Lieber Rauchmelder, bitte melde mich an
Ist dieses schlichte, schwarz-weiße Heftchen vielleicht die nachgelieferte A-Seite? Man könnte es meinen, bietet „Ex“ doch, ganz wie Jonis Hartmanns „B-Texte“ aus dem Jahr 2016, ein wildes Potpourri aus Prosaminiaturen mit kryptischen Titeln wie „Bete, Lemming, bete“ oder „Gott zieht mich runter“, die auf einer völlig eigenen Bedeutungsebene gut und gerne für sich stehen könnten.
Locker hangeln sich die in fünf Kapitel unterteilten Kurz- und Kürzesttexte an einer alphabetischen Struktur entlang, ansonsten erschließt sich beim ersten Überfliegen kaum ein Zusammenhang. Jemand erwacht aus einer Vollnarkose „und alles schien super. Außer dass die Leute Asselköpfe trugen“; eine dodobegeisterte Lehrbeauftragte für Experimentallogik verzweifelt an ihrem eigenen Gedankenstrom; ein DJ wünscht sich nichts sehnlicher, als seinen Kopf auf den Plattenteller zu legen, um seine „Gedankenkaskaden“ in die Welt zu transportieren. Selten ist das lyrische Ich klar definiert, oft noch nicht mal als menschliches Wesen. Einmal schmieden hasserfüllte Hasen am Rand eines Kreisverkehrs Intrigen, dann bangen philosophisch bewanderte Streichhölzer in der Dunkelheit ihrer Schachtel einem baldigen Ende entgegen. Kurz: Es ist nicht leicht, sich in diesen Texten zurechtzufinden. Dieses Nicht-Zurechtfinden aber macht, nach einer kurzen Eingewöhnung, durchaus Spaß.
Alltägliches und Phantastisches, Albernes und Tiefgründiges mischt sich in Hartmanns poetischen Schlaglichtern unterschiedslos. Heraus lesen sich ironische Kommentare zum sozialen Miteinander, zu (leeren) Worthülsen und (gescheiterten) Beziehungen, zu medial vermittelten Bilder, wie es auszusehen hat im Business, oder in der Romantik. „Bei der Sitzung verhedderten sich zwei Teilnehmer in ihren Krawatten“, heißt es an einer Stelle – ein so groteskes wie eindrückliches Bild. In einem anderen Text wohnen (menschliche?) Wesen in Baumkronen und verwandeln sich schließlich in Vögel, die „in Scharen auf den Feldern landen und ernten, was sie nicht säten.“ Das lässt sich auch als impliziter Verweis auf ungleiche Produktionsverhältnisse, Mietenwahnsinn und vereinnahmte Protestbewegungen verstehen – nur eben in ein ziemlich surreales Bild verpackt.
Vieles allerdings bleibt auch nach mehrmaligem Lesen noch immer rätselhaft; unwillkürlich blättert man vor und zurück, schaut sich um nach potentiellem Kontext. Hat man womöglich ein übergreifendes Konzept verpasst? Vielleicht eine Art Zahlen- oder Buchstabencode, den es zu knacken gilt, damit sich der Gesamtsinn erschließt?
Derweil gilt weiterhin: Volle Konzentration auf die Details. Oft nimmt Hartmann Begriffe und Redewendungen allzu wörtlich, was manchmal ein bisschen albern, meist jedoch ziemlich entlarvend sind. So werden Discobesucher folgerichtig „hinters Neon geführt“; dann wieder stößt die Doppeldeutigkeit des Wortes „wiegen“ das lyrische Du an existenzielle Grenzen: „Der Versuch sich zu wiegen. Aber du bist kein Baby mehr.“ Ähnlich verhält es sich mit dem Buchtitel „Ex“: Lässt er sich, insbesondere durch die in der ersten Miniatur „Adé“ eröffneten Assoziationen, am ehesten im Sinne von „Ex-Partner_in“ lesen, befasst sich der gleichnamige Text viele Seiten später vielmehr mit der Bedeutung „auf ex trinken“ – wobei Alkoholkonsum und Abschiedsschmerz ja irgendwie auch zusammengehören (können).
Werden bei Hartmann auf sprachlicher Ebene die Dinge gerade gerückt, um endlich „ohne nervige Illusionen“ zu leben, erzeugen minimale Bewegungen im Alltag oft ungeahnte Verschiebungen im Weltgefüge, ja drohen dieses bisweilen zu zerstören. Was etwa passiert, wenn ein Atlant sich mal eine Zigarette anzünden möchte? Schließlich verdient auch jemand, der dazu ausersehen ist, Gebälk – oder gar das gesamte Himmelsgewölbe – zu tragen, mal eine Raucherpause. In einem anderen bekommt das lyrische Ich eine unerwartete und nicht unbedingt willkommene Macht über fernes Geschehen: Es findet einen Knopf, „den konnte ich drücken und dann bekam jemand, den ich gar nicht kannte, eine gescheuert“. Blöd nur, wenn der Knopf irgendwann einfach steckenbleibt. Fällt dann das Unglück aufs Ich selbst zurück? Oder gar auf die gesamte Welt?
Wahrscheinlich – auch wenn die alphabetische Ordnung, in der wie in bedeutungsvoller Absicht einige Buchstaben fehlen, immer wieder mit dieser Erwartung spielt – gibt es keinen Schlüssel zum erlösenden Aha-Effekt, so lange man auch nach ihm suchen mag. Damit liest sich „Ex“ ein bisschen wie ein zeitgemäßes Pendant zum legendären Fragenbuch „Findet mich das Glück?“ des Künstlerduos Fischli/Weiss. Nur dass uns hier ein gewitzter Autor mit allerlei Antworten bewirft, ohne die zugehörigen Fragen zu liefern. Oder die eine Frage, auf die wir offensichtlich (unbewusst) hoffen. Wenn „Ex“ ein Programm hat, dann vermutlich dieses: „In meinen Räumen liegen bald alle Schrauben der Welt, aber noch nie habe ich daran gedacht aufzugeben, die eine Maschine zu finden.“
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