Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Eine Gedichtwelt, die ausufert und nach allem greift

Sehr beredt ist das und sprachverliebt. Allerdings, was die Literaturkritik veranlasste Julian Schutting zum „begnadeten Stilisten“ hochzuschreiben, eine Gedichtwelt, die ausufert und nach allem greift, um es mit der eigenen Sprache zu überschütten, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als selbstverliebtes Spiel mit kaum spannenden Regeln. Man darf sich nicht täuschen lassen – daß jemand einen beachtenswerten Wortschatz besitzt und einsetzt und mit grammatischen Fähigkeiten brilliert, hindert ihn womöglich nicht, immer und immer wieder ob offen oder verdeckt dieselbe Karte auszuspielen: das hier ist meine Rede und nun kniet nieder vor mir. So eloquent wie Julian Schutting zum Thema und meistens in vielerlei versponnenen Zeilen um es herum kommt, versinken viele seiner Gedichte in bedeutungsschwangere Schönschreiberei. Verziere das wenige, das du zu sagen hast und komme erst spät zum Punkt, könnte als Motto stehen über manchem der Gedichte aus dem Band „An den Mond“, der im letzten Jahr im honorablen Residenz Verlag erschienen ist.

„Tja, was unsereins Vor-sich-hin- / Dichtendes unter Gedichten versteht“ – dieses ironisch gemeinte Statement entbehrt nicht eines tieferen und tatsächlich treffenden Zweifels am Sinn der Schutting’schen Dichterei. Vor sich hin-Dichten. Nur selten dem Gedicht zu. Er beschreibt beispielweise ein Nachtgewitter, das ihn um drei Uhr früh aus dem Schlaf reißt. Die Blitze durchgarben das Dunkel der Nacht, der Donner kracht durch alles hindurch und irgendwo singt eine Amsel. Er beschreibt genau das sehr ausführlich auf gut einer Seite und fährt auf der nächsten Seite fort, um zum eigentlichen Ziel seine Gedichtes zu kommen, zu der Frage nämlich, was dieses Nachtgewitter zu einem besonders denkwürdigen mache: „Großartig mag dein Gewitter gewesen sein - / inwiefern aber >denkwürdig ----- Wie bitte? Man muß dazu nicht viel schreiben, das deklassiert sich von selbst.

Natürlich gibt es viele interessante, treffende, betroffen machende, bislang ungehörte und wunderbare Verse, sogar tolle Gedichte (gerade dort, wo er die Eloquenz zu Gunsten einer klaren Konstruktion vergisst, wo ihn Formstrenge am Ausufern hindert), aber alles in allem macht das Lesen dieses Bandes keine Freude. Es interessiert mich nicht, wenn einer sein Sprachvermögen meint seitenweise in uferlosen Auslassungen zeigen zu müssen, auch wenn er mit viel Augenzwinkern und Ironie um mich buhlt. Das selbstverliebte, dahingeredete Gedicht ist kein Gedicht. Selbst wenn die Kritik Julian Schutting für seinen „überlegten und kunstvollen Umgang mit der Sprache“ preist – dieser Umgang ist auch möglich dem, der nur sich selbst schmücken will und dem das Gedicht die Schminke ist. Gedichte müssen von uns hinweg leuchten und nicht wie ein Scheinwerfer auf uns und unsere ach so bemerkenswerten Fähigkeiten zurück. Mag sein, daß ich dem Mann Unrecht tue, und all dieser Singsang ist am Ende hochintelligentes, poetisches Kalkül und Echo einer sich mir intellektuell nicht völlig erschließenden Ironie: „Was hat es, daß es hochaufschießt, mein Herz, / matt zum Niedersinken einstürmt auf Wind und Wetter? / In lindengrün, in linnebleich Couvert gehüllt, / in ein Poste-restante-Fach auf Winterreisig / mich zur Ruhe betten? Dich künstlich-grünen Föhren- / buschen, wo nie geatmet hat an Latschenbaum im Wald; dich Schutzpatron der Heurigenschenkenbruderschaft; dich mit Weinlaub bekränzet Eisendraht, du Totenkränzen nachempfundener Kirchhofbruder: / Euch hol ich mir herunter – sollt nicht länger / als vereiset Wegweiser / ausgestreckt sein bis zur Herberge / >Am Brunnen hinterm Kirchhoftore>“  --- so geht das ausufernd seitenweise. O unseliger graumellierter Ton, der das hungernd düstre Postfach meines immer wehen Herzens trifft mit  Pfeilen spitz aus efeuübernetzten Köchern Mnemosynes. --- Mir ist das viel zu viel, es ist ermüdend und bringt kaum einen anderen Gewinn als die Ehrfurchtstarre. Auch wenn der Ton ein Meisterwerk an poetologischer Ersinnung und versonnener Konsequenz sein sollte - dadurch würde er nicht weniger nervig, nicht weniger eloquent. Und sein heimlicher Sinn bliebe der gleiche: knie nieder, Volk ohne Sprache, die Rede ist von mir. -
Das Wesentliche ist gesagt.

 

Julian Schutting
An den Mond
Residenz
2008 · 96 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-701715053

Fixpoetry 2009
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge