Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Vom Dichten und vom Übersetzen

Ein Porträt des neuen Lyrikmagazins „Trimaran“
Hamburg

„Übersetzen ist so gut dichten, als eigene Werke zustande bringen, nur schwerer, seltener - am Ende ist alle Poesie Übersetzung.“

Der Frühromantiker Friedrich von Hardenberg ist es, den der Literaturkritiker Michael Braun in dem neuen, graphisch anspruchsvoll gestalteten Lyrikmagazin "Trimaran" zitiert, in dem es um aktuelle Dichtung aus Deutschland, Flandern und den Niederlanden geht. Braun fasziniert die Einheit von Poesie und Übersetzung, die er auch bei Marina Zwetajewa belegt findet. „Dichten ist nachdichten", schreibt sie,

"Orpheus sprengt die Nationalität, oder dehnt sie so weit und breit, dass alle (gewesenen und seienden) eingeschlossen sind.“

Dieses Zitat könnte das Motto der neuen Zeitschrift sein, die nach dem schnellsten Segelboot der Welt benannt ist, dem mit drei Rümpfen ausgestatteten Trimaran. Das Lyrikmagazin ist in diesem Sommer mit der ersten Ausgabe im Düsseldorfer Lilienfeld Verlag gestartet, und zwar in der Schriftenreihe der Kunststiftung NRW, die zusammen mit der Niederländischen Stiftung für Literatur und dem Flämischen Literaturfonds einen dauerhaften poetischen Austausch zwischen den drei benachbarten Sprachräumen fördern will. Ein literarisches Projekt, das Grenzen überschreitet, das verbindet und somit auch politisch ist.

Dabei ist das Magazin zweisprachig, deutsch-niederländisch, da das Flämische dem Niederländischen gleicht wie das österreichische dem bundesdeutschen Hochdeutsch. Der Mantelteil enthält Listen jüngst veröffentlichter Poesieübersetzungen, dazu Essays, Fragebögen, Lyrikempfehlungen. So sprechen Dichter, Übersetzer, Kritiker, Verleger wie beispielsweise Daniela Seel, Manfred Metzner, Els Moors oder Ester Naomi Perquin über die Gegenwartslyrik ihrer Länder. Im Innenteil des Magazins dann exemplarisch Gedichte in Original und Übersetzung: Lyrikerinnen und Lyriker finden sich im poetischen Dialog, präsentieren und kommentieren sich in diesem Heft im Heft wechselseitig.  

Esther Kinsky aus Berlin und Annelie David aus Amsterdam tauschen sich schon seit langem miteinander aus. Es ist unter anderem der Bezug zur Natur, Thema ihrer in „Trimaran“ abgedruckten Gedichte, der die beiden deutschstämmigen, aber polyglotten Dichterinnen verbindet. Ihre Korrespondenz dokumentiert eindrucksvoll poetische Denkbewegungen und Einflüsse, Gemeinsamkeiten und Unterschiede. So heißt es in den E-Mails vom 25. März 2017:

„Liebe Esther, ich schreibe seit November auch ein Tagebuch über die Vogelstimmen in meinem Garten von morgens fünf bis um sieben. Zwei Tage bevor es stürmt, hört man überhaupt nichts, dann sind sie mucksmäuschenstill. Manchmal denke ich, dass Vögel die einzigen wilden Tiere sind außer Insekten, mit denen wir noch zusammenleben. / Liebe Annelie, wie seltsam, dass wir nie über Vogelstimmen und die Bedeutung für mich gesprochen haben. Habe ich Dir nie erzählt, wie ich in dem Park, um den es in naturschutzgebiet geht, gehört habe, wie die vielen Vögel dort die Piepsfolgen der Chemotherapieinfusionen in ihr Repertoire aufnehmen? Jeder Patient hat bis zu 6 Infusionsbeutel, und jeder Tropf piepst anders, wenn er leer ist. Das hat mich alles so auf tiefere Fragen nach der, Natur’ gebracht.“

Der deutsche Dichter Ulrich Koch und der belgische Lyriker Erik Spinoy fanden erst durch „Trimaran“ zusammen. Unter dem Titel „Der eigene Blick des Anderen“ ergänzen sie ihre Gedichte durch Fotografien und Kommentare. „Denen Dichtung ernst ist, sind die Skrupel, ein Gedicht zu schreiben, an diesen Gedichten ablesbar, und sie kommen gleichzeitig in den großen Genuss, den Leichtsinn, es getan zu haben, zu bezeugen“, schreibt Ulrich Koch über Erik Spinoys Lyrik, die sich beispielsweise in Stefan Wieczoreks Übersetzung so liest:

OHNE WORTE
heilige Fahrräder
freie Schranke
Waschstraße
Waschsalon
Wettbüro
LEDs: Zahnarzt
Neonlicht: Fitnessstudio
Spots: Imbiss

„Ulrich Koch versieht die Poesie mit einem neuen, dringend nötigen Update. Er bringt uns die Lyrik 3.0“, so Erik Spinoy über Ulrich Kochs Werk, für das folgendes Gedicht stehen mag:

ELEMENTARES GEDICHT
Dieses Gedicht beschäftigt weltweit zwei Menschen.
Sein Tätigkeitsfeld erstreckt sich auf fossile Energien,
strategische Punkte, Freihandelszonen und Küsse.
Unter dem Blütenteppich aus Rettungswesten
taucht es apnoisch hindurch,
bis es ein Eisloch findet
und ausatmet.
Allein durch seine Willenskraft ist es lesbar.
Wird es Zeit, erhebt es sich
eine Handbreit über den Boden
und legt sich über dein Gesicht.
Unter der Maske der Assonanzen
atmet die Lexik:
Exit.
Exit.

Informativ, innovativ und inspirierend ist „Trimaran“ - eine gelungene Komposition in zwei Sprachen über Dichtung aus drei Ländern. Auf die nächsten Ausgaben darf man gespannt sein.

Uitgever Kunststiftung NRW & Nederlands Letterenfonds Amsterdam (Hg.)
Trimaran (# 01/2019) / Lyrikmagazin für Deutschland, Flandern und die Niederlande
Lilienfeld
2019 · 136 Seiten · 15,00 Euro
ISBN:
978-3-940357-76-2
ISSN:
2567-1987

Fixpoetry 2019
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge