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Kritik

Der Punkt am Witz

Akzente 4 / 2015
Hamburg

Es ist schon einiges geschrieben worden über das Redesign der ‚Akzente’. Etwa, dass immer ein Autor an die Jukebox darf. Diesmal konnte Monika Rinck zum Thema Witz (so geht es los:

Dieses Heft hat Witz zum Thema – und zwar Witz in jedem Sinne.

...) auf die Knöppe drücken und in ihrem weitgespannten Netzwerk Beiträger sammeln. Bei der langjährigen Liebe von Monika Rinck und ihren vielfältigen Erkundungen zum Umfeld Witz / Albernes / Idiotisches kann von den von ihr versammelten AutorInnen erhofft werden, dass sich aus den Texten und Bildern eine auch als Gesamtheit sprechende Collage zum Thema entwickelt.

Die Kernfrage vorneweg: wird im Heft Roland Barthes zitiert?
Jawohl.
Puh. Dann können wir weitermachen.

Freud? Jawoll, jawoll.
Jean Paul? Nitzsche? Benjamin? Klar doch.

Gibt es „sitzt ein Ferkel auf einem Apfelbaum ...“ und „geht ein Mann zum Arzt“? Hasenwitze? Alles da.

Und hat es auch: „Abhängig von seinem Kontext, den kulturellen Prägungen und Erfahrungen bildet Humor einen Schlüssel zum tieferen Verständnis einer Kultur mit ihren Denk- und Verhaltensweisen, Gefühlsausdrücken und inneren Widerständen. Die Betrachtung des Humors erlaubt mithin Einblicke in die eigene (oder fremde) Kultur.“ Schnauze jetzt, ja doch!

Alles bestens, mehr als bestens. Gelehrte, die Humor erklären. Literaten, die sich in wild herbeiassoziierten Volten über historische Anekdoten kullern. Dichter, die in bewährten Traditionen der bräsig sinnsuchenden Leserschaft frech das weiße Hinterteil zeigen. Und auch bildende Künstler, Line Hoven etwa oder das Duo Hachmeister / Gülzow.

Nur als Beispiel: Jeder kennt viele asoziale Ferkel, dazu braucht's keine Kunst, aber von dem asozialen Ferkel habe ich erst durch das Heft gelernt, dito vom völlig unbekannten Christo Walross Williams (ein/eine - oder vielleicht auch ein ganzer Club von - rollige/r/n Dichter/in/ne/n), dessen Texte incogniter wild durch die Mitte des Heftes galoppieren - oder von der sehr amüsant-prägnanten Els Moors:

Marsch, los laufen wir
im Gleichschritt bloß
kein unnütz Wirbelknacken

Schmieg beide Hände liebevoll ums Hirn
Wir gehen jetzt Nachhauseheim
wo bumsend die Karnickel sein.

Theresa Prammers Diskussion von Stolterfohts ‚Ammengespräche[n]’ (erschienen 2010 bei Urs Engelers roughbooks) mit einem Computerprogramm steht am Eingang und ist mindestens bezüglich der hochzielenden Fragen, die sie aufwirft, ein Highlight der Ausgabe:

Ein gutes Gedicht, behaupte ich etwas gewagt, richtet den Witz für den Ernstfall ein.

Ihr Resümee über die artifiziellen Kollegen ist zweischneidig, es

... sind Projektionen (...) gar nicht zu verhindern, eben so wenig wie der Versuch, einen ästhetischen, semantischen, ja stilistischen Mehrwert in ihr bewusstseinsloses Sampeln zu projizieren.

Am Ende, so ihre Diagnose

... wird der zufallsgenerierte, subjektlose Text der Amme zur unerschöpflichen Projektionsfläche für freigewordene Subjektivitätsphantasmen.

Auch das literarische ist gelungen, lustig zu lesen, mehr als lustig. Steffen Popp. Angelika Meier. Jackson, Nemes usw.

Ja.
Ja, ja.
Amüsant, sehr sogar.
Und sonst so?

Es gibt Christiane Meyer-Stolls ‚Skizzen zu einem selbstreflektorischen Humor der Kunst’. Oder Bettina Menkes Arbeit über eine Facette von Kleists ‚Einfall des (vielleicht) „ungeheuersten Witzes“ ’, Krassimira Kruschkova über ‚Performancewitz’.

Nur. Irgendwas nagt. Wie ist das mit dem Witz? Zu schnell vorbei? Lachen, gut sein lassen. Sollte reichen. Reicht?

Hedonie-Verdacht? In angemessener Kürze: stört nicht, stehen wir drüber.

Witz braucht keine Rechtfertigung. Und wenn, auch der krampfigste Theorie-Versuch hätte unter dem strengen Auge des Witzes - gerade im Scheitern - seinen Reiz. Es ist klar, dass der alte ‚wit’ sich gerne jeder angemessenen Exegese mit Eleganz entziehen möchte, vielleicht, da jenes Instrument, das dabei zum Elaborat schreitet, sich so ungern vor diesem die diskursiven Zügel entgleiten lässt. Besser und knapper in CWW’s Worten:

[Soviel zum Todestanz
Der Nacktschnecke]

Aber, von wegen diesem Nagen: ob es den aufmüpfigen und den einlullenden Witz gibt? Den feigen Witz und den mutigen? Den zahnlosen und den schmissigen?

Ich meine, wir hatten gerade das Je-suis-Charlie-Jahr, nicht? 10 Jahre, seit die Dänen im Jyllands-Posten den drohenden Islamismus als Mohammed mit Bombe als Turban karikierten?

Und nun stehen da solche Sätze.

Humor kann auf leise, auf unerwartete Weise ernste und tiefgründige Dinge benennen, kann auf sanfte Weise den Finger auf die Wunde legen und Unerträgliches erträglich werden lassen. Es mag daher nicht verblüffen, dass Humor in Umbruchzeiten, in Krisen oder repressiven Systemen an Relevanz gewinnt.

All die herrlichen Witze der Juden über die Nazis, einmal über Hitlers kleinen Pimmel gelacht und schon wars erträglich im KZ. Es werden meine prä-poststrukturellen Vernarbungen sein, die mich an solchen Stellen zucken lassen.

Wie ist es denn – schön, dass der Witz Denkschemata aufbricht, Kurzschlüsse sichtbar macht, mit Ebenen-Wechsel Konventionen verletzt und Sprache hintergeht: nur, was ist am Ende ein Witz ohne Zähne? Ist das alles nicht eher die Technik, um die Schutzgesten auszuhebeln und an die tiefer liegenden Adern zu kommen? Landet sonst die dekonstruktivistische Bemühung nicht eher bei Barth, Mario als bei Barthes, Roland?

Es ist gut, dass nicht der biederen „political correctness“ halber ein paar reflektierte Betroffenheit verbreitende Charlie-Nachruf-Texter angeheuert wurden.

Andererseits: Man bräuchte nicht zwingend Mohammed bemühen. Ich fasse des religiösen Empfindens wegen, und aus gegebenem (Jahrestags-) Anlass, nach einer dem hiesigen Kulturkreis entstammenden Lichtgestalt - mangels geeigneter Beispiele nicht aus dem besprochenen Heft, wohlgemerkt, sondern aus der unerforschlichen Weite des WWW-Raums - wie ist es damit:

(a) Ist das ein Witz?
(b) Über wen?

Will sagen: gibt es tatsächlich nirgendwo Themen? Wirtschaft, Politik, Werbe-Sprech, die vor den blinkenden AlgoRhythmen des IntelliDrive hilflos bibbernde Journaille? Stattdessen lesen wir über den Witz bei Kleist, bei Jean Paul, über Performances von ein paar Briten vom Anfang des letzten Jahrzehnts. Und werden gebeutelt mit Versen à la

Da sagt um 3 der Rassi zur Tussi sehr verzückt:
„Ich ficke dich mit Deine eigne Schwanz!
Weil meine ist zu kleinchen, du Weibchen.“

... noch dazu versteckt hinter der Anonymität des CWW, da Zotiges in Deutschland bekanntlich mit 1000 Peitschenhieben bestraft wird.

Könnte es also - ohne einem der Mitwirkenden oder gar den Herausgebern zu nahe treten zu wollen, ich sehe das Ganze als ein Schlaglicht aus einer modernen Schreib- und Denkschule - doch ein klein bisschen symptomatisch sein, wie wirklichkeitsfern das alles klingt? Die geradezu händeringende Beschwörung des Nicht-Verstehens:

Rigorose Kausalitäten wie Ursache/Wirkung, Aktion/Reaktion (...) werden hier aufgehoben, aufgegeben (...) lassen einander aus den Fugen geraten, statt gegenseitige Verfügbarkeit zu behaupten. Die Gabe des Humors entkommt harten Wissensauskünften – mit der einzigen Übereinkunft, die allzu glatte Ankunft des Verstehens (...) zu überlisten.

Mit dieser Selbstbeschränkung der Geisteswissenschaften können sich die doch eher kausalitätshörigen Welten der globalisierten Finanzwirtschaft, der Big-Data-Informatik, der Bio-Techniker und was sich da draußen sonst noch alles dem allzu glatten Verstehen hingibt, gut einrichten.

Ist ja nur Literatur. Der Eindruck drängt sich leider auf. Das therapeutische Bemühen der krisen- und repressionslosen Dichter folgt den selbstgemachten Gesetzen; also plätschert das mit Unterhaltungswert dahin, tanzen DichterInnen und DenkerInnen den bacchantischen Reigen in dem witzigen Spiel auf der frisch-grün designten Akzente-Wiese - aber was sind das für Gebäude im Hintergrund? Seh’s nicht genau, sind’s Fabriken, Kasernen, ein Knast, oder eher eine Sammlung Kliniken?

Nu, die mit ihren Sprach-Klötzen spielenden Literaten braucht man, scheint’s, nicht stören, die gehen nach dort hinten nur zum Schlafen, sie werden es nicht wissen.

Jo Lendle (Hg.) · Monika Rinck (Hg.)
Akzente 4 / 2015
Witz
Hanser Verlag
2015 · 96 Seiten · 9,60 Euro
ISBN:
978-3-446-24961-5

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