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Kritik

Poesie, die von der Musik lebt und nicht von Gymnastik

Literaturpreise gibt es mittlerweile sehr viele in Deutschland und bisweilen lässt sich mutmaßen, daß so mancher Preisträger erwählt wird, weil überforderte Jurys sich auf einen Nenner einigen, der nur den kleinsten gemeinsamen darstellen kann, das sprachliche Können. Dabei ist manche überbordende Sprachakrobatik fehlenden Inhaltsimpulsen geschuldet und spiegelt eigentlich nur weit aus den eigenen Kopfereignissen zusammengeführte Sprachfilamente als ein glänzendes Textil. Solche Texte/Texturen sehen sprachmächtig aus und auch nach einiger Mühe, und wenn sie sich dabei noch klug und gewollt dem Verständnis entziehen, dann bieten sie auch keine inhaltlichen Streitflächen, an denen sich Jurymitglieder entzünden könnten. Das inhaltsarme Gedicht hat es heute einfacher als früher, teilweise wird es mehr geschätzt als das lebendige, das den Ringkampf zwischen ichhaltiger Welt und welthaltigem Ich noch nicht ganz hinter sich hat, sondern genau davon berichtet.

Umso erfeulicher, daß es stets auch so besetzte Jurys gibt, die noch wirkliche Poesie als preiswürdig erkennen. Poesie, in der das Sprechen ein mitteilsamer Akt ist und nicht das subjektive Heu-Umschichten im Gehirn. Der aus Anlass des 1993 gefeierten Stadtjubiläums in Münster erstmals vergebene und seitdem alle zwei Jahre veranstaltete „Preis für Europäische Poesie“ hat mit Urs Allemann, Michael Braun, Cornelia Jentzsch, Johann P. Tammen (die horen) und Norbert Wehr (Schreibheft) doch namhafte Kompetenz in seiner Jury 2008/2009 walten lassen können und mit dem rumänischen Dichter Caius Dobrescu und seinem Übersetzer Gerhardt Csejka (der u.a. auch Mircea Eliade übersetzt) und dem Werk „Ode an die freie Unternehmung“ Poesie von europäischer Bedeutung ausgezeichnet. Weil sich seine Gedichte „in Grenzbereiche vorwagen, wo Bild, Klang und Gedanke sich gegenseitig den Boden unter den Füßen wegziehen, was zu mirakulösen Debakeln, poetisch wie intellektuell reizvollen Katastrophen führt…“, wie es in der Begründung der Jury heißt.

Es sind nicht nur die Grenzbereiche, sondern vor allem die Urbereiche, in denen das Überwinden stattfindet, gerade das Überwinden von Grenzen. Dobrescu findet den Boden unter dem Bodenlosen, der plötzlich aussieht wie ein Netz, ein virtuelles Geflecht, in dem „unsere Risse tatsächlich / Schnittmuster sind, / zusammengehalten durch die ihnen / innenwohnende Spannung am Kreuzweg / sämtlicher Möglichkeiten.“ Daß die Welt nicht im Faktischen sein kann ohne das Mögliche, das davor war. Ohne das Scheiden und Entscheiden. Die „Ode an die freie Unternehmung“ ist kein Gesang auf unternehmerische Leistung auf dem Boden einer neoliberalen Wirtschaftsgläubigkeit, sondern ziemlich genau auf das kosmische Untergrund-Flackern und Vibrieren, das sich in alles hinein fortpflanzt, weil alles daraus entstand, unter anderem Ihr Bildschirm und natürlich auch Sie, wie sie vor ihm sitzen und diese Zeilen bei fixpoetry lesen. Eine erstaunliche Leistung für so kleine Dinge wie Elementarteilchen, die noch dazu nie wirklich miteinander verschmelzen, sondern immer nur chaotisch umeinander fliegen. „… wie wenn sie sich wechselseitig lange gestreichelt hätten“,  spekuliert Dobrescu über den Grund ihrer Vibrationen. Er schmeißt Zeit, Raum und Dinglichkeit bewusst durcheinander. Die Geschwindigkeit schneidet sich ins Auto wie ein Messer und nicht das Auto in die Welt. So schenkt er uns faszinierende Blicke, entwirft surreale Panoramen und entwickelt darin bildhaft Geschichten. Mit immer wieder neuartigen Beschaffenheitsbefunden in seinen Versen: „Weintrauben wie Protonenrispen“.

35 Gedichte versammelt der Band und jedes einzelne von ihnen heißt gleich wie das andere „Ode an die freie Unternehmung“ – weil jedes einzelne aus und für diesen grundsätzlichen Geist der Unbestimmtheit geschrieben ist, der aller Existenz zugrunde liegt und aus der sich jede Unternehmung erst lösen muss und damit eine neue Welt und mit ihr schon wieder neue Weltmöglichkeit und so weiter und so fort kreiert. Ich unter-nehme etwas heißt: ich lege stattdessen dem Etwas mich selbst zugrunde.

Herausgeber Ludwig Hartinger hat es in seinem Nachwort bestens formuliert: „… ein fein gesponnener Tangentenkranz um Nichts als das Unermessliche von wirklichen Unwirklichkeiten, deren innere wie äußere Horizonte, ihre leiblichen, vegetativen, materiellen, kosmischen Dimensionen, ihre Schwebe in jedem Augenblick.“ Die Unbestimmtheit und der natürliche Zweifel am Manifesten, der angebrachte und notwendige, das Verschwinden des Materiellen hinter der Vibration, genau das ist Dobrescus Thema und wie er es zu Gedichten ausflocken lässt in seinem bilderreichen Erzählmodus, das ist von derselben Musik, die er hinter dem Wesen der Welt vermutet: Jede Note ist eine Frage in die Leere der Raumzeit nach einem möglichen Spiel.

Das Buch erschien 2006 als bibliophiles Werk in der österreichischen Edition Thanhäuser.
Nun liegt es in einer preisgünstigen, aber ebenso recht edel zu beschauenden Paperbackvariante im Daedalus Verlag von Joachim Herbst vor. Die „Ode an die freie Unternehmung“ zeigt sehr schön, wie man moderne Inhalte und modernes Bewusstsein ins poetische Sprechen bringt ohne dabei die Sprachgymnastik des hermetischen Gedichtes aufführen zu müssen. Im Grunde genommen ist dasjenige Gedicht das zeitgemäße, das in seiner eigenen Zeit das Gefühl vermittelt zeitlos zu sein. Das ist das Kennzeichen großer Poesie und davon steckt doch manches in diesem schmalen Buch, in dem nicht alles, aber sehr vieles gelungen ist.

Caius Dobrescu · Ludwig Hartinger (Hg.) · Hermann Wallmann (Hg.)
Ode an die freie Unternehmung
Übersetzung:
Gerhardt Csejka
Daedalus
2009 · 48 Seiten · 9,00 Euro
ISBN:
978-3-891263112

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