Kritik

Let there be Pop!

Hamburg

Was Karl Bruckmaier mit Martin Büsser und Diedrich Diederichsen gemein hat? In erster Linie die Sturköpfigkeit: Er ist bissig wie Büsser, süffisant wie Diederichsen und aufmüpfig wie beide. Und dann, ja, wären da noch die Bücher, mit denen sich alle Drei demselben Thema gewidmet haben: Der Neuauflage von Büssers On The Wild Side. Die wahre Geschichte der Popmusik (aus dem letzten Jahr und Diederichsens kürzlich erschienenem Mammutwerk Über Pop-Musik wird nun vom Murmann Verlag Bruckmaiers The Story of Pop daneben und vor allem entgegen gestellt.

Entgegen, weil der Radiomoderator des Bayerischen Rundfunk und Pop-Kritiker der Süddeutschen Zeitung von Geschichtsaufbereitung, die sich am popmusikalischen Kanon orientiert, wenig hält. Sollte ihn jemand des Nachts wecken, um ihn nach dem zweiten Vornamen von Prince zu fragen, würde ihm das sicherlich ad hoc nicht einfallen – und wozu gibt es denn das Internet? Bruckmaier möchte lieber weiterschlafen und von seinem ersten Prince-Konzert träumen.

Ein wahrer Gräuel scheint ihm auch das Regime der »Theorie-Herrenmenschen« zu sein, »dieses Protzen mit französischer Philosophie und afro-amerikanischem ‚Je ne sais quoi‘«, wie er bereits eingangs klarstellt. Dass die Volte gegen jegliches »Post-irgendwas-Gezeter« sich eindeutig an Diederichsen und das mit ihm eng verbandelte Magazin spex richtet, ist glasklar.

Geschichte und Theorie sind also out. Was aber will uns Bruckmaier dann erzählen? Welche Story of Pop haben Büsser, Diederichsen und die vielen anderen noch nicht erzählt? Auf welche Weise will er den Stoff aufbereiten, nachdem der schon aus jeder erdenklichen Perspektive erschöpfend aufbereitet wurde? Ganz einfach (oder auch nicht): Bevor es seit- und querwärts geht, fängt Bruckmaier ganz von vorn an.

Jetzt ernsthaft: Ganz von vorn. Los geht es nämlich bei Ziryab, also Abu I-Hasan »Ali Ibn Nafi«, einem persischen Musiker und Dichter, der von 789 bis 857 lebte. Von da an geht es ins spanische Córdoba des Jahres 822, wo die Popgeschichte, so behauptet zumindest Bruckmaier, ihren Anfang nimmt. Klingt nach Quatsch und liest sich zuerst auch so. Bis dann nach und nach die losen Fäden zusammenfinden und klar wird, dass hinter der Pose ein Masterplan steckt. Der aber wird anders als gewohnt ausgebreitet.

Fußnoten? Gibt es keine. Dafür umso mehr Zitate, und wer die ausgesprochen hat, das lässt Bruckmaier gerne mal im Dunkeln. Er klaut und collagiert, was das Zeug hält. Frei nach der Methode Pop und im vollen Bewusstsein, dass das Urheberrecht ein um den ollen Genius konstruiert wurde und eben der – das hatte schon der von Bruckmaier nicht erwähnte Roland Barthes erkannt – seit seiner Erfindung doch nur vom bösen Kapitalismus gemolken wird. Pop aber ist Gemeingut und sowieso liest doch niemand Fußnoten, wenn es dafür doch das Internet gibt.  

»Let there be Pop« fordert Bruckmaier also und vertraut darauf, dass seine Leserschaft das abgewandelte Tocotronic-Zitat erkennt oder zumindest ergoogelt. Dann sprintet er weiter durch die Geschichte, spinnt seine Story of Pop über einem gebrochenen Beat, lässt im klugdreisten Friedrich-Kittler-Flow Dinge zusammenfließen, die so offensichtlich zusammengehören und doch so selten zusammengedacht werden.

Es geht in The Story of Pop um Unterdrückung und Subversion, um Ausbeutung und Aufstand, um Kolonialismus und Diaspora, um Kommerz und Kommunismus, um Segregation und Miteinander, um No Future und die große Hoffnung auf das Morgen und wie all das immer schon von Musik begleitet wurde. Um die schwarzen Sklaven, die mit ihren Trommeln in der neuen Welt die Geburt von Afroamerika aus dem Geiste der Musik feiern, um Frauen, die sich über coin-ops emanzipieren und Klassengesellschaften, die auf dem Dancefloor kollabieren. Es geht, kurz gesagt, in The Story of Pop mal wieder um alles.

Diese Geschichte fängt eben nicht mit Elvis‘ erstem Schattenwurf auf die Leinwand an, interessiert sich nicht für Alben wie »Revolver« von den Beatles oder »Pet Sounds« von den Beach Boys, weil sie Pop nicht mit »populär« übersetzt oder den Begriff nicht für sich stehen ließe. Pop heißt bei Bruckmaier menschliche Gemeinschaft, im guten wie im schlechten Sinne. »Wir können auch Leben dazu sagen«. Müssen wir sogar, unbedingt.

»Pop ist im Endeffekt eine Anverwandlung extremer Positionen, wie sie von den Marginalisierten dieser Erde ebenso formuliert werden wie von den Überprivilegierten«. Pop ist Kultur ist Gesellschaft ist Politik ist Prozess. »Pop ist die Ablehnung eines zu erreichenden Endzustands. « Pop ist immer Zukunft, gestern, heute und erst recht ist Pop die Zukunft von morgen.

Naiv ließe sich der Bruckmaiers Optimismus nennen, erst recht wenn er das Internet preist – ist es aber nicht. Denn wie schwarzen Sklaven die Trommel ertönen ließen, um zu überleben, zusammenzufinden und den Neuanfang zu gestalten, so rottet sich in den Communities, die nicht ohne Grund so heißen, eine neue Hoffnung zusammen. »The future is unwritten«, steht auf einer Single von The Clash, und obwohl Bruckmaier genau das nicht zitiert: Sein monumentales Werk liefert den besten Beweis dafür, dass immer noch wir die Stifte, Keyboards und Touchscreens in den Händen halten, um sie voranzuschreiben. 

Karl Bruckmaier hat tatsächlich mehr mit Martin Büsser und Diedrich Diederichsen gemein, als er es seinem markigen Vorwort zufolge nach jemals haben könnte. Alle drei eint die Liebe zum Gegenstand, die Hoffnung auf das subversive Potenzial von Pop, den Blick in die Zukunft. The Story of Pop ist zutiefst politisch, ohne dabei in Phrasen zu verfallen. Schräg erzählt, wie sich das eben gehört. Eine grandiose Liebeserklärung an die Kraft der Kultur, inklusive aller Widersprüchlichkeiten, die diese mit sich bringt. Let there be Pop, please!

Karl Bruckmaier
The Story of Pop
Murmann
2014 · 352 Seiten · 29,99 Euro
ISBN:
978-3-86774-338-9

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