Weil er Sich erlaubt und auch das Graben nach ...
Seit 1999 veranstaltet der Ascherslebener Kunstverein im Grauen Hof die Lesereihe „Zeitzeichen“. Jayne-Ann Igel, Elke Erb, Kerstin Hensel waren da, Adolf Endler, Franz Hodjak und Uwe Kolbe, um nur einige wenige zu nennen. Parallel dazu gibt der Lyriker Paul Alfred Kleinert im Verlag UN ART IG ansprechende, fadengeheftete Broschüren zu den Lese-events heraus (die andernorts kraft ihres Umfangs auf voluminöseres Papier gedruckt auch als Bücher durchgehen würden). So auch das Heft „Gedächtnisschutt. Präludien und Gedichte“ von André Schinkel, einem 1972 geborenen Hallenser Lyriker, dem immerhin schon der Georg Kaiser-Förderpreis sowie der Förderpreis für Nachwuchslyriker der Ringelnatz-Stiftung zuerkannt wurden. Das Heft erschien 2008 und generiert sich aus Texten davorliegender Perioden bis zurück in die Jahre seit 1996, als zornige Zeiten zwanghafter Schreibrituale, die Zyklen erzwangen, abgelöst wurden durch Verfahren, die den Texten eigenständigeres Leben zuschrieben. So ähnlich jedenfalls bekennt es André Schinkel in der Nachbemerkung.
„Das Glück ist eigentlich keine Sache, die im Gedicht verhandelt werden muss“ sagte André Schinkel in einem Interview. Im „Gedächtnisschutt“ finden wir dunklen Gesang und ambivalente Versspannung über weite Passagen hinweg, „… denn wir reden / nur noch, unsere Trauer zu kleiden.“ Im Gedicht stellen wir uns den Dingen, und die Dinge stellen sich uns ins Gedicht mit einem eigenen Maß der Erscheinung und werden anwesend. Aber die Dinge sind nicht so einfach, schwer fassbar gerade in ihrer Gegenwart. Alltagsgesten gibt es kaum und wenn, dann brüten hinter ihnen vielleicht Begierde und Lust. Kein Zweifel, daß es die Liebe gibt „jetzt, da dein Blick den meinen versucht“, aber es gibt auch den Schlamm, in dem wir stecken bleiben auf dem Weg und das eigene Wasser, in dem wir davontreiben. Und immer wieder bricht Zerstörung in die Verse ein, ob adjektivisch oder als Verb. Es gibt viel Fleisch, Unmassen Fleisch, Fleischgewitter und sogar „fleisch-kolibris“ – das Fleisch gehört zu uns, es ist blutig, es trägt den Puls herum und vereint uns mit dem Tier, es fragt, aber denkt nicht nach, der schwitzende Körper spricht deswegen nicht lieblos und wenn er blutet, dann ist das, als würde etwas Heiliges aufklaffen und in die kalten Erden der Welt vertropfen. Fleisch ist Körperinneres und Schoß zugleich, rotes Zuhause der Liebe, die ungesprochene Wahrheit, die unsere Blicke vergeilt. All das weiß André Schinkel: „der Künstler will Fleisch und Luftwesen zugleich sein“, schreibt er in seinen Adnoten zum „Löwenpanneau“ (diesem wunderbaren Gedichtband, der 2007 im Mitteldeutschen Verlag erschienen ist und dem der hier zur Rezension vorliegende 2008 erschienene „Gedächtnisschutt“ eigentlich in der Entwicklung vorgeschaltet ist).
Der Künstler lebt nicht allein aus dem Geist. Er ist viel mehr sinnlich verflochten mit dem Dasein und Poesie ist sein Mittel beides und eigentlich noch ein drittes in sich selbst zu vereinen – sowohl die Erde, in die er verwurzelt ist und von der aus er ins Licht zielt, sie macht seinen Gang und seinen Stand wankelmütig oder sicher, wie auch das Blut, das ihn überall durchströmt und durchpocht als dunkle Wärme, selbst in den Worten, als Rhythmus, als tickende Zeit und als Gegenüber des Todes, vereinzelt und vom Sterben beleckt , als auch die Luft, das Projekt in den Wolken, der Geist und seine Tragödien und Schmerzen der Freiheit. Der Künstler kann in der Zeit nicht anwesend sein, solange er zerrissen ist zwischen Erde, Fleisch und Luft. Kein Mensch kann das, auch wenn die Moderne behauptet, wir brauchen die Erde nicht mehr.
André Schinkel hat in seinen Anfängen zornige Gedichte geschrieben, in denen diese Zerrissenheit tragend war. „Wenn du dich erhebst, schlägt flirrendes / licht nach deinen tentakeln, bevor die / gestirne in finsternis gehen.“ – immer wieder führt der Drang ins Licht doch ins Dunkel, besser: immer noch. Aus dem täglichen Scheitern werden bei Schinkel „Scheiterungen“, aus dem Verb, an dem wir beteiligt sind, werden Sachen, die nicht zu vermeiden sind, Dinge aus dem Katalog, die man abrufen kann – das Schmerzvolle ist, dieses Scheitern bewusst als Folge einer viel tieferen Trauer zu erleben, erleben zu müssen.
„... der Platz der Literatur ist der Monolog.“ meinte Wolfgang Hilbig 2002 in seiner Dankesrede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises. Auf sehr viel mehr darf der Dichter heute nicht hoffen, als diesen seinen Monolog einem Leser anzubieten, ob dieser nicht bereit sei das Gesprochene in den eigenen inneren Monolog mit aufzunehmen. Der Monolog ist die natürliche Zwiesprache mit der Welt in der Welt der Vereinzelung. Er ist quasi dem Wuchs eines Baumes vergleichbar, Sätze und Gedanken legen sich um uns wie Jahresringe. Eine Monologistik organisiert uns. Und der Dichter durchbricht dieses Gebot des Alleinseins. Er teilt mit. Die Mit-Teilung ist die Einladung zur Teilhabe. André Schinkel nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, er wagt sich auf altes inneres Gebiet, dessen Relief er uns in manchmal fast stakkativen Bilderfolgen und durch weit ausgreifende, schwingende Satzharmonien abruft. Es gibt bei ihm allgegenwärtig den schönen Satz („auf die abgegrasten felder der nacht fällt abschied“), und er hat keine Einwände gegen Schwermut und Trauer. Wo doch heute jeder nur den Strahlemann macht und Selbstbilder performed, die ihn attraktiv erscheinen lassen. André Schinkel steht 1:1 in seinen Landschaften und schneidet nichts weg. Er umgeht nichts und geht mit allem um - deriviert, konversioniert, komponiert. Er entführt uns mit seiner wundervollen Sprache voller oft neuartiger Wortfelder, gekonnter Umwälzungen und archaischer Brisanz in einen monologischen Fluß, der kraftvoll wie aus Staumauern hervorbricht. Selten gab es ähnlich mitreißende Lyrik in den letzten Jahren, Jahrzehnten. Man muß in Zeiten tiefgreifender Wandlungen zurück, um Vergleichbares zu finden, in die Jahrhundertwende zum Beispiel und kurz davor und danach, zu Rimbaud und zu manchen Expressionisten. Schinkel ist angstfrei unterwegs in seiner Sprache und deshalb wach in der Welt. Er kann zaubern, weil er sich erlaubt und das Graben nach, die Archäologie.
Katzenfragment
Wir, da wir an Novalitis erkrankt sind
und gebeugter verliebter Trauer; unsere Wege
laufen im Kreis, unsere Wege führen nicht
an den Katzen vorbei; wir müssen die heiligen Tiere
lieben: ihren sanften Raubtiergeruch, ihr Fleisch-
gebaren, ihre Würde im Betteln.- Wir
suchen sie noch, in den Gräberfeldern muten
ihre gedörrten Hüllen wie Schätze; wir wissen,
nun, da unser Blick bis zu den Gebirgen hingeht,
weit bessere Arten der Trocknung, so
geht vor den Balsam der Rauch; und wir nennen
sie Geliebte, wir haben sie in den Fenstern
liegend, gestreckt, in den Betten, am liebsten;
über die Höfe, die uns nicht gehören, die wir
doch bewohnen, nähert sich uns der heimliche Gott
aus der Katze, schnurrt und schmeichelt und
schnürt. Wir sind, um Schalen zu füllen,
hilflos vor Liebe, mit Milch. In unsern
Mäusewohnungen leben sie schon, haben sie
ihre seidigen Körper abgelegt und warten
uns auf; ängstlich gehn wir durch die
Stuben, leise, die Schritte vermeidend,
auf Stille bedacht, noch ehe ihr Schlaf ge-
stört sei, ehe die sanfte Rache uns trifft, in
ihren gelben Augen zu schwimmen, in ihren sauren
Mägen zu träumen ...
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