Atari-Breakout zu Pferde
Charlotte Warsen macht es Zuhörern ihrer Gedichtlesungen nicht unbedingt leicht – statt mit einer Person beschleicht einen mitunter das Gefühl, es mit zwei, drei oder vier Lesenden zu tun zu haben, so raffiniert moduliert sie, und das mit einer lässigen Haltung, zum Teil während nur eines Gedichts Stimmlage, Geschwindigkeit und Intonation. Das macht aber auch den großen Reiz daran aus, Charlotte Warsens Lesungen zuzuhören, wenn einmal das Eis gebrochen ist.
Auf dem Papier sieht die Sache dann noch einmal anders aus. Aber nicht im Negativen, soviel sei vorab verraten. Zunächst einmal ist das im Wiesbadener Luxbooks-Verlag erschienene schmale Bändchen Vom Speerwurf zu Pferde eine ästhetisch sehr angenehme Angelegenheit, im Vergleich zu Jan Skudlareks Debüt Elektrosmog wurde dazugelernt, nämlich ein feineres Papier ausgewählt und, ja, auch das zählt zu den paratextuellen Merkmalen, die in eine Rezension miteinbezogen werden dürfen, das Buch riecht einfach gut.
Etwas irritierend ist dann aber doch, zumindest auf den ersten Blick, die Tatsache, dass sämtliche Gedichte sowie Buchtitel, Impressum und Klappe von Vom Speerwurf zu Pferde im Querformat präsentiert werden. Da hat man das schöne Buch in der Hand, klappt es auf, und muss es erst einmal umdrehen. Eine gezielte Leser-Irritation, vielleicht. Man könnte es allerdings auch verspielt nennen, und unhandlich ist es, ganz so wie das auch wunderschöne, aber aufgrund dieses Umstands ebenfalls etwas schwer zu genießende Debüt Zunder von Ulrike Almut Sandig aus dem fernen Jahr 2006.
Tatsächlich hat die Drehung des Textblocks um neunzig Grad aber Methode, wie beim Lesen schnell festgestellt werden kann: Die abgedruckten 46 Gedichte Charlotte Warsens, die sechs unterschiedlich lange Blöcke, lautmalerisch („flu flu flieder”) bis geographisch („die karelischen grenzen”) betitelt, bilden, nehmen viel Platz ein und breiten sich großzügig auf den Seiten aus. Es geht dreizeilig los, aber schon ab Seite 25 beginnen sich die Worte der einzelnen Gedichte wie die fliegenden Balken aus dem Arcade-Klassiker Breakout frei und mit großem Durchschuss auf dem Papier zu verteilen. Das ist ein in seiner Originalität schöner und gelungener Effekt, der aber auch auf Charlotte Warsens künstlerischen Hintergrund verweist. Die 1984 in Recklinghausen Geborene studierte in Düsseldorf Malerei, unter anderem bei Markus Lüpertz, bevor sie zu Philosophie und Amerikanistik wechselte; derzeit promoviert sie über die bildende Kunst im politischen Zusammenhang.
Was außerdem noch sofort auffällt beim Blick auf die Textebene dieser visuell sehr gelungen komponierten Gedichte: Charlotte Warsen kann problemlos ohne Punkt und Komma schreiben. Das ist insofern ebenfalls sehr positiv zu bewerten, als es dem Text, besonders wenn er die Seite nahzu vollständig ausfällt, ein wenig von der Schnelligkeit und Unmittelbarkeit wiedergibt, den er im Vortrag zweifelsohne hat.
Wald, Bisons, Gebüsche, Küste, Sonne, Antarktis: Eine klar erkennbare Naturverbundenheit durchströmt diese Gedichte, und auch das tut ihnen gut. Der Klappentext informiert, dass Charlotte Warsen einige Zeit in Finnland verbrachte; aber auch vom kalifornischen Mono Lake, Dromedaren und den Kanaren sprechen diese Gedichte. So lässig sie beim mündlichen Vortrag daherkommen, so trotz aller Komposition auch wieder unglaublich entspannt erscheinen hier auch die Worte, Zeichen und auch das ein oder andere Zitat nebeneinander gerückt, so wie dieses hier, das aus einem Märchen des amerikanischen Ureinwohnerstamms der Caddo stammt:
Und sooft er sich auch im Grase wälzte, stets stand er als Mensch wieder auf, er hatte die Kraft verloren, sich in einen Büffel zu verwandeln.
Aber auch Charlotte Warsen selbst soll zumindest kurz zitiert werden, mit einer repräsentativen Stelle, der ihren Sinn für Sound und Bildhaftigkeit sehr schnell deutlich werden lässt: „abgerollt: der himmel hell und hoch die drolligen tüten. verführungsfuzzi und verfilzte hebfigur/die zahlt und strahlt zerplatzte haare, plastik, combat, knurren, qual: er nimmt aus rosa futteral/schonmal den wink heraus hebt/wolkenfutter unter”.
Natürlich ist das nicht zuletzt auch eine Sprach- und Lautpoesie, die keine klassischen Strukturen mehr befolgt und den hartnäckigen Ruf hat, etwas Schweres und Unnahbares mit sich zu tragen. Über Wahrheit und Unwahrheit solcher Zuschreibungen hier zu diskutieren, würde den Rahmen sprengen und ist vielleicht ohnehin eine müßige Angelegenheit. Im vorliegenden Fall kann dieser Vorwurf jedenfalls keinesfalls zur Geltung kommen: Diese Gedichte sind federleicht und fräsen sich in die Hirnrinde. Somit dürfte Charlotte Warsens Gedichtband nicht nur die freuen, die ohnehin schon Lyrik-Freunde sind, sondern vielleicht auch diejenigen, die es noch werden wollen. Und das ist ein nicht zu unterschätzender Vorzug dieses in seiner ganzen Eigenwilligkeit sehr schönen Gedichtbands.
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