Schicksal spielen in Teheran
Dass Heddy Schmitt, Berliner Klavierlehrerin um die vierzig, eigentlich Hediyeh heißt, wissen nur wenige. Ihre gute Freundin Pia zum Beispiel. Sie ist es, die, selbst von Kummer geplagt, die kurz vor der zweiten Scheidung stehende Heddy ermuntert, nach Jahrzehnten ihr Heimatland Iran zu besuchen. 1979 hielt die junge Frau - die Eltern tot, der Freund verschwunden – nichts mehr in einem Land, in dem sich mit der Machtübernahme der schiitischen Kleriker eine dunkle Zukunft abzeichnete.
Die Kölner Autorin Mitra Gaast legte 2014 mit „Schatten in Teheran“ beim Sujet-Verlag ihr Romandebüt vor. Auch diesmal ist ihr Thema wieder das gewaltsame Aufeinandertreffen von Politik und Privatsphäre, das für die moderne iranische Exilliteratur so charakteristisch ist. Heddy Schmitt steigt mit gemischten Gefühlen in den Flieger gen Teheran. Doch das Land ihrer Kindheits- und Jugendjahre entpuppt sich als fremde Heimat, bei ihrer Ankunft in Teheran hält man sie für eine Ausländerin. So ist sie quasi ein Prototyp des entwurzelten Iraners, Antiheld besagter Literatur.
Immerhin geben vertraute Gesichter Heddy einen gewissen Halt. Ihre ältere Tante bietet ihr Kost und Logis, vor allem aber hat sie ein offenes Ohr für die Nichte. Dank ihrer Gastgeberin steht eines Tages sogar eine alte Schulfreundin vor der Tür. Es ist ausgerechnet die gläubige Mariam, also diejenige, die „Amins Antlitz immerhin kannte“. An jeder Straßenecke wird Heddy von Erinnerungen an den blassen Jungen heimgesucht, der für sie bald mehr ist als nur ein Ferienfreund aus Kindertagen. In Teheran spielt sie für ihn Klavier, bald streifen sie über den Campus, besuchen Cafés, Kinos, Buchläden. Orte, die sie jetzt wieder aufsucht, wie in Trance durch die Straßen Teherans laufend. Heddy ahnt allerdings, „dass die Wirklichkeit hier mich so billig nicht wieder zurücknehmen wird.“
Ende der Siebziger: Das Schicksal, das Heddy und Amin bei ihrem Spiel im Dorf am Kaspischen Meer zusammenführte, meint es nicht mehr gut mit ihnen. Während die junge Frau ihre Liebe zur klassischen Musik entdeckt und Zukunftspläne schmiedet, verschließt sich der angehende Student ihr gegenüber, trifft sich immer häufiger mit seinen Freunden. Die Gespräche drehen sich fast nur noch um Politik. Auch Heddy, die eigentlich lieber die Verse Nezamis liest als Geschichtsbücher, beginnt, sich mit dem Sturz der Regierung Mossadegh und anderen totgeschwiegenen Kapiteln der jüngeren iranischen Geschichte auseinanderzusetzen. Doch 25 Jahre nach den Studentenprotesten gegen den Besuch Nixons geraten Heddy und Amin selbst in gefährliches Fahrwasser. 1979, kurz vor der Besetzung der US-Botschaft, schreien sie Amins amerikanischer Mutter „Yankee, go home!“ ins Gesicht. Kurz darauf verschwindet die Familie spurlos. Was Heddy bleibt, ist die Erinnerung an unbeschwerte Tage im Wald und im vorrevolutionären Teheran, an den „Anfang einer Geschichte“.
Zurück in der fremden, vertrauten Metropole droht Heddy den Boden unter den Füßen zu verlieren. Fast beiläufig erfährt sie von den wahren Todesumständen ihrer Eltern. Noch dazu fällt es der sensiblen Heddy immer schwerer, Realität und Phantasie auseinanderzuhalten. Peu à peu verliert sie ihren Anker in der Zeit:
„Wenn die Zeit ein Felsen wäre, dann hätte sie hier einen tiefen Spalt. Einen Moment lang bin ich in einem Vakuum zwischen Vergangenheit und Jetzt und kann, wie ein Bergsteiger, der in den Felsspalt gestürzt ist, nur langsam und nicht ohne Schmerz wieder Halt finden.“
Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist noch nicht einmal vergangen, schrieb der amerikanische Schriftsteller William Faulkner einst. In „Denn du wirst dich erinnern“ lauert die Vergangenheit förmlich hinter jeder Straßenecke. Doch Mitra Gaasts Figuren schrecken vor ihr nicht zurück. Ihr sezierender, dokumentarischer Blick auf gesellschaftliche Verwerfungen im Iran ist immer auch unverhohlen subjektiv: Schließlich ist Gaast wie ihre Protagonistin in jungen Jahren in die Bundesrepublik emigriert. Das merkt man nicht zuletzt daran, wie sie ihre Ich-Erzählerin mit einem Gemisch aus Distanz und Wärme landestypische Ausdrucks- und Verhaltensweisen erklären lässt. Das im Süden gesprochene Farsi klingt für sie etwa „fast neckisch“. Beobachtungen wie diese machen Heddy zu einer nahbaren Figur.
Andere „Besonderheiten“ des iranischen Alltags beschreibt sie mit einer schonungslosen Unmittelbarkeit. Wenn Heddy etwa ausgelassen tobende Schulkinder unterwegs zur Kriegsausstellung sieht, in der sie sich „die letzten drei Stunden mit brennenden Augen das ausgestellte Grauen des achtjährigen Krieges zwischen Iran und Irak angesehen“ hat. Geschickt verwebt die Schriftstellerin die verschiedenen Zeitebenen, zeigt ganz im Sinne des Faulkner’schen Diktums – und glücklicherweise ohne didaktischen Unterton - wie politischer und privater Raum miteinander verschränkt sind.
Gerade auf wenig beachtete Kapitel der Geschichte Irans macht Gaast aufmerksam. Kaum bekannt dürfte sein, dass Eisenhower Namensgeber eines Teheraner Boulevards war. Auch der Brandanschlag auf das Cinema Rex in Abadan ist eins dieser historischen Mosaikstücke, die Gaast oft in persönliche Anekdoten verpackt. Flashbacks bringen Heddy zurück in den überfüllten Innenhof, in den sie sich vor Schüssen bei einer Demo retten musste, oder zu den ausgelassenen Feiern, als der Shah das Land verließ. Das ist durchaus spannend, obwohl man als Leser nur zu gut weiß, dass mit dem Sturz von Mohammad Reza Shah Pahlavi eben kein Happy End eingeleitet wurde.
Fiktives Reiseprotokoll, Liebesgeschichte und Gesellschaftsporträt unter einen Hut zu bringen, ist ein mutiges Unterfangen. Im Falle von Gaasts Roman ist es leider nur halb geglückt. Schuld daran sind zum einen die ermüdend weitschweifigen Beschreibungen und Dialoge, die dem Leser einen langen Atem abverlangen. Dann ist da noch die Nostalgie-Überdosis, unter der vor allem auch die Geschichte um Heddy und Amin leidet. Dabei bleibt die „Liebe im Ausnahmezustand“ merkwürdig eindimensional. Amin, der sensible Weltverbesserer und Shah-Gegner wird als stiller Held verklärt. Seine amerikanische Mutter wiederum ist ein wandelndes Klischee: blond und blauäugig, ist sie als Tochter eines Landes, das „die Unabhängigkeit erfunden“ hat, voller Verständnis für das iranische Volk.
Auch den anderen Hauptfiguren fehlen die nötigen Ecken und Kanten; freundschaftliche, romantische und familiäre Beziehungen sind fast völlig konfliktfrei. So gesehen spiegelt das farblose Cover – wenn auch unbeabsichtigt - die schwarz-weiße Welt des Romans wider. Das kann auch das spannende Setting in politisch unruhigen Zeiten nicht wirklich wettmachen. „Denn du wirst dich erinnern“ kann immerhin als wichtige Mahnung verstanden werden, sich nicht mit dem Status Quo in der Islamischen Republik abzufinden.
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