Eingekreist

Heckenrosenkrieg

Draußen ist wieder der Nachbar los. Er hat einen Schäferhund, viele männliche Maschinen und eine Meise. Seine Frau ist dick. Dafür kann sie einiges. Sie schüttet Unmengen Cola in sich hinein. Im Garten des Hinterhauses vertilgen sie oft riesige Mengen gegrillten Fleisches. Manchmal ist auch noch die Tochter zu Besuch. Wenn es stimmt, daß Liebe durch den Magen geht, dann muß sie ständig verliebt sein. Unter ihren Fußtritten wird das Erdreich des Gartens versiegelt, sodaß das Regenwasser nicht mehr versickern kann.  

Man könnte sich fragen, warum so ein leicht gehässiger Tonfall in meinen Worten mitschwingt. Ich sagte es bereits, draußen ist wieder der Nachbar los. Jede Mietpartei hat hinterm Haus eine Parzelle, die sie nach ihren Vorstellungen gestaltet. Diese Vorstellungen passen so gut zueinander wie Gandhi und Hitler, Scheiße und Tiramisu, Helene Fischer und Musik.

Meine Freundin hat einen Naturgarten. Der Nachbar eine Exerzierwiese. Meine Freundin hat ein schönes Durcheinander von Blumen und Büschen. Beim Nachbarn sind die Pflanzen in preußischer Lineartaktik aufmarschiert. Wir stehen uns gegenüber wie Nord- und Südkorea, als sie sich noch ordentlich haßten.

Um noch einen passenden Vergleich anzuschließen. Das Haar auf dem Kopf von Soldaten ist kurz. Das Haar auf dem Kopf von Nazis ist kurz. Kurz ist der Rasen des Nachbarn. Wehe ein Grün wagt sich aus dem Erdreich hervor, das keine Wachstumserlaubnis vorweisen kann, schon kommt der Rasentrimmer zum Einsatz mit der Lautstärke eines frisierten Mofas von Dorfjugendlichen, die an der Bushaltestelle stehen und dich aggressiv angucken. Der Lärm hat meine Freundin vom Balkon vertrieben. Ich schaue in ihr Gesicht, ihr Gesicht sagt mir, „Bring ihn um!“ Ich errate ihren Herzenswunsch, und sage, „mein Schatz, so gern ich es tun würde, aber es geht nicht. Darauf steht Gefängnisstrafe.“

Sie streichelt mir über den Kopf und sagt, „ich komm Dich regelmäßig besuchen.“

Draußen heult erneut der Rasentrimmer auf. Selbst wenn es leise Rasentrimmer geben würde, der Nachbar hätte keine Freude an leisen Rasentrimmern. Es folgt eine höllische Heckenschererei. Anschließend sägt und bohrt der Nachbar, denn er werkt gern heim in seinem Reich. Und wenn sein Penis knattern könnte, dann würde er damit knattern. Offen gesagt, die grüne Linie wurde schon längst überschritten.

Sobald sich nämlich die Heckenrose meiner Freundin auch nur zaghaft von unserer Parzelle auf den gemeinsamen Gartenweg streckt, schneidet der Nachbar einen Trieb nach dem anderen ab. Wenn er fertig ist, erinnert mich die Hecke an diesen einen Frisörbesuch von 1985. Vielleicht hat er ja Angst, daß seine dicke Frau nicht mehr vorbei paßt. Daß ein Dorn der Heckenrose sich in ihrem üppigen Fleisch verfängt. Aber selbst ein Elefant würde noch problemlos an unserer Heckenrose vorbeigekommen. Nun ist mir durchaus bewußt, daß man sich nicht über Dicke lustig machen soll, fat-shaming ist out, denn wie man unschwer erkennt, haben sie es schon schwer genug. Aber wie kann man dann Leute korrekt beleidigen, die man überhaupt nicht mag?

„Sie Ausgeburt eines Glyphosatbefürworters und einer Nutella-Esserin“
oder
„Sie massentierhaltungsfleischverzehrender Plastiktütenverbraucher.“

Nun schmeißt dieser Pflanzentriebtäter auch noch alle amputierten Triebe in unseren Garten. Damit will er uns bestimmt etwas mitteilen.  

Um sein Verhalten zu verstehen, muß man nur in eine x-beliebige Schrebergartenordnung hineinschauen. Dort findet man dann Sätze wie: „Der Vorstand macht regelmäßig Begehungen im Schrebergarten. Zur Dokumentation allfälliger Mißstände werden auch Notizen und Fotos gemacht, sowie Gespräche mit Gartennutzern geführt.“ Bei der Stasi nannte man das konspiratives Auskundschaften und Verhör.

Unter „Regeln für die Gartennutzung“ findet man:

„Das Anlegen einer Wildwiese ist nicht erlaubt.“
„Das Anpflanzen von Laub-, Nadelhölzern und Ziersträuchern ist nicht gestattet.“
„Die Durchführung von Spaß und Freude jeglicher Art ist verboten.“

Der letzte Satz steht da nicht wörtlich, ist aber so gemeint. Und ein Zwischenfazit läßt sich daraus ziehen: entweder ist etwas nicht erlaubt oder nicht gestattet. Zur Abwechslung kann auch mal was verboten sein.

„Bei Zuwiderhandlung muß das Mitglied unabhängig von der Jahreszeit mit sofortigem Ausschluß rechnen“, heißt es weiter im Original, und so ähnlich ist es auch Wolf Biermann ergangen.

Ich setze mich hin und schreibe ein gartenkritisches Gedicht mit dem Titel

„Schrebergarten“. Es geht so:

Daniel Gottlob Moritz Schreber
hieß des Gartens Namensgeber.
Pädagoge und Sadist
wie das oftmals üblich ist.
Er erfand „Geradehalter“
für die Schulter-Rücken-Folter,
und noch manches, um bei Kindern
Onanismus zu verhindern.
Vielmehr muß man gar nicht wissen.
Schrebergärten sind beschissen.

Mehr kriege ich nicht gereimt, weil nun eine Kettensäge kreischt, um wieder Mißwuchs zu unterbinden. In der Gartensparte „Mißwuchsfrei e.V.“ hätten wir längst das Bleiberecht verwirkt wegen eklatanten Verstoßes gegen die deutsche Gartenleitkultur. Unser Hinterhofgarten ist jedoch eine Grauzone im deutschen Gartenrecht. Inzwischen muß man jedoch von einer Grauenzone sprechen. Auf dem Rasen hechelt sein Schäferhund nach Opfern, während der Nachbar –  einen Laubbaum verstümmelnd und immer noch mit freiem Oberkörper, der die Erotik einer stark behaarten Bulette hat – Pavianstimmung verbreitet, sodaß meine Freundin gar keine Lust mehr verspürt, in diesem Jahr überhaupt noch ein einziges Mal in den Garten zu gehen. Ich muß dem Typen endlich klar machen, daß das nicht so weiter gehen kann. Daß er sich ein T-Shirt überziehen, seine blöde Geräte abstellen und gefälligst keine Pflanzen mehr belästigen soll. Na warte! Ich schaue über die Brüstung unseres Balkons, und in dem Moment, als sich unsere Augenpaare treffen, sage ich unmißverständlich, …

„Guten Tag!“.

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