Museumsführer der beflügelten Bilder
Die Wiener Lyrikerin Astrid Nischkauer hat während der vergangenen Jahre unter anderem auch als Museumswärterin in etlichen Häusern der österreichischen Bundeshauptstadt gearbeitet. Was läge näher, als diese Tätigkeit obendrein für ihr dichterisches Schaffen fruchtbar zu machen?
"Satyr mit Thunfisch" ist ihr dritter Gedichtband und benennt schon im Titel ironisierend den spielerischen Umgang mit der Beziehung zwischen Kunst und Leben. Das Umschlagbild zeigt einen Strauß Lilien, der optisch mit dem aus buntem Marmor bestehenden Hintergrund zu einem zartfarbigen Wimmelbild verschmilzt, eine Art trompe-l'œil, das auf seine Weise ebenfalls augenzwinkernd auf diese Wechselwirkung verweist zwischen Bildern, Skulpturen, Installationen und künstlerisch gestalteten Gebrauchsgegenständen einerseits und deren im Wortsinne zu verstehenden Wirk-lichkeit.
Die meisten Texte sind relativ kurz, auch die Verse umfassen oft nur wenige Worte, sind reimlos und durchgängig freirhythmisch. Es gibt keine Gedichttitel, keine Kapiteleinteilung, beim Lesen entsteht der Eindruck, ein einziges großes Haus zu durchschreiten. Tatsächlich beziehen sich die Gedichte jedoch auf die Exponate und situativen Momentaufnahmen aus einer Vielzahl von Wiener Museen; ihre Anordnung erscheint freilich stringent durch ihre unterschwelligen motivischen Referenzen und eine sehr bewusste Schwer-Leicht-Gesamtkomposition des Buches.
Wenn Hugo von Hofmannsthal einst postulierte, es führe kein direkter Weg von der Poesie ins Leben und keiner vom Leben in die Poesie, so scheinen die Texte von Astrid Nischkauer in diesem Band dies auf den ersten Blick auf unschuldigste und wie selbstverständliche Weise zu unterlaufen. Nicht selten behauptet sie eine poetische Realität, die so nüchtern daherkommt, dass sich ihre Leserschaft wohl aufgehoben in einer Alltagssprache wähnt, die nur ganz am Schluss gleichsam Flügel zu bekommen scheint, etwa wenn sie Rubens' heilige Familie unter dem Apfelbaum rein von der materialen Beschaffenheit des Bildes in den Blick nimmt und am Ende feststellt:
"[...] etwas stimmt nicht mit / diesem Bild dieses Bild das so / idyllisch ist gar kein Bild sondern / zwei Bilder die man aneinander / klebte und in einen Rahmen zwängte / gern würde es sich wieder öffnen / seine Flügel entfalten und auffliegen"
So münden für sich genommen sehr konkrete Beschreibungen an einem bestimmten Punkt im Gedicht häufig in poetische Interpretationen der Lyrikerin; das allein wäre ja noch durchaus zu erwarten, doch mitunter imaginiert sie gar etwas hinzu, das die Gesamtwirkung entscheidend verändert und auf eigentümliche Weise die Beziehung von bildnerischem und dichterischem Kunstwerk erneuert:
"den Strommasten / fehlen die Kabel und / den nicht vorhandenen / Kabeln fehlen die / Schwalben die sich / auf ihnen sammeln / die Strommasten / werden durch das / Fehlen der Kabel / zu seltsam nackten / Bäumen vor den Bäumen / das Bild wird durch / das Fehlen der Schwalben / beinahe unerträglich denn / das einzig Lebendige darin / ist der Schatten der Bäume"
Hier offenbart Nischkauer auf anschauliche Weise diesen spezifischen Mehrwert des Interdisziplinären im künstlerischen Arbeiten an sich. In ihren Gedichten spiegelt sich nicht einfach ein kongenialer innerer Bezug zum bildnerischen Kunstwerk (auch das allein wäre ja schon geeignet, reizvolle und zur Reflexion anregende Rezeptionsmomente zu schaffen), sondern eine ganz enge Verschränkung der beiden unabhängigen Produktionsebenen. Dass sich im konkreten Fall, ausgehend vom bereits vorhandenen Dinglich-Bildnerischen, nur die Sprache eben darauf beziehen kann und nicht unmittelbar umgekehrt sich bildnerisches Schaffen an Sprache orientiert, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich dadurch trotzdem auch das Bild verändert - nämlich durch die individuelle Sichtweise darauf, die ohne das Gedicht eine andere wäre - oder zumindest sein könnte.
Es wäre einzuwenden, dass für das Nachvollziehen dieses Prozesses die Bilder, Installationen und Gegenstände in Nischkauers "Satyr mit Thunfisch" ja gar nicht unmittelbar gezeigt werden. Das ist aber auch nicht notwendig, denn die Bedingungen des ersten optischen Eindrucks liefert die Lyrikerin ja durchaus mit, umso mehr, als ein etwa ergoogeltes Kunstwerk die Umgebung, das Eingebettetsein in sein museales Umfeld, ohnehin nicht mit abbilden kann. Und so bleibt der unausgesprochene Reiz des Ganzen schon eher die Vorstellung, selbst einmal mit Astrid Nischkauers Gedichtband in der Hand durch die Wiener Museen zu streifen, um eine persönliche Entdeckungsreise zu diesen lyrisch beflügelten Exponaten zu unternehmen.
Ein weiteres bemerkenswertes Unterfangen ist die Positionierung des lyrischen Ichs in dieser Museumswelt. Es scheint sich nämlich nicht so freiwillig und selbständig in diesen Ehrfurcht gebietenden Kosmos einfügen zu wollen, es kommt mehr als bewusste Setzung der Autorin daher. Ironisch gebrochen und selbst ironisch brechend tritt es in direkter Form nur ab und an auf, nicht nur als betrachtendes Subjekt, sondern auch in der Rolle der Museumswärterin, die den reflektierenden Gang durch die Exponate und die sinnliche Erfahrbarkeit des sie umgebenden Raumes und des jeweils Situativen begleitet und kommentiert:
"der Dreizehnjährige / der viel größer ist als ich / sagt mir er sei alleine da / und schon vierzehn ich / bringe ihn trotzdem / zurück zu seiner Mutter / die ihm schon suchte"
Noch stärker verschmelzen Kunsterleben und der Einfluss des Institutionellen miteinander, wenn Nischkauer etwa einen häufig zu beobachtenden Streitpunkt zwischen Besuchern und Museumspersonal als ironisierende Paraphrase auf kriegerische Ausstellungsstücke im Weltmuseum Wien einbettet:
"Salzgeld oder Leben / nehmen Sie auch Muschel- / oder Schneckengeld / Waffe neben Waffe / gewellte Krise / kunstvolle Kriegskanus / Verurteilte im Holzbrett / Triton-Trompete im Netz / viel Aggressivität im Raum / sie entlädt sich an uns / und an der Rucksackfrage"
So dekonstruiert sich die Gesamtansicht des neuen Buches von Astrid Nischkauer in seiner schillernden Vielfalt am Ende ähnlich konsequent in einzelne Facetten wie der Text über ein pointillistisches Gemälde von Signac, dem letzten Gedicht des Bandes:
"zu nahe bin ich / dem Bild das sich / auflöst in annähernd / gleich große Farb- / Rechtecke jedes / Rechteck davon / ein Bild für sich / so groß wie der Nagel / meines kleinen Fingers"
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