Unbequeme Einblicke in das Menschliche
Ein Chirurg, der Jungfernhäutchen wieder zusammennäht, damit die Braut bei der Hochzeit „unberührt“ ist. Ein Wärter im berüchtigten Foltergefängnis Evin. Eine Junge Frau zwischen Tradition und Moderne. Aus dieser Dreiecksgeschichte strickt Amir Hassan Cheheltan einen Roman, der tief in die Probleme der iranischen Gesellschaft blickt.
Amir Hassan Cheheltan lebt zur Zeit mit Hilfe eines Stipendiums des DAAD in Berlin. Erst vor zwei Jahren wurde ihm in Iran für sein Buch „Iranische Morgenröte“ der nationale Buchpreis verliehen. Als Ehre empfindet er das nicht. Er hat sich dagegen gewehrt, von einer staatlichen Institution ausgezeichnet zu werden, die seine Arbeit zensiert und ihm verboten hat, öffentlich aufzutreten. Es half nichts. Der Preis werde dem Buch verliehen, nicht dem Autor, so war die Vergabe des Preises begründet worden. Cheheltan, 1956 in Teheran geboren, hat zwei Diktaturen erlebt. Die des Shah und seit 1979 die der Mullahs. Er schreibt seit Jahren für die Frankfurter Allgemeine Zeitung über die Situation in Iran. Eine Situation, die sich unter Präsident Mahmud Ahmadinejad und dann noch einmal nach den Wahlfälschungen im vergangenen Sommer verschärft hat.
„In jeder iranischen Familie gibt es Menschen, die wissen, wie die Gefängnisse des Regimes von innen aussehen“, sagt er melancholisch bei einer Lesung im Kölner Literaturhaus Anfang Mai. Er spricht leise und lächelt oft, aber immer wenn er von Iran spricht ist es ein trauriges Lächeln. Gerade ist sein aktueller Roman „Teheran. Revolutionsstraße“ in Deutschland erschienen. Und nur dort. Bei der Zensurbehörde in seiner Heimatstadt hat er das Buch gar nicht erst zur Prüfung eingereicht. Es hätte keine Chance gehabt. Es ist ein Buch aus der Perspektive der Täter. Die Handlung spielt in den Neunzigern, nach dem Krieg, vor Ahmadinejad. Der Protagonist Fattah ist ein schleimiger, doppelmoralischer Widerling. Er näht Jungfernhäutchen wieder zusammen, und wenn er bei der teuren und geheimen Operation im Keller seiner Klinik einen Preisnachlass gewährt feiert er sich selbst als großen Gönner. Vorehelicher Geschlechtsverkehr kann unter der Herrschaft der Mullahs zu mehr als einem kleinen Problem werden.
Eines Tages erkennt er in seiner Patientin Shahrsad seine unerwiderte Jugendliebe wieder. Oder glaubt es zumindest. Um herauszufinden, wo sie wohnt, fährt er sie nach Hause. Nur kurz zuvor hatte er sie im Operationssaal als Hure beschimpft, die sich mit Jungs rumtreibt. Erst später erfährt er, dass bereits ein anderer um ihre Hand anhält. Mustafa ist jünger als Fattah, im Gegensatz zu ihm, der ihr Vater sein könnte, würde wenigstens der Altersunterschied stimmen. Shahrsads Mutter ist arm, vom Stiefvater kommt keine Unterstützung, die Brautgabe kann sie gut gebrauchen. Also fragt sie nicht weiter nach, als sie erfährt, dass Mustafa im Gefängnis arbeitet. Für die Regierung. Ein ehrbarer Job.
Mustafa ist Wärter im berüchtigten Teheraner Foltergefängnis Evin. In der Frauenabteilung. Nur zu gern erfüllt er seine Pflicht, wenn sein Vorgesetzter Keramat ihm befielt, eines der Mädchen krankenhausreif zu schlagen. Aber um Mustafa macht sich Fattah keine allzu großen Sorgen. Er ist der wohlhabendere der beiden Bewerber, und im Zweifelsfall nimmt er sich einfach, was er will. Als er Shahrsad vergewaltigt bietet er ihr an, alles wieder zu vernähen. Nochmal. Überhaupt: Was hat Mustafa ihm entgegenzusetzen? In den Tagen der Revolution gehörte Fattah den Milizen an, die Wohnungen stürmten und politische Gegner wenn nötig auch mal so lange mit dem Kopf gegen die Wand hämmerten, bis sie tot waren.
Es gibt viele Bücher, die aus der Perspektive der Opfer die Situation in Evin beschreiben, generationsübergreifend. Ein Roman aus Sicht der Täter, die sich keiner Schuld bewusst sind, ist neu, ist ein Wagnis, auch für einen Autor, der im Ausland publiziert. Er beschreibt eine Gesellschaft, die unter dem Druck eines menschenverachtenden und verlogenen Regimes zerbricht. Er beschreibt Täter, die genauso sind wie alle Täter der Welt: Seelische Krüppel, beschränkte Persönlichkeiten, die sich in den Dienst einer Ideologie stellen, die ihnen eigenständiges Denken und Leben abnimmt und ihnen völlige Willkür erlaubt.
Zu Recht wurde das Buch deutschlandweit im Feuilleton gelobt. Auch wenn es sprachlich hier und da etwas holprig wirkt (was vermutlich an der Übersetzung liegt), entwickelt es schnell einen Sog, der den Leser nicht mehr loslässt. Es ist einer dieser Einblicke in Wahrheiten des Menschlichen, die zwar niemand sehen will, denen sich aber jeder stellen muss.
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