Briefe an N wie Neruda
von: Natalia Carvajal (nataliacarvajal@live.de)
Gesendet: Freitag, 12.Juli 2013 22:40:53
an: Pablo Neruda (neftalireyes@live.cl)
NEFTALÌ,
ein junger, deutscher Dichter führt mich in die südliche Hemisphäre zurück und dankbar bin ich für diesen Umweg in Strompostzeiten. In einer Sekunde wirst du erhalten, was ich Dir –dem lateinamerikanischen Dichtergott – in Stunden erzählen könnte.
Wir entstammen derselben Erde. Nur: Ich bin die Topfpflanze am Rande jeder Fensterbank, Du, ewiglich verwurzelter Baum. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, der Historizität verbinden uns nach Generationen.Für Huidobro warst du ein junger Dichter aus der chilenischen Provinz, niederer Herkunft, wie du in deinen Bekenntnissen berichtest.Bolaño entzog dir seine Zuneigung und sprach anhand unseres Antipoeten Parra zu dir: Chiles vier bedeutende Poeten / sind drei / Alonso de Ercilla und Rubén Dario.Kaum wirst du es fassen: Nicanor, mit seinen schnippischen 99 Jahren, hat dich physisch ohne Literaturnobelpreis überlebt. Gabriela Mistral, die erste lateinamerikanische Dichterin, die diesen Preis erhielt, ist heute fast unbekannt. Schon ihr Geburtsland wusste nie sie rechtzeitig zu würdigen.Sie starb einsam wie ihre verzweifelten Freunde Lotte und Stefan Zweig.Und ich frage dich, was wäre ich für dich ? Exilprodukt schwarzer Jahrzehnte, europäisiert, gar deutsch ? Keine Antwort wird kommen. Beneidenswerte Bayern.Am Rande von Woanders wandere ich weiter.Der Vers bietet mir einigen Halt.Er ist beständige Heimat.Er ließ mich heimkehren ins unbewusst Bekannte: Chiles Steine, Ozeanküsten, Nächte, Früchte, Vulkane, Regenwälder in mitten von grauen Plattenbauten und meiner Alltagsbegleiterin Pique Dame.
Wir entkamen. Im Gepäck eine dritte Auflage deiner gesammelten Werke, Editorial Losada, Buenos Aires 1968. Meine Hoffnung beruhte immer auf den Gedanken der Wiederkehr seitdem mir das erste, südliche Wort gewaltsam entrissen wurde. Mit frühkindlich erlernten, nordischen Worten verfolge ich es noch. Man versprach mir, ich würde eine neue Sprache erlernen; die Sprache der anderen Heimat in der mein Brief an dich verfasst ist. Und jene Nichtverortung eröffnet alte, neue Fragen.
Derart frage ich, könnt´ ich es tun: Was soll Dichtung heute? Du sagtest einmal, Dichtung sei Aufstand. Einst gab es sehr klare schwarz-weiß Bilder. Unsere Zeit hingegen wird von komplexglobal-neoliberalen Wirtschaftsinteressen regiert, welche die letzten Naturressourcen Lateinamerikas und der Welt plündern. Ich denke, Politik und Dichtung sind nicht unmittelbar miteinander verbunden, dennoch ist es insbesondere lateinamerikanische Tradition.
Ich glaube, es bedarf gebündelter Einzelstimmen, geistiger Waffen, die in einem Gesang die Unabhängigkeit und Notwendigkeit von Gedichten für Menschen, die nicht Marionetten kommerzieller Interessen sein wollen, vehement verteidigen, denn Lyrik ist heut die Sklavin im Literaturbetrieb; Luxusgut oder Verbannte ins Exil „Non-Profitable“. Sie wird zerrieben von einer Maschinerie selbstbezogener Fachanwälte der Sprache und ihrer entsprechenden Werbe-und Marketingverwalter. Nur wenige Couragierte widerstehen noch, gründen Kleinverlage oder bewahren ihre Literaturzeitschrift, obgleich es fast unmöglich in einer globalen Wirtschaftskrise geworden ist. Was bleibt einer Dichterin ?
Dein Buch der Fragen ist mir eine Art Bibel geworden. Ich kann es hören, das merkwürdige Land, welches den Namen eines heimischen, schwarzen Vogels mit gelben Flügelfedern trägt. Einen Namen der Ur-Lyriker, geformt im Klanglaut des indigenen Mapuche-Volkes, dessen wertvolle Kultur transnationalen Großkonzernen weichen muss. Wer ließ dies zu ? Wer zerstört seine eigenen Schätze ?
Fremd ist mir ein Hochgejubel auf Personen oder Nationen. Zu oft vernahm ich die drei Mal Hochs zwischen Asbestbauten. Jedoch nicht unerheblich ist, im Jahre deiner Exhumierung-auch wenn es niemals möglich sein wird, Gift in deinen Gebeinen nach 40 Jahren nachzuweisen-,ob ein Dichter an Gram starb oder ermordet wurde, denn wir leben weiterhin mit hoher, extremistischer Gewalt. Dem 11.September 1973 folgte ein fataler nine eleven. Pablo, könntest du diese Welt sehen: religiöse Intoleranz, erbärmlich ertrinkende, verarmte Menschen vor Küsten der Hochzivilisationen und dein geliebter Süden schon längst nicht mehr das Land im Nebel der Vulkane. Globales Unrecht. Die Natur stirbt unaufhaltsam vor unseren Augen. Sie kommt nicht zu Atem. Ist es dennoch wahr, dass Hoffnungen, mit Tau getränkt, gedeihen? Anbei sende ich dir ein Gedicht. Ob du mir Post aus deiner Welt zusenden magst ?
NATALIA
Séparée-N00b
warum auf blaue engel hoffen, deren flügel schon längst
verkohlt auf uns gefallen ?
schwarze heroldasche streuten sie auf blätter im irrenhaus der welt
mit richtersprüchen übers andere und fragen nach wettergarantien+kurzurlaub
geschäftig im bankestablishment
kein schöner land in dieser zeit
als hier das unsre weit und breit
kein schöner land nicht mehr,
kein vater,mutter,kind
im namen der demokratie:
das letzte gold aus San Miguel
der letzte ureinwohner
die letzte araukarie
lol1 ist sprechen heut´
politiker viagra lachen und pferdefleisch fürs volk
wo seid Ihr engel,götter,horen?
phantasien
im letzten game
starb
liebe:ild2
und gott nicht gütig lächelnd
am ende:kp3
und herzen ohne bugs
bewegte ein wort mehr als küsse?
ich flog einmal nur
es stirbt sich leichter viele male la petite mort
Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben