Edit 71
Ein Ausschnitt der seltsamsten, aufdringlich-postmodernsten und metaabstraktesten Liebesgeschichte, die ich je gelesen habe. Mit diesem Satz ist nahezu alles gesagt, was ich zu dem Auszug aus dem unlängst bei Matthes & Seitz erschienen Roman „I love Dick“ von Chris Kraus sagen kann. Im Vorwort wird das Werk als feministisches Kultbuch beschrieben, es fällt aber auch noch ein anderes Wort: „subversiv“ sei das Werk. Es teilt also unterschwellig, hintergründig gegen etwas aus. Davon bekomme ich aber nicht viel mit und frage mich stattdessen: Was ist das für ein Text? Ist es eine Parodie? Oder eine zynische Analyse? Es darf und kann ruhig beides sein und der/die Lesende darf ja auch von der Irritation, die der Text verbreitet, hin und her geschwenkt werden. Die Ratlosigkeit, die ich angesichts des Textes erlebe – hat sie etwas mit den Festlegungswünschen zu tun, die der Text eben gerade durchbrechen will? Ist das alles Komik, ist das bitterer Ernst, diese Verkopftheit, diese ganzen literarischen und sonstigen kulturellen Anspielungen, Anhäufungen, dieses ständige Mittragen eines Diskurses, das den Text meiner Meinung nach ungenießbar macht – aber vielleicht geht es ja gerade darum, dass er ungenießbar ist. Ich dreh mich hier im Kreis. Ich verdächtige den Text, sicher völlig zu Unrecht, sich selbst eine gewisse Genialität verleihen zu wollen, ganz neu zu sein; sich auf eine gewisse Höhe der Zeit zu erheben, aber künstlich. Ein Text, über den ich gerne ausgiebig diskutieren würde, der mir aber beim Lesen weder Freude noch Erkenntnis beschert hat. Vielleich ist es mit ihm wie einst mit „Ulysses“, über den Tucholsky schrieb:
Es ist wie Liebigs Fleischextrakt. Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden.
Ich mag die Gedichte von Sirka Elspaß, weil darin immer wieder lauter wunderbare Absagen ans Dasein anzutreffen sind, ohne dass es direkt um eine größere, sich aufschwingende Verachtung geht. Die Gedichte bleiben bei sich und ziehen ihre Wirkung aus einem knüllenden Moment, in dem es kurz so wirkt, als würde das Gedicht als Form des (Aus-)Gesprochenen endgültig auseinanderfallen, doch genau in diesem Moment vertieft es sich, schneidet die Wahrnehmung präzise auf und zu.
Man muss Roman Ehrlichs Gefühl für die auferlegten, geradezu schikanischen Seiten der Sprache bewundern. Seine Prosa hat eine großartige Plastizität. Ganz genau kann ich zwar noch nicht absehen, wohin sich das übergreifende Narrativ seines neuen Romans „Die fürchterlichen Tage des grausamen Schreckens“ begeben wird, ob sich einfach nur Offenbarungsgeschichte an Offenbarungsgeschichte reiht oder ob der Rahmenhandlung im Verlauf eine größere Bedeutung zukommt, aber schon die erste Geschichte ist auf eigenwillige Weise eindringlich. Ich hab ja so meine Vorbehalte gegen Romanausschnitte, aber dieser macht verdammt viel her und Lust auf mehr!
Im Moment höchster Zärtlichkeit
erflehe ich den Zusammenbruch.
Aufgetaucht aus dem Becken des Betrugs
will ich nicht mehr, was ich will. […]
Dann, ein Rebell der Offenbarung, perplex
in einem atomaren Moment, werde ich
wissen, was es heißt, getauft zu sein.
Es sind kleine und große Insignien, Gegenstände der Handfläche oder Gegenstände des Gefühls, Gegenstände des Mythos oder des Geistes, die in Tomás Cohens Gedichten (übersetzt von Monika Rinck) den Ton angeben. „Kann Spuren von Innerlichkeit enthalten“ wäre als Hinweis noch zu wenig. Neben Papier und Druckerschwärze ist sie der Hauptbestandteil der Texte, auch wenn man es zunächst nicht herausschmeckt. Gerade in der großen Vielfalt der Texte, die vom Gesang bis zur einfachen Ich-Empfindungs-Rezeption reichen, ist sie ein zentrales, durch die meisten Zeilen geisterndes, Motiv. Cohen umkreist die Ideen eines Gedichts gern mit gut ausgeleuchteten Analogiestrukturen, ist ein sehr feinsinniger Dichter, der aber anscheinend ebenso gerne mit den Worten ausreitet, an einen ganz anderen Ort gelangen will. Die Lektüre seiner Texte – eine in sich ruhende poetische Erfahrung.
Die theoretischen Überlegungen, die Dorothee Elmiger in ihren Poetikvorlesungen anstellt, bringen mich erst einmal dazu, die ersten Folgen der Serie „The Wire“ anzusehen. Als ich den Text dann zum zweiten Mal zur Hand nehme, um herauszufinden, was sie und Detektive Bunk Moreland denn nun meinen mit dem Begriff der „soft eyes“, entpuppt sich Elmigers Text immer mehr als eine beeindruckende Lehrstunde in Sachen Verdichtung. Und als Verungewisserung in Bezug auf das Schreiben. Ich kenne keine Autorin, die über den Akt des Schreibens und das Material der Sprache (und seine Quellen) so zersetzende Dinge schreiben kann und im selben Moment dichte Felder mit ihren Worten erzeugt, die eben diese Zersetzung verlangsamen und umkehren, den Worten ein beständigeres Dasein oder Exil einräumen.
Feine Absichtserklärungen erklingen, wenn der Blick die ersten Worttasten von Saskia Warzechas Gedichten berührt. Doch keine Entscheidungen werden gefällt, noch nicht, es muss noch etwas zu Ende aufgefunden werden. Eigentlich ist alles vorhanden, aber immer wieder gibt es einen neuen Zwischenraum, der eine Grenze darstellt und gleichsam ahnen lässt, das alles von ungenauen Grenzen durchzogen ist, gegen die man wenig machen kann, auch wenn man versucht sie zu übergehen oder an ihnen die Welt in sinnvolle Teile zu brechen. Was sich da alles reiht und was sich türmt und überbaut und unterhöhlt – in Warzechas Gedichten ist immer eine feinsinnige Dynamik vorhanden, eine Bewegung die zwischen Widerstand und Versuch einen ganz eigenen Kosmos enthüllt.
Ich konnte nie und kann Anagrammgedichten auch jetzt noch nicht sehr viel abgewinnen. Was ein bisschen unfair gegenüber der Mühe ist, der sich Autor*innen, die auf diese Art und Weise produzieren, aussetzen. Und ich kann verstehen, was gemeint ist, wenn von der Fundgrube, der Schatzkammer an Sprache geredet wird, die sich aus diesem einfachen Spiel schöpfen lassen. Aber für mich bleibt sie eben genau das: eine Spielerei. Die Lektüre solcher Gedichte wird für mich von dem Eindruck getrübt, hier habe jemand nach einem Schema produziert, das mit genauso zugänglich gewesen wäre und dessen Anwendung ich selbst in Mußestunden betreiben könnte – ein netter Zeitvertreib, aber warum das veröffentlichen? Es hält wenig Überraschendes breit. Ich will aber überrascht werden!
Vielleicht bin ich einfach nicht in der Lage zu begreifen, welche Inspiration die verschiedenen Kaskaden, die man aus einem Satz bauen kann, bereithalten können.
Matthias Nawrats Erzählung zeigt von der ersten Sekunde an einen geübten Prosaisten bei der Arbeit. Ich wünschte, ich könnte die Handwerklichkeit, die ich sofort in jedem Satz spüre, ausblenden; letztlich kann man einem Text diese Anwesenheit nicht ankreiden, zumal ich sicher bin, dass einem/r Lesenden, der/die nicht aus dem Umfeld einer Schreibschule kommt, dieses Merkmal nicht ins Auge stechen wird. Diese Person wird einfach die Geschichte lesen und von der Anti-Welt-, und Anti-Verklärungshaltung des Protagonisten entweder verzückt oder verstört sein. Eine gute Darstellung von pubertärem Zynismus oder eine kurze Parabel auf die Weltverdrossenheit? Für meinen Geschmack ist die Geschichte nicht rund – die Exposition wirkt zu ausgearbeitet für einen so kurzen Text, zu determinierend, der Clou etwas zu griffig, das Ende etwas leicht gemacht. Das schreibt wohlgemerkt einer, der noch nie eine vernünftige Prosageschichte zustande gebracht hat.
Eine großartige Entscheidung war es, die Sammlung der ersten Hydra-Texte von Nazis & Goldmund abzudrucken. Wobei die stark changierenden Schriftgrößen nicht unbedingt eine leichte Lesart mit sich bringen, aber durchaus eine schöne Dynamik bedingen. Es sind großartige Sachen dabei, die das vielköpfige poetologische Monstrum zu uns spricht, ganz egal ob es um konkrete Personen der rechten Szene oder um Diskursentwicklungen oder einfachste Klarstellungen geht. Hier kann man viel, viel, viel mitnehmen. Hoffentlich machen demnächst eine Menge Leute bei diesem Netzwerk mit und/oder beherzigen, was Hydra uns zuruft.
Hydra sagt: Denken Sie nicht, es sei einfach, aber es ist einfacher, wenn Sie denken.
Das Schlusswort setzt ein kurzer Text über einen winzigen Kaufladen, in dem eine ganz eigene Choreographie der Bewegungen notwendig ist, damit mehrere Leute sich auf seiner Fläche bewegen können – ein wenig kafkaesk und dazu sympathisch, dieser Text von Lorena Simmel.
Hocherfreut über einen Großteil der Lyrik, bleibt diese Ausgabe für mich dennoch ein ganz klein wenig hinter der großartigen Edit 70 zurück. Nazis & Goldmund mit reinzunehmen war eine super Entscheidung und selbst der Abdruck des Ausschnitts von Chris Kraus war wichtig, weil es ein Text ist, der den Leuten zugänglich gemacht werden, über den man diskutieren sollte. Wahrscheinlich hat das wenige, was ich vermisse, gar nichts mit der Qualität der Texte zu tun, sondern mit der Diversität. Die Edit 70 hatte einen Comic, einem Monolog, einen autobiographischen Essay-Text und ließ sich insgesamt auf eine enorme Bandbreite ein. Das geht nicht jedes Mal, das ist mir klar. So gesehen gibt es gar nichts zu meckern, ich hatte mal wieder viel Spaß mit dieser Zeitschrift und nach all dem, was ich daraus mitnehme, sollte ich jetzt endlich meinen kritischen Schnabel halten.
Beteiligte Autor_innen und Künstler_innen der 71. Ausgabe der Edit:
Fixpoetry 2017
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