unter sich begräbt; die Worte, die Bilder. Sogar die Liebe. Und dann ist da der Wein, der Whisky. Eine Möglichkeit es auszuhalten. Weiter zu machen.

Kein Rausch. Nur der verzweifelte Versuch einer Besänftigung.

Ich weiß nicht, wovon ich rede, und weiß es doch. Als ich neun Jahre alt war, leerte ich die Schnapsflaschen meiner Mutter und füllte sie mit Wasser auf. Sie wehrte sich nicht. Sie weinte nicht. Sie hatte ein zerstörtes Gesicht.

Es ist ein großes Fehlen, das alles zusammen hält.

Das die Jahrzehnte überdauernde Gefühl, nicht am richtigen Platz zu sein. Stattdessen gefangen im Dazwischen, im Warten, im Falschen.

Und ihre Bücher. Die Kompromisslosigkeit Ihres Schreibens. Und Ihrer Einsamkeit.

Eitelkeit und Haschen nach Wind.

Der Trost, der bei Ihnen kein Widerspruch ist, kein Trotzdem, sondern Bestandteil von allem was ist, von dem, was wir schreiben können und dem, was für immer unsagbar bleibt.

Ihre
Elke

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