Korrekturen gegen die Angst
Als Film war die Novelle unter dem Titel „Rewers“ der polnische Oscar-Beitrag 2009. Im Schöffling & Co. Verlag erscheint Andrzej Barts Titel „Knochenpalast“ nun in der Übersetzung des renommierten Albrecht Lempp als Hardcover.
Zwei Zeiten werden in der Novelle erzählt: Warschau im Winter 1952/53 und Warschau zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Die gealterte Protagonistin Sabina sitzt in der Empfangshalle des Flughafens und wartet auf ihren Sohn, der in Amerika lebt und sie mit seinem Freund in Warschau besuchen wird. In großflächigen Rückblenden erzählt „Knochenpalast“ innerhalb dieses Rahmens von der jungen Sabina im stalinistischen Polen, Lyriklektorin in einem Verlag, alleinstehend und kinderlos. Dem steten Druck ihrer Mutter und Großmutter, in deren Wohnung sie noch lebt, ausgesetzt, lernt sie endlich einen Mann kennen. Charmant verführt Bronislaw die fast 30-jährige Sabina, nachdem er sie vor einem vermutlich inszenierten Überfall in den verlassenen Straßen Warschaus bewahrt hatte. Während die Familie froh über dessen Erscheinen ist, verliebt sich Sabina, um schließlich bei einer Verabredung in ihrem Elternhaus von ihm vergewaltigt zu werden.
Daraufhin verlangt Bronislaw von Sabina die Bespitzelung ihres Verlagsleiters. Als sie sich weigert, erfährt Sabina, dass Bronislaw vom Verbleib der Dollarmünze weiß, die ihre Familie nach einem Dekret hätte aushändigen sollen und die Sabina daraufhin heruntergeschluckt und nach dem Ausscheiden immer wieder gereinigt von neuem geschluckt hatte. Als Bronislaw daraufhin nach einem Likör verlangt, mischt sie, gedemütigt und in Gefahr, Gift aus dem Arzneischrank der Familie bei.
Verstörend fällt die holprige Sprache der Novelle auf. Die vielen einander folgenden Hauptsätze erzielen eine Einfachheit, die über weite Strecken ungelenk wirkt. Im letzten Drittel der Novelle löst sich das Problem teils auf. Handwerklich fallen jedoch auch die Perspektivwechsel ins Gewicht, die fehlerhaft wirken. Mal personal, mal auktorial erzählt Bart seine Figuren. Irritierend, gilt doch Andrzej Bart, folgt man Marta Kijowskas Zitat aus der Neuen Zürcher Zeitung auf dem Buchrücken, als „der neue Start der polnischen Literatur“. Auch Albrecht Lempp gilt als renommierter Übersetzer.
Vielleicht sind die literarischen Schwächen der Novelle darauf zurückzuführen, dass die Geschichte zunächst als Drehbuch existierte, welches hier nun in Buchform nacherzählt wird.
Ärgerlich ist auch das Frauenbild des Erzählers. Lobt der Chef des Lyrikverlages einmal „geraten (...) Brüste vor lauter Aufregung in Wallung“ und den Frauen steigen vor Freude sofort Tränen in die Augen. Bronislaws Erscheinung ist in Sabinas Augen die eines „Mann(es), der herrlicher zu sein scheint als alles, was nicht nur diese Straße je gesehen hat.“ und sie findet naiv, „In der Stimme von Bronislaw klingt eine Bestimmtheit, die eines echten Mannes würdig ist.“ Referiert Bart auf das Geschlechterverständnis der 50er Jahre in Warschau, hätte der Autor gut daran getan, erzählerisch oder stilistisch Distanz zum Dargestellten einzunehmen. So verführen diese Ärgernisse, die sich häufen, allzu leicht zu einem Abbruch der Lektüre.
Leicht könnte man so die böse Wende verpassen, wenn sich Sabina und ihre Mutter emanzipieren und den toten Bronislaw in der Badewanne im Atelier des verreisten Bruders in Salzsäure auflösen, die Säureflaschen in ganz Warschau in einzelnen Mülltonnen stecken, seine Kleidung in einem Koffer auf dem Markt stehlen lassen, Bronislaws Pistole und Brieftasche mit dem Ausweis der Staatssicherheit in einen Fluss werfen und die Knochen schließlich in die Baugrube des Warschauer Kulturpalasts, Stalins Geschenk an Polen, stoßen.
Vor ihrem Sohn, dessen Vater Bronislaw ist, hält sie seine Identität geheim, erzählt ihm stattdessen, sein Vater sei im Widerstand gestorben. Trotzdem entzündet die alte Sabina wegen Bronislaws Vaterschaft Jahr für Jahr eine Kerze am Kulturpalast.
Der Prolog weist darauf hin, dass Andrzej Bart mit „Knochenpalast“ seinen eigenen Roman „Rien ne va plus“ weiter- oder vielmehr umgeschrieben hat. Als Bozena taucht die Figur der Sabina dort zum ersten Mal auf. Auch in „Rien ne va plus“ ordnet der kommunistische Staat an, dass alle Devisen abzugeben sind. Wie Sabina, schluckt auch Bozena eine Münze der Familie und säubert sie nach dem Ausscheiden immer wieder, um sie erneut hinunterzuschlucken. Als der Staat Bozenas Widerstand mitbekommt, begeht diese Selbstmord. Sabina dagegen entgeht dem Selbstmord gerade so. Angstbesetzt sind die Repressionen nach wie vor, aber Bart korrigiert sich mit seiner Novelle, indem er der Erzählung einen bitterbösen Sieg über die stalinistische Repression einschreibt.
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