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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Nachgespürt

Frühe Gedichte von Inger Christensen

„Literatur bietet die große Chance, der alltäglichen Wahrnehmung neue Eindrücke hinzuzufügen: Jeder kann sie lesen und hören, sie hat etwas von einem Kassiber und von allgegenwärtigen Flugblättern, sie kursiert im Privaten wie im Öffentlichen.“ mit diesen Sätzen begrüßt das Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe in Detmold die Leser auf seiner website.

Literatur könnte also ein Mittler zwischen Welten sein, wenn sie wahrgenommen würde und dieser Arbeit widmet man sich:  „der Literatur neue Aufmerksamkeit zu sichern, sie wie die anderen Künste auf die große Bühne zu bringen. Literaturvermittlung bzw. Literaturförderung ist eine Form der ästhetischen Bildung, die das literarische Gedächtnis wach hält und mit heutigen Positionen verbindet, die dem Experiment und dem ganz Anderen gegenüber aufgeschlossen ist.“

Seit 1990 ist man im Regierungsbezirk Ostwestfalen-Lippe dabei u.a. mit Schreibwerkstätten (dieses Jahr ist es Ulrike Draesner, die vom 30.Oktober bis 1. November eine Prosawerkstatt für „Die kurze Erzählung“ eröffnen wird) und Autorentagen, durch Lesungen in einem Literarischen Salon und poetische Großprojekte den selbstgestellten Aufgaben gerecht zu werden. Dokumentiert wird diese Arbeit durch eine Vielzahl von Publikationen, die durchaus eine überregionale Beachtung verdient hätten, bspw. die Jahrbücher zu den Internationalen Literaturbegegnungen von Schwalenberg mit Beiträgen international bestens renommierter Autoren wie Peter Waterhouse, Michael Donhauser, Yoko Tawada, Amanda Aizpuriete, Gerhard Böhme, Thomas Schestag, Thomas Kling, Ann Holyoke Lehmann, John Donne, Ferdinand Schmatz , Katarina Frostenson, Elenore Frey, Yang Lian, Felix Philipp Ingold, Toshio Hosokawa, Eberhard Blum, Edmond Jabès, Friederike Mayröcker, Oskar Pastior, Rémy Zaugg – um wahllos einige herauszugreifen.

So erschien als Nachklang der Autorentage „Alphabet der Welt“ im Jahr 2005 und XI. Druck des Literaturbüros eine bibliophile, fadengeheftete Broschür von Inger Christensen mit dem Titel „Graes . Gras“, darin versammelt 14 frühe Gedichte (von 1963) in der Übersetzung von Hanns Grössel (dem gemeinsam mit Inger Christensen 1995 der Preis für Europäische Poesie überreicht wurde).

Die als einmalige limitierte Ausgabe vorliegende Broschür tritt sehr ansprechend auf, bestes augenfreundliches Papier, wunderbar magere Typographie (welche die Stille der Texte gekonnt umsetzt) und gehört zu jenen kaum wahrgenommenen Kleinoden, die, solange sie greifbar sind, günstig über den Ladentisch gehen, später aber gesuchte bibliophile Kostbarkeiten sind. Auch für Freunde von Inger Christensen ist das schmale, zweisprachig gedruckte Werk kostbar, zeigt es mit dem Zyklus „Gras“ doch eine vom späteren Erfolg oft überdeckte frühe Schaffensperiode auf.

"Zu dieser Zeit schrieb ich Gedichte auf die Weise, daß die Korrespondenzen der Worte, als Ganzheit gesehen, eine Art Universum schaffen sollten, das vollkommen in Ruhe lag, wo der Wert jedes Wortes in einem Zusammenhang stehen sollte, als wäre das Ganze organisch.", erklärte Inger Christensen später einmal. Der Wert jedes Wortes als eine lebendige Angelegenheit, auf die man sich einzulassen hatte. Das Wort selbst als organischer Körper aus den Matrizen der Natur. Inger Christensens Verbindung zur Sprache war eine elementare und umfasste deren Eigenschaften, auch die mathematischen, auch die akustischen, ganz (immer wieder las sie – in Deutschland – ihre Gedichte auf Dänisch). Sie schrieb in der „unbeweisbaren Gewissheit, dass die Sprache die unmittelbare Verlängerung der Natur ist. Dass ich dasselbe Recht hatte zu sprechen, wie der Baum, Blätter zu treiben.“

Unter einer Stadt

Unter einer Stadt
der große Verlauf
der nicht unserer ist

Unter einem Stein
die weißen Wurzeln
die uns tragen

Seh ich das Gras an
seh ich das Unsichre

Tod, der ohne Richtung ist
Leben, das ohne Richtung ist

im Grase Kinder und Vögel

Inger Christensen ist am 02. Januar 2009 im Alter von 73 Jahren gestorben.

Inger Christensen: Graes . Gras – Vierzehn frühe Gedichte dänisch – deutsch. Aus dem Dänischen von Hanns Grössel. Literaturbüro Ostwestfalen-Lippe, Detmold 2005.

Inger Christensen
graes/gras
Übersetzung:
Hanns Gröösel
Gouachen: Silvia Bächli
Literaturbüro
2005 · 128 Seiten
ISBN:
978-3-930754540

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