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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Born to rock, not to pose

Ein Bildband dokumentiert erstmals die letzte Fotosession mit Kurt Cobain
Hamburg

Wie porträtiert man einen Rockstar? Wie stellt man jemanden dar, den Millionen Menschen kennen oder zu kennen glauben? Als distanzierten Superhelden, verletzlichen Menschen oder mysteriöses Genie? Wird ihm oder ihr die Dokumentation oder der Inszenierung eher gerecht? Vielleicht gehen Jesse Frohman solche oder ähnliche Fragen durch den Kopf, als er am 23. Juli 1993 im Konferenzraum eines New Yorker Hotels sitzt.

„In meinem Job gewöhnt man sich an die Warterei. […] Die Gefühlslagen wechseln. Erst ist man kämpferisch. Da haut man auf den Tisch, besteht auf der Einhaltung von Vereinbarungen, all sowas. Aber dann muss man doch klein beigeben und nach einem Kompromiss suchen, einem letzten Strohhalm, warum die Sache doch noch klappen könnte. Und am Ende ist man froh, wenn überhaupt noch die Tür aufgeht, und der Erwartete hereinspaziert.“

Der Erwartete ist an diesem Tag Kurt Cobain, der sich nach vierstündiger Verspätung endlich blicken lässt, aber vollkommen zugedröhnt ist. Frohman, der hier eine Titelstory für den englischen Observer fotografieren soll, ist nervös. Wird Cobain es schaffen sich auf den Beinen zu halten? Und wie, um alles in der Welt, kriegt Frohman ihn dazu diese riesige Sonnenbrille abzunehmen? Egal, dem Fotografen bleibt nur eine halbe Stunde, dann müssen Nirvana zum Soundcheck für einen Auftritt im Roseland Ballroom, bei dem das neue Album In Utero vorgestellt werden soll. 30 Minuten, in denen Aufnahmen entstehen, die zu Ikonen der Rockgeschichte werden sollten.

Dabei veranstaltet Cobain an diesem Tag irgendetwas zwischen hilfloser Inszenierung und authentischer Maskerade. Sein Outfit an diesem Tag besteht aus Flickenjeans, Converse-Turnschuhen, einer Ozelot-Felljacke und einer Fliegerhaube. Nicht zu vergessen, die überdimensionale Sonnenbrille, die Frohman als „Jackie Os“ bezeichnet.

Um die Stimmung von vorn herein aufzulockern, fotografiert er zunächst die ganze Band. Schlagzeuger Dave Grohl ist ein Garant für lockere Sprüche und allerhand Albernheiten. Bassist Krist Novoselic taugt hingegen nicht wirklich zum fotogenen Rockstar. Auf den Bildern wirkt er oft unbeholfen und ebenso wenig bei der Sache wie Cobain, nur aus anderen Gründen. Man kann versuchen, allerhand aus diesen Aufnahmen herauszulesen – Indizien für einen nahen Tod des Frontmanns wird man nicht glaubhaft nachweisen können. Aber eine richtige Band scheinen Nirvana auf diesen Fotos nicht mehr zu sein. Während der brave Novoselic die Session professionell hinter sich bringen will, flachst Grohl nur herum und Cobain wirkt dazwischen wie der guruhafte Anführer eines außerirdischen Insektenvolkes, der die meiste Zeit nur körperlich präsent ist. „Wie ein aufblasbarer Mensch, dem sie die Luft herausgelassen haben.“

Im Film 20.000 Days on Earth gesteht Nick Cave, der später ebenfalls von Frohman porträtiert wird: „Ich weiß nicht, wie es für andere ist, aber auf gewisse Weise wollen wir alle jemand anderes sein. Wir suchen alle nach dieser Verwandlung, die im Leben möglich ist.“ Für die Soloaufnahmen der Frohman-Session scheinen diese Worte besonders zuzutreffen. Cobain ist zwar einigermaßen warm geknipst, schwebt aber immer noch in seiner eigenen Welt. Die Sonnenbrille, die auch während des Konzerts am Abend nicht mehr abnehmen wird, trennt ihn von den anderen. Obwohl es manchmal so wirkt als sei er zu einem kurzen Kontakt bereit, scheint er auf einem Großteil der  Fotos weit weg oder zumindest sehr vertieft in sein kleines Spiel mit der Evian-Wasserflasche und den Zigaretten.

Nur auf ganz wenigen dieser Bilder scheint sich Cobain zu öffnen, verrät seine Körpersprache, dass er sich der Maskerade wohl bewusst ist. Es ist der verzweifelte Versuch das zu kontrollieren, was er nie konnte oder wollte, seine Medienpräsenz. Auch abseits der Bühne im Rampenlicht zu stehen ist nicht sein Ding und merkwürdigerweise erzählt auch oder gerade dieses letzte Shooting im grellen Outfit davon. Kurt Cobain passt nicht wirklich in diese Welt, will am liebsten verschwinden, sich auflösen. Auf den Fotos, die diese Brüchigkeit erkennen lassen, bestätigt sich auch ein Eindruck, den wohl die meisten Betrachter mit Frohman teilen. „Ich weiß noch, dass er mir wie Mitte 40 vorgekommen ist, nicht wie ein noch junger Rock-Star.“

Über Nirvana und vor allem über Kurt Cobain ist eine Menge gesagt, geschrieben, gedruckt und gesendet worden. Und auch dieses Buch kommt nicht ohne einen Kurzessay des amerikanischen Journalisten Glenn O'Brien aus, der noch einmal versucht die Bedeutung dieser Band zu erklären. Abgesehen davon bietet diese Veröffentlichung allerhand interessantes Material. Denn neben den kompletten Abzügen der Fotosession im Hotel enthält sie auch Fotos, die Frohman während des Soundchecks zum Roseland-Gig aufnahm. Hier, nicht lang nach der offiziellen Session, ist Cobain nüchtern, wirkt deutlich gelöster und ist gleichzeitig der hochkonzentrierte Dirigent der Konzertvorbereitungen. Zusammen mit einem einleitenden Essay zur Session und dem ausführlichen Interview, das Jon Savage in der Nacht davor mit Cobain führte, wird Kurt Cobain – Die letzte Session zu einem überaus vielschichtigen Künstlerportrait, das im 20. Todesjahr des Sängers und Gitarristen weit über den Status eines Fanartikels hinausreicht.

Jesse Frohman
Die letzte Session
Mit Texten von John Savage und Glenn O'Brien. Aus dem Englischen von Karl Bruckmaier und Marion Kagerer.
Schirmer Mosel
2014 · 144 Seiten · 39,80 Euro

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