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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Von der Zärtlichkeit des Skandals

Eine Werkschau, die als Autobiografie fungiert: »OK DJ« versammelt Bilder des Fotografen Daniel Josefsohn, der wie kein anderer auf brutale Art zu intimisieren weiß.
Hamburg

Mit dem Mund umklammert er eine Filterzigarette, die Hände sind über der Jack Daniel’s-Jogginghose gefaltet und in der Brusttasche seines braunen Sakkos steckt etwas, das wie ein Busfahrplan aussieht. So sitzt Daniel Josefsohn in seinem Rollstuhl und blickt versonnen-amüsiert an dem kleinen Rotschopf vorbei, der die Hand tief in der Jeans vergraben hat; vermutlich, um sich am Arsch zu kratzen. Aus dem Hintergrund starrt uns ein anderer Rollstuhlfahrer frontal in die Augen. Seine Hände sind ebenfalls gefaltet, jedoch ist er in einen eleganten taubenblauen Anzug gewandt und schaut ernst, sehr ernst drein. Das ist Martin Kippenberger, porträtiert von Martin Kippenberger.

»Mein erster Ausflug in die Kultur, zehn Monate nach meinem Schlaganfall«, schreibt Daniel Josefsohn zu dem Bild in seiner ZEIT-Foto-Kolumne Am Leben, die er seit dem tragischen Einschnitt gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin führt. »Im Schlepptau mein kleiner Sohn Milo. Ich war angefressen, und Milo hatte ebenfalls sauschlechte Laune. Irgendwann standen wir alle vor dem Kippenberger-Selbstporträt. Die Ironie der Ironie der Ironie. Der erste gute Moment. Danke, Kippi. You made my day. « Das sind ebenso lakonische wie zärtliche Worte, sie klingen wie viele von Josefsohns eigene Bilder aussehen. Das macht sie so brutal: Kein Skandal, der nicht mit ungemeiner Zärtlichkeit forciert wird.

In OK DJ, der längst überflüssigen Werkschau des ehemaligen Kreativdirektors der Berliner Volksbühne, sind den großformatigen Fotografien, Collagen und digitalen Montagen Josefsohns jedoch keine seiner so knappen und doch vielsagenden Kurztexte nebenbei gestellt. Das lässt sie gleichzeitig umso ambivalenter wie auch stärker wirken. Das Josefsohnsche Kippspiel zwischen Identität und Befangenheit flackert noch krasser. Warum halten zwei US-amerikanische Polizisten debil lächelnd Rainald Goetz‘ Rave in die Kamera? »Den Cops auf dem Farmers Market in L.A. erklärte ich, dass sie für Berlins wichtigstes Anti-Drogen-Buch posieren könnten«, erklärt Josefsohn in der ZEIT, nicht aber in OK DJ. Die kontextualisierenden Worte rauben dem Bild seinen bizarren Witz, ersetzen ihn durch einen harmloseren.

Dabei ist es gerade dieser Witz, der Josefsohns Fotografie für die Miststück-Werbekampagne des Musiksenders MTV, das Hamburger Stadtmagazin Prinz, die SZ, die ZEIT und das jetzt-Magazin wie auch später seine Arbeiten für die Berliner Volksbühne, so schlagkräftig machen. Da wäre zum Beispiel der in weiße, eingenässte Unterhosen gekleideter Mann mit Papiertüte auf dem Kopf – eine Anspielung auf Harald Ewert, der 1992 mit vollgepisster Büx mit erhobenem Hitlergruß seinem Volk zeigte, warum es eigentlich stolz auf sich sein kann. Die deutliche visuelle Referenz verlächerlicht das Original auf schreckenerregende Art. Ebenso die AK47, in die der Jude Josefsohn die Worte »I ♥ Jews« eingraviert hat; das Papst-Bild mit der Unterschrift »S.O.S. Kinderdörfer« vor der rasierten Vagina oder die rote, von einem »Disco Sucks«-Button geschmückte rote Burka – gerade ohne die zum Teil so einfühlsamen Worte Josefsohns entfalten seine Bilder ihre Bedeutungen. Welche das immer auch sind.

OK DJ ist ebenso eine Werkschau wie es Josefsohn als Autobiografie dient. Er zollt dort seinen Helden wie etwa Jim Jarmusch und Helmut Newton in ihrer eigenen Bildsprache Tribut, legt seine Einflüsse offen. Er verarbeitet seine lebenslange Faszination mit dem Skateboarden und mit bizarren Collagen die eigene Kindheit und Jugend in den USA. Seine jüdische Identität spielt genauso sehr eine Rolle wie seine Familie, deren innigste Momente er nach außen kehrt wie etwa mit dem Nabelschnurfoto von der Geburt seines Sohnes Milo, der sich Jahre später unter dem strengen Blick Kippenbergers am Arsch kratzen wird.

Auch offenbart er eines der unheimlichsten Leitmotive seiner Kunst:  Josefsohn turnt auf der Quadriga herum, er stellt auf dem Tian’anmen-Platz die historische Szene von 1989 nach und hält vor der Klagemauer Jerusalems inne – alles behelmt mit der Kopfbedeckung der Stromtroopers aus den Star Wars-Filmen, die laut Klaus Honnef für Josefsohn »den Typus des unbekannten, anonymen Streiters« symbolisierten. »Der zeigt sein Gesicht zwar nicht, ist aber immun gegen die alltägliche Korrumpierung des Daseins und dokumentiert dies auch«, legt der Kunstkritiker in einem der drei den Band begleitenden Essays dar. Aber: Geht es Josefsohn wirklich darum, Immunität zu schaffen?

Viel eindrücklicher zeigt OK DJ eigentlich ein Ringen um Intimität in der Anonymität einer kapitalistisch durchdrungenen Gesellschaft. Setzt er wieder und wieder Nacktheit ein, dann nicht, um mit Pornografie zu schockieren – sondern um eine Nähe zu schaffen, die durch Reizüberflutung kaum mehr möglich scheint. Kaum jemand hat Prominente dermaßen ihrer Rolle entrückt dargestellt. Der steif und hilflos herumstehender Franz Beckenbauer, die Klitschko-Brüder im kleinbürgerlichen Milieu, Monica Lewinsky in enger Umarmung mit dem Fotografen – indem Josefsohn die Subjekte seiner Fotografie dekontextualisiert, ringt er ihnen ihre menschlichsten, weil verletzlichsten Seiten ab. Der Skandal in Josefsohns Bildern liegt in ihrer Zärtlichkeit begründet, in ihrer Liebe zu den Menschen, die darauf zu sehen sind.

»Ein gutes Foto ist wie ein Blumenstrauß, der einem durch die Luft zufliegt. Es ist nicht ganz unwichtig, wo man steht«, schreibt er in der ZEIT zu einem der Bilder, die auch in OK DJ zu sehen sind. So viel politische Ambivalenz Josefsohns Bildern inne ist, er scheint immer auf der richtigen Seite zu stehen.

Daniel Josefsohn
OK DJ
Texte von Nadine Barth, Klaus Honnef, Karin Müller, Gestaltung von Mirko Borsche, Tania Parovic
HATJE CANTZ
2014 · 160 Seiten, 88 Abb · 29,80 Euro
ISBN:
978-3-7757-3881-1

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