Hass spricht.
Jede Nacht 10.000 Hasskommentare lesen und löschen? Es gibt Jobs, die kann man sich nicht einmal vorstellen, und erst recht nicht, sie zu machen. Online-Redakteur hört sich gut an, aber wenn das bedeutet, jede Nacht zwischen 10 und 6 am Bildschirm zu hängen und sich durch die Kommentare der Leserinnen und Leser zu klicken, die völlig enthemmt ihren Hass auf alles, was da draußen passiert, in die Tastatur hacken, dann will niemand das machen. Walter Noack macht das, und es macht ihm auch erst einmal nichts aus. Die Leute sind halt bekloppt, und sein Job besteht darin, die allergröbsten Sachen erst gar nicht erscheinen zu lassen.
Die Leute lassen ihre Gewaltfantasien los und sehen sich auch noch im Recht. „Merkel muss weg“, ist noch der harmloseste aller Sprüche, alles was darüber hinausgeht aber, soll nicht stehen bleiben. Verleumdungen, Hasstiraden, Gewaltexzesse, Beleidigungen. Panzer, Aufmärsche, Metzeleien, an die Wand. Das hat alles auch nichts mehr mit dem Stammtisch zu tun, an dem das früher hängengeblieben sein soll. Das ist die Verrohung pur, in der sich alles, was sich zu kurz gekommen oder nicht angemessen wahrgenommen und wertgeschätzt fühlt, austobt. Das Netz gibt dem endlich ein Forum – aber anstatt, dass das dazu führt, dass danach Ruhe ist, wird alles nur noch schlimmer, es ufert immer mehr aus. Je mehr man zulässt, desto schlimmer wird es. Und je mehr davon gelöscht wird, desto aggressiver wird der nächste Schub. Das muss alles und jederzeit raus.
Und das Schlimme ist, dass derjenige, der als ungeliebtes Bollwerk gegen diese verbale Schlammlawine arbeitet, kaum Wertschätzung von seinen Kollegen erfährt, mehr noch, dass er sich nicht davon freisprechen kann, dass das alles auch auf Dauer auf ihn wirkt. Niemand ist immun, irgendeine Idiotie bleibt hängen und wird zur Meinung, schließlich zum Kommentar und schließlich zur Aktion.
Und genau darum scheint es Johannes Groschupf in seinem Krimi zu gehen. Auch der Held seiner Geschichte, der sich gegen solche Tiraden immun gibt, erliegt ihrer Systematik, ihrem Grundton. Er wird zum Rächer, soll heißen, er wird zum Täter. Aber langsam.
Walter Noack ist ein sogenannter „Prepper“. Das sind Leute, die sich auf die Zeit nach dem Niedergang der Zivilisation, nach der Katastrophe, wenn alle gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten ungültig sind, und jeder nur noch um sein Überleben kämpft, vorbereiten. Noack treibt Überlebenstraining, er schwimmt, er rennt und er weiß warum. Das wird alles nicht gut gehen.
Er legt überall in der Stadt und im Umland Depots an, die er im Notfall anzapfen kann. Und er hortet zuhause, was er an überlebenswichtigen Lebensmitteln und Ausrüstungsgegenständen identifiziert. Er ist damit bereits schon eine außerordentliche Gestalt. Alle, die ihn kennen, halten ihn für verrückt – wie ja auch die Schreiber der Hasskommentare für verrückt gehalten werden, wo sie doch nur eine andere Wahrheit kennen und sie verbreiten. Soviel anders ist auch Noack nicht, ohne dass er es merkt.
Das kommt aber lange nicht zum Vorschein, bis denn endlich etwas passiert, mit dem dann auch der Krimi beginnen kann: Noack wird beim Verlassen der Zeitung, bei der er arbeitet – man kann sich denken, welches große Haus damit gemeint ist –, niedergeschlagen. Kann passieren in einer solchen Stadt, aber dass dasselbe kurze Zeit später einer Kollegin passiert, dass kurze Zeit später sogar der Sohn Noacks, der angefangen hat, der Sache nachzugehen, umkommt, ist des Gewohnten zuviel. Noack beginnt sich vorzubereiten und auszustatten. Man kann sich denken, womit er sich eindeckt. Und man kann sich ausrechnen, dass auch das nicht gut endet.
Um an das zu kommen, was er zur Selbstverteidigung anfangs, später zur Rache braucht, taucht Noack tief genug in die Rechtsradikalen- und Reichsbürgerszene ein, dass es einen schüttelt. Dass es hier gewalttätige Leute gibt, kann man sich denken. Dass sie das Ganze – den Sturz des verhassten Systems – aber groß aufziehen wollen und sich bewaffnen, ohne dass das irgendjemand wirklich merkt oder gar zu verhindern sucht, ist unvorstellbar. Es gibt – und auf dieser realen Szenerie setzt Groschupf auf – Leute, die so denken und handeln. Kaum zu glauben, aber wohl leider wahr. Das aber ist „Berlin Prepper“ tatsächlich gut zu schreiben. Vieles an diesem Krimi mag übertrieben wirken, ist aber wohl doch nicht falsch. Sicherlich glänzt Groschupfs Roman vor allem mit seinem Thema. In der Durchführung ist da noch Luft nach oben. Die Hauptfigur muss nicht zwingend irgendwas anderes sein als ein normaler Redakteur. Er wäre ohne das Ganze drumherum vielleicht sogar wahrscheinlicher. Aber das fällt angesichts dessen, was da in den Foren tobt, einfach nicht ins Gewicht. Hier spricht der Hass, und er wird uns alle zerstören, gerade dann, wenn wir uns ihm zu widersetzen scheinen.
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