Auschwitz, „kaum mehr als eine Wortmetapher”..?
Der Historiker Julius H. Schoeps legte unlängst eine Art Biographie in Begegnungen vor – nicht alle dieser Kontakte gleich bedeutsam in seinem Leben, manche nur schemenhaft erinnerlich, doch alle Bausteine sowohl zu seiner Vita, die sie beeinflußten, als auch des Jahrhunderts, das gewissermaßen in ihnen gespiegelt erscheint.
Diese Vita und dieses Jahrhundert sind geprägt durch eine Vorenthaltung: die der Integration. Sie war stets gefordert, Angebot an den Juden – ein heikles Nomen – war sie nur bedingt, wie auch an das Judentum, als dessen Vertreter man als der Jude, so Schoeps, immer wahrgenommen werde. Wo verdienstvoll, dort als Beleg des philosemitischen Klischees vom schlauen oder sogar klugen Juden, der in seiner Bedrohlichkeit rasch Basis von gar nicht Philosemitischem wird. Ansonsten von Beginn an Haßobjekt.
Die Epoche der deutschen Juden sei vorbei, auch wenn es Rückkehrer, Versöhnungsversuche und Illusionen gibt, Schoeps selbst sei Sohn des „letzten preußischen Juden”, so der Grundtenor, der hart ist, aber nicht unbegründet.
Die Aufklärung habe einst Großes versprochen, aber als Integration nur Assimilationsdruck gebracht, Lavater wollte Mendelssohn zum Christentum nötigen, seitdem gab es stets das Bemühen, den Juden zu tilgen – entweder so, essentiell: durch solche Bekehrung, wonach der Jude aber als unkenntlicher Fremder sogleich den Antisemiten ein Ungeheuer zu sein schien; oder existentiell: in Auschwitz. Daß manche Juden bis zur Operation ihrer imaginierten „Judennase” dem nachkamen, was man ihnen andichtend antat, ist eine nicht kleine Tragödie in der großen.
Jude: eine Provokation. Das Judentum bedarf des Christentums nicht, das Christentum, geschichtsvergessen genug, aber dieses ersten der Monotheismen. Der Messias der Juden? – Ausständig; eine Möglichkeit. Angesichts dessen, was sich mit Christus änderte, nichts nämlich, der Messias der Christen hingegen widerlegt. Irrationaler Unsinn plus seine Kränkung – Grund genug, jene, die für die Möglichkeit zeugen, zu verfolgen… Daß dabei noch die Judaistik unterwandert werden sollte, eben ausgemerzt, eine „Judaistik ohne Juden” werden, ist grotesker Auswuchs dessen. Der Jude sollte nur ihr Objekt sein; ins Bild des Objekts paßte weder sein akademischer Widerstreit noch zuvor etwa sein Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
Als Objekt war der Jude geheiligt, doch: wie der homo sacer bei Agamben, der nun ferner keine „Schonzeit” mehr haben solle, so die Täter-Opfer-Perversion der Antisemiten. Dem Überlebende wurde angesichts der Schuld der Täter aufgebürdet, diese zugelassen zu haben und nun nicht wieder zuzulassen, beides, er sollte nicht über das reden, was ihm widerfahre; oder: widerfahren ist. Auschwitz? Sache nicht der Juden, denen es an der Voraussetzung gebreche, sine ira et studio darüber zu sprechen. Diese Verkehrung schließt an den Mißbrauch des römischen Rechtsgrundsatzes suum cuique nahtlos an. Entwirklichung folgt daraus; und Vergessen.
Die Folge war und ist die Marginalisierung der Juden; und eben ihrer Geschichte und des insbesondere deutschen Unrechts an ihnen. Goldhagen und andere sollten dementsprechend ungehört bleiben und wurden – objektiv – verrissen, oft, ohne von den Kritikern gelesen worden zu sein. Lobpreis an Hitler, ans Pornographische grenzende Hingabe an seinen Todeskult? – Nie geschehen, viel zu lange… Auschwitz „kaum mehr als eine Wortmetapher, nichtssagend und bedeutungslos.” Zur Metonymie fehlt, so darf man lesend ergänzend, dem jedenfalls hier ahistorisch werdenden Bewußtsein vieler Deutscher schon der Bezug zur Realie…
So ist dieses Buch ein Verzeichnis des eigentlich Entmutigenden – und dennoch: nicht ohne Witz, nicht ohne Stolz, nicht ohne Lebensfreude. Das der Triumph dieses Buchs, dessen Bestehen gegen alles zeugt, was da verzeichnet wird. Und zeigt, was gleichwohl, bei aller Schuld, möglich und geboten wäre. Ein wichtiges Buch, das man lesen sollte.
Fixpoetry 2016
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