Das Einzigartige ist hinterm Schleier
In jeder Sprache schwingt ein Ton, den wir hören können, auch wenn wir einen Text nur lesen. Wir hören ihn und interpretieren daraus eine Gebärde, denn es ist nicht nur das Wort selbst, das wir hören, den aus Buchstabenmaterial gewonnenen Begriff, sondern auch sein gesamtes Umfeld, das komplette Beziehungssystem, in dem es auftaucht, seine Verhältnisse. In uns entsteht ein synchroner Querschnitt möglicher Bedeutungsebenen und wir finden empathisch darin aus allen Vagheiten die unserer Erfahrung entsprechende, wahrscheinlichste Bedeutung heraus.
In Gedichten kann man damit spielen, man kann solche Töne bewußt wählen und damit ganz bestimmte Verhältnisse andeuten, man kann – wenn man es kann – eine komplette Lebensgebärde in ein Gedicht verpacken. Und man kann solche Töne kultivieren, so daß sie letztendlich fester Bestandteil des eigenen Schreibens werden. Oft hört man von Lyrikern, sie seien auf der Suche nach dem eigenen Ton – der Wunsch nach Originalität ist der Wunsch selber das Original dieses Tones zu sein. Also das, was diesen Ton genau so macht – so und nicht anders. Die authentische Quelle der Gebärde.
"Beim Schreiben bekomme ich Flügel und setze einiges in Brand. Beim Schreiben fische ich den Tod aus der linken Tasche, werfe ihn an die Wand und fange ihn wieder auf" schrieb Bukowski im September 1991 in seinen Tagebüchern. Er litt damals schon an Leukämie und wußte, daß er sterben würde. Schreiben war seine Art, dem Leben etwas abzutrotzen, das mehr war, als das, wonach es zumindest äußerlich aussah. Das Faszinierende an seinen Büchern ist ja, wie gnadenlos er mit sich selbst, aber auch mit anderen umgeht, „kein Blatt vor den Mund nimmt“, wie er in wirklich intelligenter Selbstbetrachtung stets auch das Bittere seiner Selbstinszenierung herausfiltert und es ohne es mit Erklärungen zu verwässern oder zu schmücken vor uns hinstellt. Es geht um Klarheit und Lüge, es geht um Authentizität.
Darum geht es auch vielen Bukowski-Epigonen, die mit eigenen Sauf- und Fickgedichten meinen im Schreiben angekommen zu sein. Aber ihr Ton ist eben oft nur eine Imitation, man versucht in sich etwas nach dem Original zu stimmen, und wenn das Geschriebene bestimmte Chiffre, Begriffe und Kennzeichen aus vermeintlich denselben Themenkomplexen enthält, wähnt man sich, wenn nicht auf Augenhöhe, so doch wenigstens in der Nähe des Originals.
Bukowski hat vorgemacht wie radikal das Sehen sein kann, aber Radikalität des Sehens hat nicht unbedingt zu tun mit seiner Konsequenz, die nur eine Begleiterscheinung ist (und das in den Büchern Geschriebene aufbewahrt), eine Sequenz, die auftaucht und sich abspielt, nachdem man den Blick darauf gewendet hat. Es ist eigentlich belanglos, was dieser Blick sieht, wichtig ist sein Vorhandensein, seine besondere Schärfe, sein eigentümlicher Focus. Bukowski hätte wohl selbst als Mönch im Mittelalter in seiner Einzelzelle vom Wichsen und von Klosterärschen gesprochen – seine anscheinend respektlose Direktheit war für ihn gerade ein Mittel des Respekts vor dem Leben. Nur indem er die Schleier zerriß, konnte er zu etwas wie Ehrfurcht kommen.
Manche durch Buk inspirierte Schreiber meinen aber, das, worauf der Blick fällt sei das Wichtige und Notwendige und müsse dem entsprechen, was der Meister vorgelebt hat. Also schaut man sich in seinem Leben um, ob es Details gibt, die dem Meisterlichen entsprechen. Man schaut das Leben an, wie Buk es getan hätte und schlimmer noch, man lebt ein bißchen so, daß man darüber schreiben kann, wie Buk es getan hätte.
All das kann man sehr oft aus dem Ton lesen. Stimmt die Gebärde? Ist das wirklich authentisch? - Und manchmal aber kann man diese Fragen nicht beantworten, man tut sich schwer, gerade wenn einem aus den fraglichen Texten noch eine wundervoll intelligente Sprachführung entgegenblinkt. Das ist die große Schwierigkeit, die ich sehr oft mit Lyrik habe, die deutlich aus der Bukowski-Ecke kommt. Auf der einen Seite ist der Klartext etwas grundsätzlich wohltuendes, auf der anderen Seite schleichen sich Zweifel ein, ob dort nicht etwas passiert, das eher mit Selbstinszenierung und heimlichen Selbstbetrug als mit Schleier-Zerreißen zu tun hat. Ich versuche zu vermeiden in solchen Fällen ein abschließendes Urteil zu treffen. Immerhin kann ich dann die Gedichte manchmal so und manchmal so lesen, und ich gebe zu, daß mich beispielsweise die Gedichte in Edgar Leidels Band „Elstern wie rostige Klaschnikows“ zeitweise fesseln und mit vielen Zweifeln versöhnen, anderntags aber auch wieder sehr ratlos und kritisch auf Schneiden balancierend zurücklassen. Auf der einen Seite sind diese Gedichte Erzählungen, die wohl genau so im wirklichen Leben stattgefunden haben, in einem gewissen Sinne also authentisch, und sie beeindrucken (z.B. „Das erste Mal“) oder sind unterhaltsam (z.B. „Perlentaucher“), auf der anderen Seite aber sind sie sehr deutlich gestimmt auf einen Ton, der etwas Bestimmtes will, ein Bild vermitteln, eine zurechtgeschnittene Originalität. Und genau dort, wo es gelingt diesen Ton zu überwinden, zeigt sich, daß Edgar Leidel eigentlich ein wunderbarer Dichter sein kann.
Ich glaube, ein Gedicht aus dem Buch sagt über all das mehr als meine Worte.
Gedanken beim Brotschneiden
Die Kruste des Laibes war hart und das Brotmesser
rutschte daran ab und schnitt mir in den Zeigefinger,
ich steckte mir fluchend den Schnitt in den Mund,
und während ich den bitteren Spinat Geschmack des
Blutes schmeckte, süß wie rostige Eisenträger, fiel mir
ein, wie das damals war; es war nicht am Stadtrand,
nur dort, wo die Stadt eine Pause eingelegt hatte,
bevor sie sich die Wucherungen aus Plattenbauten
und Gewerbegebieten zulegte, und ich lag nachmittags
mit einer Frau auf einer Matratze, wir hörten Nirvana
und tranken billigen Scotch von den Vorräten
für die Party am Abend. Die Holzdielen unter der Matratze
knarrten, die Flasche gluckste beim Eingießen, dass ich
beinahe lachen mußte, es war ein ruhiger Nachmittag,
aber irgendwie wurden wir zu schnell blau und hatten
schon einen sitzen als mit der Dämmerung die ersten
Leute auftauchten. Und es gab Streit zwischen uns und
wir gingen raus und durch die laue Luft zum Bahnhof,
und am Bahnhof ließen wir richtig die Fetzen fliegen; sie
hatte plötzlich dieses lange Klappmesser in der Hand,
heulte und drohte, sich die Pulsadern aufzuschneiden
und ich sah das Messer aufblitzen im trüben Licht und
war mit einem Schlag klar im Kopf, haute ihr eine runter
und griff nach der Klinge, sie hielt sie fest und ich riß dran,
der Stahl ging mir in die Haut wie in weiche Butter und Blut
lief warm über die blanke Klinge, tropfte auf die dreckigen
Kacheln und die Leute warteten auf den Zug und sahen
nicht zu uns her. Schließlich hatte ich ihr das Scheißding
entrissen, klappte es zusammen, steckte es ein und
verband meine Hand mit einem Taschentuch. Es war
Sommer, eine wunderbare Nacht, und ich frage mich
warum sie sich damals killen wollte und ob sie
es noch gemacht hat als ich ihr das Messer später
zukommen ließ durch gemeinsame Freunde, gereinigt
und poliert und ohne Brief und alles.
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