Eingekreist

Kochkunst

Wenn meine katholische Freundin am Herd steht, weiß ich vorher immer, daß sie dort alles falsch macht, auch wenn es hinterher hervorragend schmeckt. Also ging ich mal wieder in die Küche, um in die Töpfe zu sehen. Diesmal stand auf dem Herd eine Pfanne, in der sich verschiedene Sorten Gemüse und Hähnchenfleisch geschmacklich verbinden sollten. Meine Freundin goß Wasser hinein, es zischte und ich dachte mir, ob sie nicht ein bißchen zuviel Wasser in die Pfanne gegossen hat. Und das gab ich ihr dann auch zu bedenken. Wenn nämlich zuviel Wasser reingegossen werde, erklärte ich ihr, koche es niemals mehr rechtzeitig wieder heraus. Und dann sei die Soße am Ende zu dünnflüssig. Und dünnflüssige Soße, sie wisse doch, dünnflüssige Soße könne ich nun überhaupt nicht leiden. Meine Freundin rührte mit dem Kochlöffel in der Pfanne und richtete ihn dann unvermittelt gegen mich. Sie stellte die leicht zu beantwortende Frage, ob ich kochen würde oder sie? Ich antwortete ihr, daß offenkundig sie koche, es doch aber nicht schlimm sein könne, wenn ich …worauf meine Freundin sich jedes weitere Wort von mir verbat. Hinter mir verschloß sich die Küchentür. Ich bin es zwar gewöhnt, auch dann noch einen guten Rat zu geben, wenn er nicht gefragt ist, doch ein weiteres Eingreifen ins Kochgeschehen wurde mir durch die Androhung von Konsequenzen verwehrt. Eine dieser Konsequenzen wäre gewesen, daß ich an diesem Abend hungrig geblieben wäre. Die anderen Konsequenzen hätten sich über die nächsten Wochen erstreckt.

Nun sollte man nicht annehmen, daß bei uns nur meine katholische Freundin kocht. Es gibt ein paar wenige Gerichte, die ich lange geübt habe und deshalb problemlos kochen kann. Dazu gehört Pasta in Tomatensugo oder gefüllte Auberginen. Ich finde es nämlich gut, wenn Gerichte eine eindeutige Bezeichnung haben und ein klar umrissenes Geschmacksprofil. Diese Eindeutigkeit lassen die Gerichte meiner Freundin oft vermissen. Sie macht aus dem, was vorrätig ist, irgendein exotisches Gericht, ohne es klar zu kategorisieren. Wenn ich skeptisch gucke, sagt sie, ich sei wie meine Oma, nur jünger. Aber das ist falsch. Oma akzeptiert nur die Kategorie „deutsche Küche“. Also keine Pasta in Tomatensugo. Es heißt Nudeln mit Tomatensoße und es schmeckt auch so. Die Tomatensoße besteht aus einer Mehlschwitze, in die Tomatenmark hineingegeben und dann mit Salz und Pfeffer verfeinert wird. Das Ganze ein paar Minuten leicht köcheln lassen und fertig ist die deutscheste aller Tomatensoßen. Adolf Hitler hätte sich die Finger danach geleckt. Kein Oregano, kein Olivenöl, niemals Knoblauch. Knoblauch ist der Russe unter den Zutaten. Der kommt ihr nicht ins Haus. Vermutlich hat gerade diese Ablehnung des Knoblauchs bei mir später zu einer etwas unkritischen Knoblauchbegeisterung geführt. 

Salzkartoffeln als eherne Grundlage eines jeden Gerichts mag meine Oma am liebsten. Es gibt die historische Anekdote, Mussolini habe, um die Natur des Italieners zu kräftigen und ihn schlagkräftiger werden zu lassen, die Nudel durch die Kartoffel ersetzen wollen. Im Umkehrschluß läßt sich sagen, hat der Siegeszug der Nudel in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg viel zur Befriedigung und somit zur Befriedung dieses Landstrichs beigetragen. Und an meiner Oma läßt sich beobachten, was ein über Jahrzehnte hinweg betriebener Kartoffelverzehr im Grunde anrichtet. Sie ist jähzornig und streitsüchtig, und man kann froh sein, daß der Einfluß meiner Oma inzwischen auf ihre Wohnung beschränkt bleibt. Nur ihre Telefonanrufe erinnern noch etwas an den spätantiken Hunneneinfall. Diese Telefonate dauern mindestens eine Stunde, in der sie ununterbrochen auf mich einredet. Soviel Kraft entfaltet man nur, wenn man zu Mittag mal wieder einen Berg Salzkartoffeln verdrückt hat. Zu ihrem Leidwesen gehöre ich der verweichlichten Nudelgeneration an und habe vor einigen Jahren sogar italienische Pastateller erworben, die meine Wehrtauglichkeit noch weiter herabgesetzt haben. „Pasta, Pasta“, rief meine Oma  am Telefon, als ich den Fehler begangen hatte, ihr von diesem Kauf zu berichten, wenn sie dieses Wort schon höre, sie kenne nur Zahnpasta. Früher habe man Italiener übrigens Spaghettifresser genannt. Nach jenem Anruf, dem ich nichts entgegenzusetzen hatte, außer einer kleinen Portion Tagliatelle zu Mittag, mußte ich mich, entkräftet wie ich war, erst mal eine halbe Stunde hinlegen.  

Beim Kochen ist meine Oma kein Freund von Abwechslung. Aber eigentlich mag sie generell keine Abwechslung. Ein Mann, der immergleiche Ferienplatz und eine handvoll Gerichte waren ausreichend. Darunter die scharf, bis in die tiefe Dunkelbräune gebratenen Rindsrouladen mit schlesischen Klößen und Rotkohl. Und während sie die Klöße auf die Teller häufte, denn von drei Klößen kann man ja nicht satt werden, betonte sie die ganze Zeit, daß die Zubereitung der Klöße eine wahre Kunst sei. Denn manche meinen ja, so ein Kloß mache gar keine Arbeit, was nun überhaupt nicht stimme, vom Rotkohl mal ganz zu schweigen. Sie schwieg dann natürlich auch nicht, sondern setzte uns über jeden einzelnen Arbeitsschritt, der diesen Rotkohl auf unsere Teller gezaubert hatte, ausführlich ins Bild. Ihr Redeaufwand war dabei mindestens genauso groß wie der Zeitaufwand bei der Zubereitung. Da fällt mir ein. Neulich habe ich wieder meine gefüllten Auberginen gemacht. Sie müssen gehälftet werden, dann muß ich sie mit Hilfe eines Eßlöffels aushöhlen, wobei es darauf ankommt, wiederum nicht zuviel von dem Fruchtfleisch aus der Aubergine wegzunehmen, was unweigerlich zur Folge hätte, daß sie im Ofen austrocknen und die Haut zu hart werden würde. Sind die Auberginenschiffchen mit Hackfleisch vollbeladen, sollen sie vierzig Minuten im Ofen schmoren, derweil ich natürlich nicht vergessen darf, sie immer wieder mit dem Bratensaft zu übergießen, ohne mir bei diesem heißen Unterfangen die Hand zu verbrennen. Es gibt also viel zu beachten, was ein beträchtliches Können verlangt. Und sollte ich nun sagen, wo meine Schwäche beim Kochen ist, fällt mir eigentlich nichts ein, außer meinem Improvisationstalent. Ich muß nämlich genau wissen, wieviel ich von welchen Zutaten wie lange zu kochen habe, sonst gerate ich in eine Art Küchenstarre. Das heißt, ich verharre mit dem Kochlöffel in der Hand und weiß nicht, was ich mit den Nahrungsmitteln anfangen soll. Erst ein Rezept mit präzisen Mengenangaben erlöst mich aus diesem Zustand. Oder alternativ gäbe es den Klassiker der Einfallslosigkeit, belegte Brote ohne Beilage und Liebe gemacht. Meine Freundin dagegen „erfindet“ spontan Gerichte. Während ich lustlos Schnitten schmiere, eine mit Käse und eine mit Wurst, nimmt sie irgendwelche Zutaten und es entsteht ein schmackhaftes und raffiniert gewürztes Irgendwas. Doch wenn ich mir wünsche, daß sie das, was sie schon mal vor zwei Wochen gekocht hat, noch mal kochen soll, kommt nie wieder das gleiche heraus, sondern etwas, was zwar auch gut schmeckt, aber eben anders. Essen hat für mich aber sehr viel mit Wiederholung zu tun. Das verschafft mir ein Gefühl von Sicherheit. Sonst muß ich bei jedem Happen fürchten: Dies, was ich jetzt schmecke, werde ich nie wieder so schmecken, jeder Bissen dieses Gerichtes ist bereits ein unwiderruflicher Abschied von diesem Gericht. Diese wöchentlich mehrmals durchschmeckten Vanitaserfahrungen nähren mich zwar körperlich, doch zehren sie mich nervlich aus. In solchen Momenten, auch wenn es kulinarisch und erst recht politisch nicht korrekt ist, sehne ich mich zurück nach den schlesischen Klößen von Oma, die beständig gleich schmeckend in einer angedickten braunen Soße dümpeln, frei von Knoblauch oder fremdländischen Gewürzen. Omas Küchenapartheit hat nun mal meine Zunge geprägt.     

 

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