Kritik

Musterbuch

Kathy Reichs hat sich aufs Musterbuchschreiben verlegt, was auch „Fahr zur Hölle“ eher schadet als nutzt
Hamburg

Die Konjunktur der Krimi-Pathologen hat Kathy Reichs gut zu nutzen verstanden. Mit ihrer Forensikerin Temperance Brennan hat sie der Leichenfledderei noch eins drauf gesetzt. Brennan beschäftigt sich nun seit Jahren – und das im TV-Serienformat ebenso wie im Roman - nicht mit Leichen, sondern mit dem, was noch von ihnen übrig bleibt. Das toppt nicht selten den Ekelgrad, macht aber zugleich auch ein wenig mehr Distanz möglich, da die Menschenähnlichkeit in einigen Fällen doch stark zurückgedrängt ist. Was sie macht ist, mehr klassischer Totentanz (mit Gerippe) als Vivisektion, der gute Benn lässt eben nicht grüßen.

Dass die Serie „Bones“, an der Reich bis heute als Produzentin mitwirkt, zugleich Geschlechterrollen und -konventionen, zum Teil in der Inversion verhandelt, ist dabei ein Zusatz, der dem TV-Format gedankt ist. Auch die Umkehrung der Ausstattung, die dann mit dem intuitiven männlichen Ermittler und der rationalen Forensikerin hausieren geht, ist im Roman kaum erkennbar. Was das angeht, ist Reichs im Text sehr viel konventioneller und zurückhaltender.

Und das ist auch „Fahr zur Hölle“ anzumerken. Der Text ist vor allem als Musterbuch in Sachen Rätselroman zu sehen, der zwischendurch auch mal „huch“ vor Überraschung sagen muss.

Eine Leiche wird in einem Fass mit Asphalt aufgefunden – schon gehen die Spekulationen los, welcher der zahlreichen Vermissten denn an diesem denkwürdigen Ort aufgefunden wurde. Am Ende gibt es dazu eine Auflösung, die dann auch alle Nebenpfade mit bedenkt, die der Roman zwischenzeitlich einschlägt. Aber das Muster, mit dem sich dann die Wahrheit zeigt, ist dann doch ein wenig arg gewollt.

Das mag damit zusammenhängen, dass Reichs hier neben ihrem Fall auch eine Einführung in das amerikanische Autorennwesen zu geben versucht, das, wie alles was es auf Erden gibt, seine Merkwürdigkeiten und Absonderlichkeiten hervorbringt: Fans, die den vergangenen Zeiten nachtrauern oder sich hingebungsvoll jeder neuen Wendung ihres Sports hingeben, Leute, die davon profitieren, und andere, die dabei untergehen.

Außerdem wird noch eine Politstory über fanatische amerikanische Nationalisten eingebaut, die sich gern an allem, was sich ändert, aufreiben: Frauen, die Auto fahren, Schwarze, die Rechte haben, und was sich sonst noch so in der Welt tut.

Es gibt eben in der Welt eine Menge Fanatismus, und das in  den verschiedensten Varianten, die sich einander nicht einmal wirklich ausschließen. So können Rennfanatiker mit Rassenfanatikern ganz großartig und so weiter.

Dumm ist nur, dass dabei immer wieder Leute zu Schaden kommen: Eine von ihnen ist eine junge Frau, die vor ein paar Jahren mitsamt ihrem Lover verschwindet, was zahlreiche Spekulationen provoziert, aber keine von ihnen war bislang erfolgreich, was naheliegend dazu führt, dass Brennan mit ihrer Mischung aus Analytik, Intuition und Hartnäckigkeit ins Spiel kommt und alles auflöst.

Das aber macht diese Figur deutlich langweiliger und dröger als ihren TV-Zwilling, der eben aus der Analytik heraus seine Gegenseiten immer erst neu entdecken muss. Auch das mag ein Konzept sein, das sich totlaufen kann. Aber wenigstens taucht es nicht ganz so konturlos im Einheitsbrei der Massenkrimis unter wie dies bei Reichs‘ Romanen der Fall ist. Das ist schade und auch unnötig, hätte die Autorin doch jeden Grund, sich von ihrer eigenen Idee anregen zu lassen. Dass sie das versäumt oder nach und nach hat schleifen lassen, geht zu ihren Lasten und leider auch zu Lasten der Leser (wenngleich nicht notwendig zu dem des Erfolgs dieser Texte, die immer im großen Format erscheinen).

Auch die Anlage des Plots ist wenig überraschend. Naheliegend ist der erste Verdächtige nicht der Richtige, naheliegend ist einer der Assistenten der Hauptfigur ein Verräter oder eben nicht. Naheliegend muss die Figur noch knapp vor der Aufklärung in höchste Gefahr geraten, um dann kurz vor dem endgültigen Aus noch errettet zu werden. Das hat mit suspense nun gar nichts zu tun, sondern nur mit einem erprobten Muster.

Damit aber nicht genug: Naheliegend werden wir auch noch über die diversen Geheimnisse des Forensiker-Lebens aufgeklärt (immerhin fehlt dieses Mal die forensische Linguistik), es gibt Gifte, die sonst keiner kennt, und Aufgaben, die man nicht haben will (kleine Schädelknochensplitter zusammenpuzzeln).

In der Überraschung steckt dabei dann vor allem eins, dass alles erwartbar ist, und das ist für ein Musterbuch gut, aber nicht gut für einen Krimi.

Kathy Reichs
Fahr zur Hölle
Übersetzung:
Klaus Berr
Blessing
2011 · 352 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-896673251

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