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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

WHO IS WHO heißt jetzt OHM SI OHM

Hamburg

Kai Pohl, seit vielen Jahren in Berlin als Lyriker, Herausgeber, Verleger of sorts tätig, hat in letzter Zeit einige Bände herausgebracht, unter anderem bei Engstler, Quiqueg und gutleut. Letzterer ist in der grafisch wie gewohnt feinen reihe staben, als Band 9 erschienen. Pohl steuert viele Grafiken selbst bei, in einem schönen Grau in Grau wechseln sich Rauschferenzen als Abschnittsteiler, hüllt ein moribunder Plakatumschlag den Band ein, dessen letzter Teil sich mit Montagen befasst – sowohl textlicher wie wiederum grafischer Ikonen. Tonal füllt Pohl ein großes Spektrum aus, die punktförmigen Bild/ Wortmontagen stehen ebenso wie die Gedichte in einem aufrührerischen Duktus. Irgendwas stimmt hier nicht mit der Umgebung, ihr lyrischer Gegen-Ausdruck ist ein Widerstandsmoment. Hommagen an Matthias BAADER Holst aus verschiedenen Quellen zu cut-ups neugeschnitten, genauso wie Parodien auf Gedichtwaren von Grünbein bis Voss und auch Texte vorliegender Internetseite zeigen Pohl als wachen wie kritischen Beobachter und rebound-Maschine.

Unterm Pflaster flüstern die Ahnen
bis sie vergessen sind/haben
wiederkehren, dasitzen, haushalten, einrichten
in der Behaglichkeit satten Besitzes

Dein schwimmender Blick
streift über abgehackt-versackten Grund
um drei vor zwölf, zur Heuschreckenstunde
hörst du das Gras schreien

Der du-Modus stellt sich häufiger ein, das spiegelnde Element bei der Arbeit. Darüber hinaus ist Pohl interessiert an der sorgfältig durchmontierten Textgestalt, die parallele Anordnungen wie in Das Huhn am Fenster bietet oder im eindrucksvollen, schon erwähnten Plakatumschlag, dessen Innenseite das Streichgedicht heben treten hängen spritzen ziert, eine Assemblage aus Verben, die in einer Art Parcours durch Vorsilben "reisen" müssen. Ein großes, an blinde Streifen erinnerndes, nicht unverstörendes grafisches Poem. Doch neben diesem komplex spielenden math-core, der auch Anne will es, Bruce will es auch und das Manifest des Gerätekommunismus aus dem ersten Abschnitt durchzieht, gibt es in dem Band doch einige, scheinbar völlig rausfallende Gedichte wider das eigene Establishment: ruhige, augenblicksbezogene Natur- oder Reisebetrachtungen, die in ihrer Stille die Gesamtkonzeption von penfields traum entscheidend stützen.

Fragment

die Vögel der Dämmerung
stürzten ab als es dunkel war
über den alten verwilderten Weg
schoben sich Wolken

dazwischen Halbmond
halb Spiegel halb Tod
die Schatten wanderten
mit den Gräsern am Wegrand

 

Gedicht

Sind die Augen zu groß?

Wolken
bedecken den Himmel mit Wolken,
Schneereste, gestautes Licht,
hinter der Biegung des Waldes.

Der Vogel konnte sich retten,
indem er die Luft erreichte.

Die Spanne der Arbeiten beträgt "drei Jahrzehnte", daher sicherlich auch die tonale Breite des Unterfangens, das insgesamt eine reichgeladene Knisteratmosphäre aufziehen lässt, bei der weniger das Einzelgedicht herausragt, als der plakative Gestus aus dichterisch-kompositorischer Anspannung/ Wut mitsamt einem beißenden, frechen Moment, der hart anprallt, wie rau geschnitten an die gegengewichtigen "Augenblickswürfe", die bis auf Haiku-Kürze sich zusammenhungern. Im titelgebenden Gedicht heißt es:

Pflanzt mir die große schattenschwere Welt
direkt in meinen Mandelkern, mein geisterhaftes,
nicht kartiertes Klappern, Klicken, auf daß mein
Schaf, meine Schwalbe jauchzt, daß aufglüht
mein verwirrter Kopf. Elektrisch ist des Gottes
Kern, elektrisch bin ich müd gemacht.

Trotz Lehnsprache und Parodiegestus bringt es die Wuchtigkeit von penfields traum auf den Punkt.

Kai Pohl
penfields traum
gutleut verlag
2016 · 96 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-936826-38-8

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