Die schöne Welt ist kein Schein
„Liebesgedichte“ heißt die Reihe und von Anna Achmatowa bis Marina Zwetajewa gibt es bereits kleine handliche Bände, Ernst Jandl ist vertreten, die Mayröcker, Enzensberger und Brecht, Rilke natürlich und die Kaschnitz – der Insel Verlag versammelt zum Thema was Rang und Namen und auch wirklich etwas zu sagen hat. Hört man die Lautsprecher der vorletzten Lyriker-Generation, so sind Liebesgedichte „Motivgeflechte aus Liebesdiskursen“, die „lebenspragmatisch ausagiert werden müssen“ – so zumindest erklärt Michael Lentz seine in diesem Jahr erschienenen 100 Liebesgedichte, die eigentlich gar keine sind, weil sie sehr betont im Kopf nachspielen, was ganz woanders geschieht.
Lentz denkt daran, daß die Sprache “als Medium dann doch so sperrig ist, dass es schwer wäre, das Persönliche dort zu orten.” Das ist natürlich Käse. Die Sprache ist genauso persönlich wie eine krumme Nase und wie die Art, in der man liebt. Und die Liebe ist kein Thema, das es heute nicht gibt. “Wir glauben, weil wir lieben” hat Eugen Drewermann unlängst bekannt. Demnach liegt Gewißheit nicht im Gewußten, sondern im Möglichen. Und möglich ist so vieles heutzutage. Das kann einen erschlagen. Und den Geschmack versauen. Irgendwann ist die Zunge taub von zuviel Glutamat und schlechtem Kaffee und man will wieder zurück in die klaren Bereiche, die es auch und immer mehr immer wieder gibt. Und von dort ist es nicht weit, bis man gültig ist und nicht nur “Schauplatz kommunikativer Rationaliät” (Habermas, den Lentz für sich bemüht). Nur das Gültige kann nämlich reagieren, Chemie ist Gegenwart und Liebe auch. “Ich liebe dich. / Und meine Welt ist schön.” schreibt Gertrud Kolmar, “und bunt und seltsam gnug….”.
Gertrud Kolmar hat die Liebe ihres Lebens über zwei ihrer Gedichte kennengelernt. Im Insel-Almanach von 1930 veröffentlicht, las sie der seemännisch abenteuernde Dichter Karl Joseph Keller und schrieb ihr. Es entwickelte sich rasch eine Korrespondenz und so lange sie sich schrieben, gefielen sie einander. Als sie sich trafen, drei Tage im Norden, zerplatzten die Träume, Keller konnte in dem “Persönchen, mit blassem Gesicht”, das Kolmar war, nicht jene Frau wiederfinden, die er in den Briefen und Gedichten liebte. Später schrieb er nicht mehr, verheimlichte auch, daß er heiratete. Und schrieb - von ihr unbemerkt - deutschnationale Gedichte. Die Verlassene:
“Dein Durchgang blieb in meinen Tagen, / Wie Wohlgeruch in einem Kleide hängt, / Den es nicht kennt, nicht rechnet, nur empfängt, / Um immer ihn zu tragen."
Peter von Matt hat einmal über die Kolmar geschrieben:
"Da ist eine Frau, die wirft Bilder wie die Füchsin, wie das Marderweibchen ein Nest voll Junge. Das liegt dann da und regt sich, ist gefährlich und rührend, zart und grausam zugleich, wird geleckt und gehegt und ist ein großes Gedicht.“
Ihre Liebesgedichte sind im besten Sinn „schön“ - die blasse Trude trägt eine Welt in sich und mit sich herum, die bunt und seltsam ist und voller Melodien. Und in der die einfachen Dinge noch immer gelten.
Liebende
Ihre Leiber standen in den Abendschatten licht.
Schmal und hoch, von schimmerloser Bleiche:
Blütenzweig, den Lieb’ für Liebe bricht,
Windgewiegt und taugeküßt am Teiche.Stern um Stern kroch übers Dach sie anzusehn,
Und die Schar der zarten Wolkenlämmer
Flockte zögernder in lindem Wehn:
Ihre Leiber standen licht im Dämmer.War das Eine kurzen Weg hinabgeeilt,
Rief’s das Andere um mit stillem Schauen;
Feiner Falterflügel, zwiegeteilt,
Schleierblaß, verwuchsen sie im Grauen.Leise, wie ein Stückchen leichter Tag,
Sind sie dann in Nacht und Gras gegangen. –
Und die braunen Hasen im Verschlag
Äugten wundernd durch die Gitterstangen.
Im Sommer 1941 wird Gertrud Kolmar von den Nazis zur Arbeit in der Rüstungsindustrie zwangsverpflichtet und im Februar 1943 vom Arbeitsplatz weg verhaftet und nach Auschwitz deportiert.
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