Kritik

Kriminell-libidinöse Versuchsanordnung - Out of Sight von Elmore Leonard

Hamburg

Auch Wiederholungen haben ihre Konjunkturen. Und so wird man sich in den nächsten Jahren wie in jüngster Zeit immer wieder einmal auf die Verfilmung von Elmore Leonards „Out of Sight“ mit dem unvermeidlichen George Clooney freuen dürfen und die Zwischenzeit mit der Lektüre der auch im Buchformat hübschen Geschichte füllen. Das freut einen und lohnt die Investition, die sich in bescheidenen Maßen hält.

Dass Suhrkamp Leonards Kabinettstückchen neu auflegt, wundert dabei nicht: Leonard hat sich in den letzten Jahren zu einem Klassiker des Krimigenres entwickelt, der sich gleichermaßen in beiden Großformaten, im Buch und im Spielfilm macht. Das hebt auch das Qualitätsniveaus der immer noch recht neuen Suhrkamp-Krimi-Reihe, was auch die dortigen Verantwortlichen freuen wird. Seine Geschichten sind intelligent angelegt und amüsant geschrieben. Sie sind für ein überraschendes Ende gut und man hat nie den Eindruck, dass man viel Zeit mit ihnen verliert. Vulgo, sie sind ein angenehmer Zeitvertreib.

Manchmal sind die Geschichten Leonards sogar ein bisschen zu cool und zu klar aufs intelligente Amüsement ausgerichtet. „Road Dogs“, 2011 auf Deutsch erschienen und seinerseits die Fortsetzung von „Out of Sight“, leidet ein wenig darunter. Aber was will man, wenn man anständig bedient wird? Besser jedenfalls übercool als übereifrig und moralin.

Dabei sind die Differenzen zwischen Film- und Buchvariante nicht allzugroß. Leonard weiß seine Bücher anscheinend passgenau abzuliefern, wofür man ja auch dankbar sein kann. Man ist in irgendeiner Weise in beiden Formaten immer zuhause.

Jack Foley ist eine Berühmtheit im Knast, mehr als 120 Banken machen einen dazu, zumal dann, wenn alles unblutig und sehr elegant vor sich geht. Nur der letzte Überfall ging mächtig schief, soll heißen, war ziemlich dämlich. Auch einem intelligenten Bankräuber schießen einmal die Hormone ins Blut. Jedenfalls sitzt Foley jetzt, und das will er partout nicht hinnehmen.

Also schließt er sich einem Ausbruch an, macht aber sein eigenes Ding und lässt sich von seinen Kumpanen abholen. Blöd nur, dass gerade zufällig an der Stelle, an der der Ausbruchstunnel endet, ein Deputy US Marshall namens Karen Sisco herumsteht. Zufällig zwar, aber nicht ohne Folgen, denn Foley überwältigt Sisco, sperrt sie in ihren Kofferraum und legt sich gleich mit dazu, womit ein folgenreiches tête à tête beginnt.

Denn die beiden beginnen sich trotz der Extremsituation – Foley ist nicht nur Bankräuber und Ausbrecher, Sisco Polizistin, nein, Foley stinkt auch noch wie eine Kloake (der Tunnel!) und versaut Siscos teures Kostüm – miteinander zu unterhalten, über Filme, über das, was sie so machen und überhaupt. Eigentlich alles klassische Themen, die beim Kennenlernen abgearbeitet werden müssen.

Die Frage ist also, was wäre wenn, und die Antwort, die Leonard sucht, lautet, was wäre denn zu machen, damit die beiden trotz aller Gegensätze was miteinander anfangen können. Dazu braucht es Gelegenheit und Möglichkeit – Motiv gibt es bei beiden ja genug, denn von Anfang an ist die gegenseitige Anziehung da. Setzen wir das also voraus – anders wäre das Experiment ja auch nicht durchführbar.

Dabei darf das Ganze überhaupt nicht als Märchen ausgeführt werden, denn Leonard interessiert anscheinend die reale Möglichkeit. Dafür muss er aus der Unterweltgröße nicht nur eine Persönlichkeit machen, er muss Foley zudem zu einem intelligenten und vor allem höflichen, dabei empathischen Kerl machen, der sich trotzdem in einer machistischen Umwelt zu behaupten versteht. Denn unter des Kriminellen des Krimigenres gelten noch die alten Formen der Männlichkeit, harte Jungs, schießwütig und schlagkräftig, die sich liebend gern gegenseitig in die Augen starren.

Leonard muss dieses Konzept zudem als das bessere kennzeichnen, zumal dadurch, dass bestimmte Untaten für Kriminelle à la Foley undenkbar sind, Vergewaltigung zum Beispiel oder Mord aus Langeweile oder Lust. Leonard legt also Foley quasi analog zu den Anforderungen der Moderne an alle Männer an, die in ihr erfolgreich sein wollen: kommunikativ, rational, konsequent und durchsetzungsfähig, dabei empathisch und freundlich.

Um Foley und seinen Begleiter Buddy besonders stark herausheben zu können, gesellt er ihnen einen Trupp von finstren Gangstern zu, die völlig konträr zu ihnen angelegt sind. Maurice ist ein Exboxer, der weder besonders intelligent ist noch besonders sorgfältig, der wenig Not braucht, um Leute umzulegen, und dessen Spießgesellen sich auch kaum besser halten. Der eine macht auf grimmigen Schläger, der andere fällt über jede Frau her, die er sich gefügig machen kann.

Es ist schade, dass es Buddy am Ende doch trifft (aber das kriminelle Leben ist eben gefährlich), Foley aber überlebt, auch wenn die Folie, auf der Leonard ihn anlegt, von „Bonny und Clyde“ vorgebildet wird und Foley ihr Schicksal nachspielt, bloß um nicht mehr in den Knast zu gehen. Aber so blutig der Showdown auch sein mag, Foley, der am Ende von Sisco zur Strecke gebracht wird (ja, zwischenzeitlich passiert noch mehr zwischen den beiden), überlebt. Und darf weitermachen, wofür man dankt.

Elmore Leonard
Out of Sight
Übersetzung:
Jörn Ingwersen
Suhrkamp
2012 · 253 Seiten · 8,99 Euro
ISBN:
978-3-518462911

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