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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Lange schwarze Haare und eine geheimnisvolle Verfolgerin.

Hamburg

Shortlist Deutscher Buchpreis 2017

Es beginnt damit, dass der Ich-Erzähler in seinem Hotel in Innsbruck, wo er sich auf einer Schriftstellertagung befindet, lange schwarze Haare und Badeschaum am Badewannenrand entdeckt. Als er eingecheckt hatte, war alles sauber gewesen. Es fehlte aber nichts. Seine teure Kamera war noch da, sein Geld, seine Papiere. Erst etwas später entdeckt er, dass alle seine Schlüssel fehlen. Natürlich will die Polizei ihm nicht glauben, sie findet so etwas abstrus, hat eher ihn im Verdacht, ein Spinner zu sein.

Zumal er einen seltsamen Beruf hat: "Obwohl ich Kurt heiße, bin ich Schriftsteller" sagt er. "Allerdings bin ich weit davon entfernt, mir auf diese Tatsache etwas einzubilden. Der Rausch, sich nach jahrelangen Tagen und Nächten endlich einem Text gegenüberzusehen, den es vor dem Zurückstellen erquicklicherer und einträglicherer Beschäftigungen nicht gegeben hatte, dauerte bei mir nur kurz. Ein paar selig vernebelte Jahre um die zwanzig." Das war's. Jetzt schreibt er einfach weiter und hofft, damit auch Geld zu verdienen.

So einem Mann ist, so die Logik der Polizei, nicht recht zu glauben. Vielleicht erfindet er das mit den Haaren in der Badewanne. Vielleicht hat er auch die Schlüssel nur verlegt oder sonstwo verloren. Auch der Hoteldirektor macht einige abstruse Vorschläge: dass er die Schlüssel im Auto vergessen hat. Und er "insistierte auf seiner Auffassung, dass derlei Dinge in seinem Hotel nicht vorkommen würden. Als ich ihm entgegenhielt, dass bestimmt Dinge trotz ihrer Unwahrscheinlichkeit sich ständig und oft sogar im allergrößten Maßstab ereigneten, schließlich wäre ja jede Katastrophe genau das, was ein Hoteldirektor in seinem Hotel nie erwarten würde, und gerade die wären auf der ganzen Welt an der Tagesordnung", fand er das sehr unpassend. Noch seltsamer wird das alles, weil er einmal mit einer Jana Blanchefleur ein Verhältnis hatte, nach deren Ende er noch Jahre später überall in der Wohnung lange schwarze Haare fand, an den unmöglichsten Stellen.

Normalerweise ist es eher langweilig, wenn Autoren Romane über Autoren schreiben. Nicht so bei Falkner. Spöttisch, ironisch und sehr leichtfüßig schreibt der gefeierte Lyriker und Übersetzer Gerhard Falkner über diesen etwas skurrilen Kurt Prinzhorn, der aus seinem normalen Schriftstellerleben hinauskatapultiert wird. Denn bald merkt er, dass er verfolgt wird: In Moskau, wo er wenig später auf einem Kongress ist, findet er in seinem Hotelzimmer plötzlich Karten, die er selber vor vielen Jahren in einer winzigen Auflage gedruckt hat, die Reihe hieß "Kunst und Logis". Und in Druckbuchstaben hatte jemand dazu geschrieben: "tootutiltoti tootilju". Jetzt wird ihm dann schon ein wenig mulmig.

Dennoch genießt er auch den Aufenthalt in Moskau, knüpft Kontakte, trinkt mit seinen Kollegen, flirtet mit seinen Kolleginnen und besucht auch das Gorki-Haus: "Da Gorki selbst schon tot war, kam seine Enkelin, um uns zu begrüßen." Freundet sich mit einem Hund an, der in der Nähe des Roten Platzes liegt, und den er Raskolnikow nennt: "Es war ein großer Hund mit einem imposanten Kopf, er hatte Augen wie ein Gelehrter, und man sah ihm an, dass Mit-dem-Schwanz-Wedeln nicht zu seinen Hauptbeschäftigungen zählte." Regelmäßig füttert er dieses stolze Tier mit Wurst vom Frühstücksbuffet: "'Majestät', sagte ich und legte ihm ein Stück Wurst vor." Und er sieht ab und zu eine Frau mit einer großen Kapuze, die ihm verdächtig vorkommt. Die Verfolgungen gehen auch in Madrid weiter, wo Kurt eine alte Geliebte wiedertrifft. Bis alles auf den Höhepunkt zusteuert (der hier nicht verraten wird), Kurt die geheimnisvolle Verfolgerin sogar trifft und er urplötzlich seine Ruhe vor ihr hat - auch das durch einen Kunstgriff des Autors, der uns in Kurts Vergangenheit führt.

Falkner hat ganz offensichtlich Spaß am Fabulieren, genüsslich plaudert er über das Leben seines erotomanischen Helden, dem diese Schriftstellertreffen eigentlich nur deswegen Spaß machen, weil er immer wieder neue Frauen trifft, die meisten sind denn auch entzückt von ihm. Ständig lässt er sich genüsslich von einer Abschweifung in die nächste treiben, ein Kapitel ist sogar ein sehr langer, surrealistischer Traum oder eine Vision: "Dieser Stream of subconsciousness, nämlich das folgende Kapitel 13, wurde in der Absicht eingefügt, dem Leser die kalten Eier aus dem Nest zu nehmen und dient der klärenden Verunsicherung des behandelten Falls. Es fällt aus der Geschichte, wie sie bisher erzählt wird, heraus und wird wie ein großes Abwasser subversiv in die Erzählung geleitet, als wäre die eine Kläranlage." An vielen Stellen brennt Falkner Feuerwerke an treffenden, entlarvenden und persiflierenden Beobachtungen über den Literaturbetrieb ab, auch sich selbst in Kurts Gestalt nicht ausnehmend. Mitunter poetisch, sind seine Formulierungen oft auch selbstverliebt und mit vielen Anspielungen arrogant bildungsgesättigt: Auch so kann man seinen Helden unter der Hand vorführen und demontieren. Denn so richtig sympathisch wird Kurt nicht.

Dabei geht es bei allem Spaß, den die Lektüre bereiten kann, auch um ernste Themen, die man leicht überlesen kann: nicht so sehr um die Liebe (zu der Kurt offensichtlich nicht so fähig ist), sondern um Trennung und den zerstörerischen Hass nach einer Trennung: Einmal entdeckt er, dass seine Verfolgerin an eine Hoteltür die Aufschrift "Romeo Oder Julia: peng, peng!" hinterlassen hat - eine eindeutige Drohung, die sie nur durch einen Zufall nicht wahrmachen kann.

Und so kann man den unterhaltsamen Roman als Persiflage, Psychothriller, Aufdeckung einer Obsession oder Arbeit an der eigenen Biografie lesen, in der verdrängte Kapitel aus der Vergangenheit plötzlich und geheimnisvoll wieder auftauchen. Falkners fulminant erzählter Roman "Romeo oder Julia" steht auf der Kurzliste für den diesjährigen Deutschen Buchpreis.

 

Gerhard Falkner
Romeo oder Julia
Berlin Verlag [Piper]
2017 · 272 Seiten · 22,00 Euro
ISBN:
78-3-8270-1358-3

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