Um einen Feuerball tanzt ein grüner Planet
Um einen Feuerball rast eine Kotkugel, auf der Damenseidenstrümpfe verkauft und Gauguins besprochen werden. Ein fürwahr überaus betrüblicher Aspekt, der aber immerhin ein wenig unterschiedlich ist: Seidenstrümpfe können genossen werden, Gauguins nicht.
So parodiert Walter Serner in seinem Dada-Manifest Letzte Lockerung 1920 den Zustand seiner Welt. Einem betrüblichen Planeten, bewohnt von Frösche sezierenden Nihilisten; kleineren und größeren Bakterien, die einen mit, die anderen ohne Krawattenschals. Die Erschütterungen des Ersten Weltkriegs hinter sich, einen metaphysisch leer gefegten Himmel über sich, bleiben ihm neben Damenseidenstrümpfen fürwahr auch nicht viele weitere tröstliche Aussichten.
Knapp hundert Jahre später sieht es auch nicht gerade rosiger aus. Ein neuer Begriff war nicht unlängst medial in aller Munde: Anthropozän. Ein neues erdgeschichtliches Zeitalter, in dem der Mensch durch sein Eingreifen nachhaltig und irreparabel Flora und Fauna auf unserem Planeten verändert hat. Wir haben uns eingeschrieben. Der Treibhauseffekt und die Übersäuerung der Meere sind nur zwei Aspekte, die den Menschen zum „Krebsgeschwür der Natur“ machen. Klimawandel, Arten- und Baumsterben, eine ökologische Schreckensmeldung jagt die nächste. Umso erstaunlicher ist es da, dass es sich der brasilianische Fotograf und Fotoreporter Sebastião Salgado mit seinem Mammut-Projekt Genesis zur Aufgabe gemacht hat, die noch unversehrten Teile unseres Planeten zu erkunden und zu dokumentieren. Die frohe Botschaft, die er uns bringt ist: Rund 46 Prozent des Planeten sind noch immer in dem Zustand, in dem er sich bei ihrer Entstehung befunden hat.
Sebastião SALGADO / Amazonas images
Das Ergebnis seiner acht Jahre dauernden Arbeit wiegt knapp vier Kilogramm und umfasst 500 Seiten Schwarzweißfotografien. Wüsten, Urwälder, Meere und die Polarregion hat er erkundet; freundliche Kannibalen und wie im Paradies lebende Indianerstämme besucht. Auf den Galapagosinseln blickt er der Evolution in den Suppentopf, mit Rentierherden überquert er das ewige Eis, auf Papua-Neuguinea besucht er die Korowai, die ihre Häuser auf Bäumen in bis zu 40 Metern Höhe bauen, wenn es gerade Streit mit den Nachbarn gibt.
Genesis, der Titel deutet es schon an, ist eine Zeitreise zum Beginn der Schöpfung. Am eindrücklichsten zeigt sich das in den Aufnahmen von den Galapagosinseln. Unwirtliche, schroffe Felsen, besiedelt von, Tölpeln, Seelöwen und Riesenechsen. Der Mensch ist noch nicht erschaffen. Und doch deutet sich in der Nahaufnahme der Kralle einer Meeresechse schon unübersehbar an, was uns eines Tages von allen anderen Säugern unterscheiden wird: ein Vorläufer der fünffingrigen menschlichen Hand. Vom Meer ans Land, von dort aus hinauf die Bäume und wieder herab hin zum aufrechten Gang war es ein weiter Weg für die Evolution. Die unermessliche Artenvielfalt, die die Natur dabei hervorgebracht hat, lässt Salgados Band erahnen. Ebenso die unermessliche Schönheit, in der sie sich ohne unser Hinzutun arrangiert und formatiert: traumverlorene Wolkenformationen über dem Amazonasbecken, majestätische Eisfestungen am Südpol, ein nächtlicher Sumpf durchzogen von glühenden Krokodilaugen: die Choreografien auf unserem Planeten sind mannigfaltig, ein unentwegter Tanz von Werden und Vergehen.
Anmut findet sich überall dort, wo sich der Geist seiner Selbst gerade nicht bewusst ist, wie es Kleist so schön in seinem Text Über das Marionettentheater postuliert hat: z.B. in einem Reigen von vier nackten Zo`é-Indianerinnen im brasilianischen Regenwald, die sich an den Händen haltend die Becken eines Wasserfalls hinabsteigen. Kein Barock- oder Rokokogemälde könnte diese Grazie übertreffen. Das Erhabene finden wir auch in dem zugleich festen, polareisklaren und doch auch milden, nachsichtigen Blick eines alten Nenzen widergespiegelt. Rentierfellbewehrter Angehöriger eines indigenen Stammes im Norden Sibiriens.
Die Natur ist aber nicht nur der liebliche Hort und die schöne Hintergrundkulisse, sie birgt von jeher auch ein Unberechenbares, Archaisch-Dämonisches in sich, das vom Menschen gebannt werden will. Am Eindrücklichsten verkörpert das in diesem Band wohl die Darsteller des Schlammmenschen im Hochland von Papua-Neuguinea. Eine mit überlangen Krallen bestückte Figur, die eine aus Lehm gebrannte Maske über den Kopf gestülpt hat, ein archaischer Golem.
Salgados Band hat nichts Gekünsteltes, nichts Ausgestelltes. Der Blick des Fotografen ist der eines neutralen und vor allen Dingen sehr geduldigen Beobachters. Salgado hat eine unaufgeregte, gelassene Bildsprache gefunden. Der Effekt ist – auch weil es sich um Schwarzweißfotografien handelt – dass man das Gefühl hat, zeitlose Bilder zu betrachten. Verstärkt werden solche Effekte noch, wenn man sich z.B. bewusst macht, auf den Galapagosinseln in die Augen einer Riesenschildkröte zu blicken, die schon zu Hölderlins Zeiten gelebt hat.
Sebastião SALGADO / Amazonas images
Und dennoch – bei aller Schönheit – oder gerade deswegen: Die Intensität aus Salgados früheren Fotoarbeiten allen voran den monumentalen Bänden Arbeiter (1993) und Migranten (2000), oder den Dokumentationen zur Krise in der Sahelzone erreicht dieser Band nicht. Vielleicht ist das die alte Krux der Kunst: Wo willentlich nur das Schöne und Unversehrte gesucht und gezeigt wird, vermisst man am Ende doch die Tiefenwirkung, die der Schmerz, der Abgrund und das Hässliche dem Leben und der Welt verleihen, kurzum den Schatten. Die Schönheit, die in der Verletzlichkeit und Versehrtheit etwas Grundmenschliches berührt. Die gute alte Kotkugel, in der die Kunst und Damenseidenstrümpfe eine erlösende Notwendigkeit, eine notwendige Erlösungsfunktion haben.
Überaus sehenswert ist auch Wim Wenders Hommage an Salgados Werk, die Dokumentation Das Salz der Erde, die letztes Jahr in die deutschsprachigen Kinos kam und sehr eindrücklich Werden und Wandel im Schaffen dieses charismatischen Ausnahmefotografen zeigt.
Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben