Die Sonne und ich
Letzten Herbst nahm ich an einem Poetry Slam in Dresden zum Thema „Sonne“ teil. Dazu brauchte ich noch einen Text. Ich war ja schon froh, nichts über beliebte Slam-Themen wie Toleranz oder soziales Engagement schreiben zu müssen, obwohl ich das auch hingekriegt hätte, Hauptsache, die Kohle stimmt. Den Sonnentext könnte ich außerdem später noch mal als Kolumne verwursten, im Frühjahr oder Sommer vielleicht, sobald die Sonne scheint. Merkt doch keiner. Mit der Sonne hatte ich sowie noch ein Hühnchen zu rupfen. Besonders als Kind wurde ich von ihr, aufgrund meines rotblonden Typs, regelmäßig mit Sonnenbrand gepeinigt. Man muß bedenken, daß es damals 1983 in der DDR eigentlich keine Sonnenschutzcreme gab. Sonne war nichts, wovor sich ein DDR-Bürger schützte. Er legte sich einfach hinein. Meine Eltern besaßen immerhin „Antisolan, Das Sonnenöl für junge, frohe Menschen“, das jedoch einen ähnlichen Zweck erfüllte wie Bratöl. Nämlich den Körper schön braun und knusprig werden zu lassen. Ich wurde krebsrot. Dann warf meine Haut Blasen und nach einigen Tagen häutete ich mich wie eine Schlange. Deshalb zog mir meine Mutti immer wieder ein Nicki über, aber ich wollte mir das Nicki immer wieder ausziehen, weil wir uns doch am FKK-Strand befanden, wo man nackig zu sein hatte. Für die Jüngeren, ein Nicki ist kein spezieller ostdeutscher Sonnenreflektoranzug, sondern so nannte man unsere T-Shirts. Falls mich also am Ende doch nicht der schwarze Hautkrebs dahinraffen sollte, dann habe ich das meiner Mutti und dem Nicki zu verdanken.
Ansonsten kam die Sonne natürlich noch als zukunftsoptimistisches Symbol bei den Pioniernachmittagen und im Musikunterricht vor. Wir lernten ein Lied, das wir sowohl auf Russisch als auch auf Deutsch sangen, und eigentlich war es ja ein russisches Lied, das man sich an dieser Stelle mit meiner glockenklaren Stimme gesungen vorstellen muß.
Immer lebe die Sonne,
immer lebe der Himmel,
immer lebe die Mutti
und auch ich immer dar.
Das ist natürlich ein frommer Wunsch, denn in 6 Milliarden Jahren lebt die Sonne nicht mehr. Vorher dürfte es ebenso meine Mutti erwischt haben. Und auch wenn ich es im Grunde nicht wirklich wahrhaben will, selbst ich werde nicht für immerdar leben. Das Lied komponierte Arkady Ostrowsky, der übrigens auch nicht mehr lebt. Der damals 4-jährige Kostja Barannikow aus Moskau soll 1928 die Zeilen, die den Refrain des Liedes bilden, an den Rand einer Zeichnung – ich vermute mal, er hat eine lachende Sonne gemalt, wie alle einfallslosen Kinder – geschrieben haben. Süß, oder? Das Lied machte nicht nur bei den jungen Pionieren Karriere, sondern wurde auch von dem amerikanischen Folk-Sänger Pete Seeger adaptiert. Ich will nicht darauf herumreiten, aber er starb 2014.
Die Sonne und der Sozialismus. Ein bißchen hat sich die Sonne diese Vereinnahmung allerdings auch selber zuzuschreiben, denn warum geht sie auch ausgerechnet im Osten auf. Und ist dabei auch noch komplett rot. Selber Schuld! kann man da nur sagen. Unter dem Slogan: Sommer, Sonne, Sozialismus trifft sich die Linksjungend immer noch gern zu Pfingsten. Ich zitiere aus dem Bericht ihrer Aktivitäten: „abends gab es ausreichend Zeit am Lagerfeuer zu sitzen, Selbstverteidigung zu lernen und gemeinsam Arbeiterlieder zu singen.“ Als ehemaliger Thälmannpionier muß ich jedoch anmerken, daß mir eine Jugend, die freiwillig Arbeiterlieder singt, ein bißchen suspekt vorkommt. Aber es sei ihnen von Herzen gegönnt. Und Sommer, Sonne, Sozialismus klingt mir immer noch einladender als Regen, Rechte und Rassismus.
Allerdings scheint die Sonne, wenn man mal genau hinsieht, eher opportunistisch zu sein. In rechtsesoterischen Kreisen schmückt man sich gern mit dem Symbol der Schwarzen Sonne. Ein Symbol, das aus zwölf in Ringform gefassten gespiegelten Siegrunen oder drei übereinander gelegten Hakenkreuzen besteht. Wie das aussieht, wissen wahrscheinlich die wenigstens, bis auf die dreijährige Brunhilde, die sowas malen darf im neuheidnischen Kindergarten „Die kleinen Werwölfe“.
Die Sonne ist jedenfalls immer wieder für eine Überraschung gut. So auch 1999. Da machte sie wieder mal mit einem billigen astronomischen Trick von sich reden. Manche werden sich daran erinnern können. Es war ein unglaublicher Hype. Überall boten findige Händler überteuerte Brillen aus Pappe an, damit ein gefahrloses Zuschauen ohne Netzhautschäden möglich wäre. Ich ließ mich nicht zu einem überstürzten Kauf hinreißen, nur um etwas mit eigenen Augen zu betrachten, das 2089 schon wieder zu sehen ist. Lieber dichtete ich Folgendes, mit dem programmatischen Titel:
Sonnenfinsternis
Der Mond steht vor der Sonne
Die Sonne hinterm Mond
Ich stehe auf dem Dach
Wo es zu stehen lohntIch sehe nach dem Wonder
Vor meinen Augen hier
Ich seh nicht lange hin
Ich bin ein HypochonderIch fürchte zu erblinden
Mir fehlt der Augen Schutz
Ich mag nicht die Natur
Und muss vom Dach verschwinden
Schön, nicht! Meine Dozentin am Literaturinstitut in Leipzig war auch begeistert, als ich es im Werkstattseminar zum Thema Naturlyrik präsentierte.
Nun jedoch, in meinen mittleren Lebensjahren, da ich schon den kalten Mond meines Lebensabends heraufziehen sehe, habe ich mich doch noch mit der Sonne versöhnt. Das liegt auch daran, weil meine Hausärztin beim letzten Gesundheitscheck bei mir einen eklatanten Mangel an Vitamin D festgestellt hat. Ich sei offenbar zu wenig an der Sonne, um die UV-indizierte endogene Vitamin-D-Synthese in der Haut ausreichend zu stimulieren. Ich bewahrte Haltung und fragte sie, ob man daran sterben kann? Worauf sie mich beruhigend anlächelte und mir dann mitteilte, - „ja“. Vorausgesetzt natürlich, man würde vierzig Jahre unter Tage verbringen und Vitamin D auch nicht in Tablettenform zu sich nehmen. Normalerweise sei Vitamin-D-Mangel ein geringfügiges Gesundheitsproblem. Allerdings könnten sich leichte Müdigkeitserscheinungen einstellen, sowie Lust- und Antriebslosigkeit. Als Hypochonder ist man ja schon über jede Krankheitsdiagnose froh, die man sich nicht nur eingebildet hat. So erklärte sich endlich, warum ich so selten bei uns die Küche wische, kaum den Müll runtertrage und mein Roman immer noch nicht fertig ist. Seitdem ich jetzt öfter auf dem Balkon in der Sonne liege, habe ich jedoch den Eindruck, daß ich viel aktiver bin, auch wenn das für meine Freundin nicht gleich so aussieht. Immerhin hat es mich zu meinem zweiten Sonnengedicht inspiriert:
Die Sonne tut mir ziemlich gut.
Sie bringt Vitamin D ins Blut.
So bin ich viel aktiver
Mein Schatz,
reich ma‘ die Sonnencreme rüver.
Den Poetry-Slam habe ich übrigens nicht gewonnen. Ich sage das völlig frei von Gekränktheit. Die jungen Menschen haben in ihrer Rolle als Publikum bloß mal wieder völlig versagt.
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