Wunderbare Poesie und verunglückte Gedichte
„Der Dichter ist ein lebendiger Tempel der Sprache.“ Tatsächlich lebt der das schrieb in seiner Heimat eremitisch und unsichtbar, der weißhaarige, rauschebärtige Koreaner Park Hijin. Immerhin haben es seine Gedichte bis nach Deutschland geschafft; sie erschienen jüngst in der neuen „koreanischen Reihe“ der Edition Delta, als Werkausgabe herausgegeben von der Stuttgarter Übersetzerin Juana Burghardt. Südkoreanische Literatur ist in den letzten Jahren immer wieder kurzzeitig schärfer im Blickpunkt gewesen, vor allem vor und während des Gastland Status bei der Buchmesse 2005 in Frankfurt. Eine interessante Schmelze aus Exotik und asiatischen Traditionen einerseits und sich rasch entwickelnder westlich geprägter Moderne andererseits durchfließt das Land und macht es uns zugänglich und fremd zugleich. Und diese Gleichzeitigkeit findet sich auch in der Lyrik des Landes, die noch unbelastet mit seelischen Begriffen und elementaren Stoffen umgehen kann, welche bei uns schon längst unter den Stichworten Esoterik, Innerlichkeit, Romantik abgehakt und aus Gedichten herausgestrichen werden würden, dabei sich aber auch unseren eigenen technikdominierten, hich-tech-konditionierten, komplexen Daseinssituationen durchaus vertraut zeigt. „Längst ist die Poesie Südkoreas in der Postmoderne angekommen, ohne dabei ihre Eigenständigkeit aufgeben zu müssen.“ konstatierte Jan Volker Röhnert.
Natürlich hätte ein Rauschebart wie Park Hijin mit seinen Leitmotiven der Innerlichkeit hierzulande bestenfalls eine Chance als Sonderling wahrgenommen zu werden und seine Bücher fänden wohl gerade mal in die Bücherecke eines Teeladens, weil er auch als Dichter jene Wahrheitssuche umsetzt, der er sich als Mensch verschrieben hat. In Korea allerdings ist der esoterische Teil des Menschen ein ebenso gewöhnlicher, wie der exoterische, der dem außen liegenden Gott der Moderne, dem schnöden Mammon, huldigt. In Korea ist auch das Ansehen „des Dichters / der Dichterin“ ein anderes, Literaturlesungen füllen bisweilen ganze Stadien; die Poesie ist kein Tempel für avantgardistische Sprachübung, sondern durchaus volksnah mitsamt seiner Protagonisten angesiedelt. Aber auch hier gibt es Wandel und neuartige Erscheinungen. Emanzipationen. Man denke nur an Kim Hyesoon, die in den neunziger Jahren den französischen Poststrukturalismus importierte und feminin auskleidete. Ihre écriture féminine südkoreanischer Prägung rückte den weiblichen Körper ins Zentrum und blieb nicht ohne Einfluß.
Eigens im März dieses Jahres zur Buchmesse nach Leipzig zur Vorstellung ihres ins Deutsche übertragenen Buches angereist, las die koreanische Lyrikerin Kim Sun-Woo (geb. 1970), die sicher von Kim Hyesoon nicht unbeeinflußt blieb, aus ihren Gedichten, und obwohl diese von der Schauspielerin Steffi Böttger kongenial auf Deutsch dargeboten wurden, fand sich kaum jemand im Zuschauerstrom bereit stehenzubleiben und sich dem Charme und der Lebendigkeit einer fremdartigen Kultur zu öffnen. Gelohnt hätte es sich, denn Kim Sun-Woos Gedichte sind selbstbewußte Zeugnisse einer sich selbst befreienden Weiblichkeit.
Das Buch ist ebenfalls in der Edition Delta erschienen und in seiner Aufmachung (Titelbild von Juana Burghardt) leider sehr an stereotype asiatische Anmut angelehnt. Es impliziert zudem mit seinem Titel „Unter Pfirsichblüten eingeschlafen“ einen Inhalt, der unseren schlimmsten Vorurteilen romantischer Verklärung entspricht. Verklärung, die man in den Texten nirgends findet. Hier stimmt einfach die Verpackung nicht. Ich hätte das Buch niemals auch nur in die Hand genommen, wenn ich nicht zufällig auf der Leipziger Buchmesse die Lesung gestreift, innegehalten und zugehört und mir die entsprechenden Flyer dazu eingepackt hätte. Dazu kommt, daß die Übersetzungen des Teams Kang Seung-Hee und Kai Rohs doch oft grob und ungelenk wirken, wenig melodisch und kaum aufgeladen sind, abgearbeitet und flach wirken, wie frisch aus einer Übersetzungsmaschine ausgedruckt. Dennoch lassen die Texte schon beim ersten Lesen wundervolle Poesie hinter all diesen Mißlichkeiten mehr als nur erahnen. Ein Satz wie der folgende möge das verdeutlichen: „Mein Winterschlaf, der nirgends seine Ruhe finden kann, / läßt am Ende eines Zweiges, der einem Vogelfuß gleicht, Salz kristallisieren.“ – das ist einfach nur Wort für Wort übersetzt und könnte doch bei genügender Hinwendung und lyrischem Talent der Übersetzer auch im Deutschen große Poesie sein. Wie viel stärker als diese holprige, schwache Übertragung muß das zugrundeliegende Original des folgenden Gedichtes sein?:
Dein Kot ist mein Fisch (Auszüge)
......
Beim Verspeisen der üppigen Eßkastanie
beißt man unerwartet auf die Raupe,
die an die weißen Unterschenkel der gut ernährten Mütter erinnert
und dem rundlichen Säuglingsleib gleicht, dessen feine Blutgefäße
unter der Haut deutlich zu erkennen sind.
Starker Fleischgeruch, der in der Kastanienfrucht steckengeblieben ist,
breitet sich aus.Zur Silla-Zeit sagte angeblich der Mönch Hyegong
dem Wonhyo einmal beim Darmentleeren:
Dein Kot ist der Fisch, den ich gefangen habe.....
Im starken Fleischgeruch der milchweißen Eßkastanie
entleeren die eingerollten Raupen ihren Darm.
Sie fressen sich mit allergrößter Sorgfalt genußvoll durch die Eßkastanie,
in der einige flinke Fische mit ihren Flossen schlagen.Diesen Fisch werde ich nach dem fürstlichen Verspeisen ihres Kotes gebären!
Er schwimmt in mein warmes Fleisch hinein.
Wer aufmerksam liest, versteht sofort – hier ist gewiß eine gute Dichterin am Werk, aber ihr Gedicht stolpert durch die deutsche Sprache und holpert und wird zum bloßen Text.
Das Buch ist zweisprachig angelegt und wenn man sich das koreanische Schriftbild sehr genau anschaut, gibt es dort in den Zeichen Entsprechungen, die man sofort als Reim in verschiedenster Form erkennt, Versmerkmale, die man aber umsonst in der Übersetzung sucht. Auch die Satzlängen und Proportionen im Gedicht stimmen nicht. Es drängt sich selbst dem Sprachunkundigen beim Lesen sehr bald der Verdacht auf, daß die Übertragung nicht gelungen ist. Und ich bin mir nicht sicher, ob das „Darmentleeren“ nicht einfach „Scheißen“ heißen muß.
Schade – Kim Sun-Woo ist zu wünschen, daß ihre Gedichte in einer poetisch reiferen Übertragung ins Deutsche finden, denn soviel kann man selbst an den nicht ganz gelungenen Versuchen in diesem Band sehen, es ist große Poesie. In einer verfeinerten Fassung träfe dann auch auf Kim Sun-Woo zu, was Jan Volker Röhnert 2005 über die südkoreanische Lyrik im Allgemeinen feststellen konnte: „Sie gehört zum innovativsten und anregendsten, was an Lyrik gegenwärtig auf dem Globus kursiert.“ - gerade wegen ihrer tabufreien Pendelbewegung zwischen traditionellen Inhalten und moderner Form ganz ohne Tiefenangst, möchte ich hinzufügen.
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