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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Lavendellied

Hamburg

Was für eine Ansage, was für ein Anspruch, dem sich Elke Laznia mit dem vorangestellten Zitat von Marguerite Duras aussetzt.

„Schreiben heißt nicht Geschichtenerzählen. Es ist das Gegenteil von Geschichtenerzählen. Es ist: alles auf einmal erzählen. Es ist: eine Geschichte und das Fehlen dieser Geschichte erzählen. Es ist: eine Geschichte erzählen, die durch das Fehlen einer Geschichte zustande kommt.“

Dem eigenen Werk ein derartiges Zitat voranzustellen, ist mutig. Oder größenwahnsinnig.

Denkt man, dachte ich, weil ich Elke Laznia nicht kannte. Obwohl die 1974 in Klagenfurt geborene Dichterin mehrfach ausgezeichnet wurde, hauptsächlich für ihre Lyrik.

Mutig ist Elke Laznia, denn Lavendellied erzählt tatsächlich keine Geschichte, sondern das Fehlen der Geschichte. Es erzählt (oder besingt?) assoziativ und von ständig wiederkehrenden Refrains durchsetzt, eine verborgene Geschichte, vom Krieg, von nicht geheilten und nicht eingestandenen Verletzungen, von der Unmöglichkeit sich miteinander zu verständigen.

Von der Großmutter, mit der der erste durch ein Gedicht eingeleitete Monolog beginnt, schreibt Laznia „[…] in dir verschmelzen die Jahrzehnte zu einem Körper…[…]“

Sie selbst verschmilzt beim Schreiben die Zeiten, die Personen, Orte und Gefühle, bis etwas ganz Neues entsteht. Vielleicht das, was Marguerite Duras die Geschichte genannt hat, „die durch das Fehlen einer Geschichte zustande kommt.“

Dabei arbeitet Elke Laznia mit Assoziationen, die sich treiben lassen, die Leserin folgt eher diesen Assoziationsketten, als einem roten Faden.

So mäandern die Monologe, zehn an der Zahl, durch die Existenzformen Enkelin, Tochter, Mutter, Liebende und Geliebte. All die nahen Beziehungen, das Geflecht aus dem ein Leben, ein Lebenslauf entsteht und herauswächst, bilden den Boden, von dem Laznias Lied aufsteigt.

Ein Lied, das von der Leichtigkeit ebenso singt, wie von der Schwierigkeit eine Heimat zu finden und zu behalten, von sozialer Kontrolle und dem ewigen nicht dazugehören. Und nicht zuletzt von der Schwere durch Angst.

Eine Angst, die eindringlich in einer erzählerischen Passage geschildert wird, als eine Bedrohung von außen, die die scheinbar natürliche Leichtigkeit zwischen Mutter und Kindern überschattet. Und dem die kleine Familie scheinbar schutzlos ausgeliefert ist, bis sich die Mutter Nachbarn anvertraut, und unerwartet Hilfe, Zuspruch und Unterstützung erfährt.

„[…] wir beladen damit noch schwächere Schultern, die lernen, sie zu tragen, aber die Rücken wachsen nicht mehr gerade, verwachsen mit der Angst, es ist nicht böse gemeint, es ist unsere Hilflosigkeit, wir wissen es nicht […]“

Im Bewusstseinsstrom von „Lavendellied“ werden Traumata und tiefe seelische Verletzungen mit alltäglichen Situationen verknüpft. Mit der feindseligen Nachbarin und verstopften Abflussrohren.

Was so entsteht, ist eine Odyssee bei der Zeiten, Orte und Menschen ineinanderfließen und einen Sprachkörper aufleuchten lassen, wandelbar und verletzlich, stark und beharrlich.

Schließlich werden die Monologe, die ja auch Dialoge sind, immer kurzatmiger, vielleicht weil ein Gespräch, bei dem es im Kern um die Unmöglichkeit einander zu verstehen, notwendigerweise verstummen muss.

Und was bleibt ist eine Geschichte, für die Laznia eine bestechend passende Form gefunden hat, die vom Scheitern erzählt. Vom Scheitern an den Erwartungen, an der Verständigung. Und nicht zuletzt an sich selbst.

Dialoge zwischen dem Selbst und der Welt, dem schmerzlichen Fehlen der Geschichte und dem, wie dieses Fehlen eine eigene Geschichte gewoben hat.

Elke Laznia
Lavendellied
müry salzmann
2019 · 120 Seiten · 19,00 Euro
ISBN:
978-3-99014-193-9

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