Das Ansichtskartenafrika
Es beginnt mit einem Paukenschlag: „Als mein Bruder fünf Jahre alt war, wurde er von einem Traktor überfahren, und obwohl mein Vater den Traktor lenkte, war nicht nur er schuld am Tod meines Bruders, sondern wir trugen die Schuld zu dritt.“ So im Opener „Der Grashalm“ , dem zwanzig weitere ungeheuerliche Begebenheiten folgen sollen, eigentümliche Storys über das Verheddertsein im Gewöhnlichen, das jederzeit ins Monströse sich zu steigern imstande ist. In einer reizvollen Mixtur zwischen dem Nachvollziehbaren und einem facettenreichen Schrecken gehalten, wird man der Banalität so mancher menschlicher Verstrickung gewahr.
Über ihre Texte zu sprechen, sei nicht so ihre Sache, meint Katharina Bendixen. Obwohl es da einiges zu bereden gäbe. Mit ihren Erzählungen, in denen der Alltag in surreale Alpträume, in seltsame Bedrückungen umkippt, hat die Leipzigerin bereits für einige Aufmerksamkeit gesorgt – mehrere der Geschichten, die nun unter dem Titel „Der Whiskyflaschenbaum“ im Poetenladen Verlag erschienen, wurden mit Preisen und Anerkennungen bedacht. Für die karge Desillusion der Erzählung „Das Ansichtskartenafrika“ konnte sie im letzten Jahr u. a. den Wettbewerb um den renommierten Würther Literaturpreis für sich entscheiden.
„Ich habe immer an das geglaubt, was sie geschrieben hat“, beharrt die Mutterfigur im Preis-Text, eine verlorene Gestalt wie viele Bendixen’sche Helden, der schließlich über dem Warten auf die Rückkehr der Tochter auch noch der Mann abhanden kommt. Es bleiben ihr nur die verstaubenden Postkarten des Kinds im Küchenfenster, sie sind ihr Traum in eine Anderswelt, einen sich ändernden Zustand. Die Autorin bedient sich dabei einer geradlinigen, kristallinen Erzählweise, die zuweilen frösteln macht und doch fasziniert, an großen Vorbildern geschult ist und die sich an deren Vorleistung durchaus auch reibt.
Die Tradition dieses Erzählens beginnt bei Musil, sie wird von den Vertretern des magischen Realismus, insbesondere Gabriel García Márquez, zu leuchtender Blüte getrieben. „Ich würde einen meiner größten Einflüsse aber eher bei dem Autor verorten, bei dem auch der magische Realismus eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen hatte, nämlich Kafka“, gibt Katharina Bendixen in einem Interview Auskunft und verweist damit auf einige Motive, die auch ihrer Arbeit eigen sind: die Enge, die Unumkehrbarkeit der Dinge, das Ausgesetztsein miteinander, das Nicht-voneinander-Fortkommen, und, umgekehrt: das Leid an der Trennung.
Auffällig ist Bendixens Bezug zum Ländlichen, Provinziellen, was eingedenk der Tatsache, dass die Autorin vorrangig im Pleißemetropölchen aufwuchs, für gelegentliches Nachfragen sorgt. Die Orte der Geschichten sind immer kleinräumige Welttheater, man könnte sie, wenn man mag, im Südraum Leipzig oder im mitteldeutschen Dreiländereck ansiedeln. „Woher meine Faszination für das Dorf kommt, kann ich gar nicht sagen. Ich finde das Dorf nur so unendlich viel interessanter als die Stadt.“ Möglich, dass im Zustand des Aufeinanderhockens die Konflike sich zu größerer Brachialität aufschwingen, mit perfideren Folgen ...
Die – so obligatorische wie heikle – Frage nach dem ersten Roman beantwortet die Autorin, die sich zudem als Kritikerin und Herausgeberin einen Namen machen konnte, diplomatisch und bedingt sich Zeit aus. Im Angesicht des Vorgelegten ist diese Neugierde auch bis auf Weiteres müßig, sie zeugt wahrscheinlich von nicht mehr als der traurigen Romanhörigkeit des Literaturbetriebs. Die immer wieder geführte Klage hingegen, die neueren Autoren hätten nichts zu erzählen, kann man nach der Lektüre des „Whiskyflaschenbaums“ getrost vergessen. Eines der interessantesten, versiertesten Debüts der letzten Zeit.
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