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Kritik

„wenn ich walzer tanze mit augenblicken“

Hamburg

2019 wird Norwegen Gastland der Frankfurter Buchmesse sein, ein guter Grund, sich einmal mit norwegischer Literatur zu beschäftigen. Hendrik Ibsen, Sigrid Undset oder Knut Hamsun sind hinlänglich bekannt, haben sich ihre literarischen Meriten erworben, werden zum Teil, siehe Hamsun, auch heute noch kontroversiell diskutiert. Doch wie sieht es mit dem zeitgenössischen Literaturschaffen dieses nordeuropäischen Landes aus? Wie vor allem ist es um die norwegische Lyrik bestellt?

Ein Blick auf die Lyrikplattform www.lyrikline.org irritiert. Nur 10 norwegische LyrikerInnen können hier nachgelesen und nachgehört werden, Kjartan Hatløy ist nicht darunter. Eine etwas dürftige Zahl, wenn man vergleicht: Aus den Nachbarländern Schweden (18) und Finnland (19) wurden deutlich mehr Stimmen Raum gegeben, auch die kleineren baltischen Staaten sind besser vertreten (Estland 16, Litauen 21, nur Lettland wurde mit nur 4 LyrikerInnen deutlich weniger beachtet). Zum Vergleich: Aus Deutschland werden aktuell auf diese internationale Plattform 141 Stimmen präsentiert.

So ist die neueste Publikation der „edition offenes feld“ ein Coup, der einem glücklichen Zufall und der Liebe zum Abseitigen entsprang, denn während der Planung des Buchs, der Gedichtauswahl und der langwierigen Arbeit des Übersetzens durch Klaus Anders war dieser zukünftige Buchmessenschwerpunkt gewiss nicht zu erwarten gewesen. Und es bietet sich nun eine gute Möglichkeit, uns mit dem norwegischen Lyriker Kjartan Hatløy und seinen Gedichten auseinanderzusetzen, die erstmals ins Deutsche übersetzt wurden. Nein, ich muss einschränken: Der Dichter bleibt unbekannt. Denn die Angaben im Buch und vom Verlag zur Person des Lyrikers sind spärlich. Ihn auf Google zu suchen ist frustran, es gibt kaum Informationen in deutscher oder englischer Sprache, die weiterhelfen könnten, und des Norwegischen bin ich nicht mächtig, denn in Hatløys Muttersprache wären sehr wohl einige Beiträge verfügbar.

Geboren 1954 im Südwesten Norwegens war er Werftarbeiter und Kleinbauer. Er debütierte 1996 mit dem Gedichtband „Solreven“ und hat bis heute 11 Lyriksammlungen und einen Erzählband publiziert. In norwegischen Medien wird er als „unser bester Naturlyriker“ und als „einer der brillantesten Poeten Norwegens“ tituliert. In die Gedichte selbst hat er spärlich Angaben zur eigenen Person eingestreut. So lesen wir:

Hier gibt es die sogenannten gewöhnlichen Leute. Uns gibt es, ja. ...
Wir sind nicht reich, sind keine Kapitalisten oder Kuponschneider. Wir sind Fahrer, Tischler, Maschinenführer, Klempner, Postbote.

An einer Stelle heißt es „daß ich allein lebe und keine Kinder habe“. Und in einem anderen Text: „Auf einmal fallen mir meine Toten ein, Eltern, Schwester, Freunde“. Dies verstärkt den Eindruck eines eigenbrötlerischen Mannes, der sich als „gutmütig“ bezeichnet und diese Wesenart auch den meisten anderen seiner Bekannten zuschreibt, der nachbarschaftliche Kontakte pflegt und sich samstags für ein paar Minuten in Gesellschaft begibt aus Gewohnheit, wenn sich seinesgleichen um einen Glastisch in einem kleinen Laden versammelt.

Früher waren wir einige. Wir waren zahlreicher. ... Es kommt vor, daß einer von uns zufällig einen Namen nennt. Und stracks feuchte Augen bekommt. Doch nur für kurze Zeit, ein paar Sekunden, denn wir sind ja erwachsene Männer. Dann kommt eher der wehmütige Frühlingsschrei einer Möwe zu Wort. Oder eine Schwalbe überläßt sich einem dunklen Wirbel vor unseren Seelen, ...

Viel lieber ist das „ich“ der Gedichte, das wohl zurecht als ident mit dem Lyriker“ich“ angesehen werden kann, allein mit sich, der Stille und der Natur. Hier ist es manchmal tätig, etwa beim Angeln, viel öfter jedoch aufmerksam beobachtend, die Umgebung bis ins kleine Detail wahrnehmend. „ich wohne in meinen Schritten“ heißt es gleich im ersten Gedicht. Es sind leise Schritte, die sich die Gegend erwandern, um immer wieder staunend oder fassungslos innezuhalten.

Ich ging hinunter an diesen Fjord, so leise ich konnte, als ob ich mich an einen Hirsch anschleichen würde. Doch er war dann in so vielen verschiedenen Stimmungen, und schon war ich umringt.

Es sind diese Stimmungen, die der Lyriker mit Worten verdichtet, eine intensive Annäherung bar jeder Idylle, ohne Anflug von Kitsch. Häufig wandert er zum Fjord, betrachtet die Wellen des Meers, den wechselvollen Himmel, die Kargheit der Landschaft, das Wesen der Vögel, den Schnee. Hatløy registriert mit hellwacher Aufmerksamkeit die Veränderungen im Lauf der Jahreszeiten, freut sich am Erwachen der Natur im Frühling, an kurzen, schönen Sommern und der nordischen Nacht, weiß die Veränderungen des Herbstes detailliert nachzuzeichnen und die harten, rauen Winter mit ihren langen Nächten mit Gleichmut hinzunehmen, mehr noch, sich daran auf seine Art zu erfreuen.

Jetzt ist hier schöner Sommer. Jetzt sind die kleinen Stunden hier, lange nach Mitternacht. Ich beschließe zu feiern, daß es diese Stunden gibt. Obwohl schon so spät im Leben. Ich feiere nicht mit Schnaps, sondern indem ich die Gedanken schweifen lasse und vor nichts ausweiche.

„Obwohl schon so spät im Leben“ – wie absichtslos ist dieser Gedanke eingestreut und lässt stolpern. Und ja, Hatløy weicht nicht aus. Die Endlichkeit ist durchgehendes Thema dieses Buchs, jene der Natur und der ländlichen Stimmungen genauso wie jene des Lebens. Er thematisiert sie in der gleichen unaufgeregten Art wie er die menschlichen Anstrengungen nachzeichnet, die den Unbilden der Natur entgegengesetzt werden. Etwa jene der Nachbarin, die ihren Garten in eine Blumenoase verwandelt und sich dessen dabei stets gewiss ist, dass Hagelschauer und Starkregen ihre Bemühungen zunichte machen werden. Denn die Natur kommt und geht, wie sie will, der menschliche Einfluss ist gering. Und es klingt auch bewundernd, wenn er dichtet:

Doch sie pflanzt einfach neue. Dieselben Arten wie vorher. Wenn sie der Regen nimmt, hält sie dagegen.

Erwartbar in einem Land, in dem die kalte Jahreszeit nur wenig Tageslicht zulässt, ist vieles schwarz und (blei)grau. Doch das Auge des Dichters giert nach Farben, denen in diesem Band große Bedeutung zukommt. Da ist zum einen das changierende Grün der Landschaft: Gras, Farne, Moos, Wacholder, ein Hang. Aber auch eine Iris ist grün. Oder ein grüner Stein, der statt der Zunge im Mund liegt, ein stimmiges Bild für das Verstummen des Menschen angesichts der Natur. Das unterschiedliche Blau von Himmel, Berg oder Klippen. Dagegen setzt er das Weiß dünner Bachfäden, das weiße Wasserfall-Licht und jenes Weiß und Silber von Wellen. Auch die Farbenvielfalt des Moors würdigt er und jene des Fjords. Die am häufigsten vorkommende Farbe jedoch ist gelb. Die Gestirne sind gelb, gelbweiße Schmetterlinge flattern, „ich ... will in dem Gelben wohnen“ heißt es einmal, anderswo lesen wir vom „gelben Bus der Ereignisse“ oder vom „gelben Licht“. Und es lebt eine sachte Fröhlichkeit in diesen Zuschreibungen, die schon im Titel des Buchs anklingt, einer Zeile aus einem Gedicht, in der es heißt: „ich ... / spüre die Lippen verlangen nach Ocker“.

In diesen Gedichtband wurden beispielhaft Gedichte aus allen 11 Lyrikbänden von Kjartan Hatløy aufgenommen. Keines hat einen Titel. Sie überraschen weniger durch ihre Sprache, die als durchaus konventionell bezeichnet werden kann, als durch ihren Bilderreichtum sowie jähe Wendungen und die Kunst der Verknappung, die innehalten und Lesenden genug Raum für Reflexion lassen. Die Gedichte des ersten Drittels entsprechen der Form nach freien, reimlosen Gedichten, gehen im zweiten Drittel allmählich in kürzere prosaähnlichere Texte über, die schließlich längeren lyrischen Prosagedichten Platz machen, wobei die Grenzen zum klassischen Prosatext dann und wann verschwimmen. Eine zeitliche Einordnung ins Schaffen des Autors ist mir genauso unmöglich wie eine Beurteilung der Veränderungen des lyrischen Könnens und der dichterischen Reifung im Zeitenlauf, da jede weiterführende Information vom Verlag ausgespart wird. Weder sind die Gedichte datiert, noch gibt es eine Nachbemerkung, die erklärt, aus welchem Lyrikband welcher Text entnommen wurde. Ein kurzes Nachwort der Herausgeber wäre durchaus hilfreich gewesen. So bleiben wir allein mit jedem einzelnen dieser Gedichte, nur wir und das Gedicht, unbeeinflusst durch ein Wissen, das unserer Auseinandersetzung möglicherweise ohnehin nur im Weg stünde.

Kjartan Hatløy
Die Lippen verlangen nach Ocker
Übersetzung:
Klaus Anders
edition offenes feld
2016 · 108 Seiten · 18,95 Euro
ISBN:
9783739213989

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