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Kritik

Gleichnisse

Klaus Anders an allen Orten
Hamburg

Seit Margitt Lehbert mit der Edition Rügerup die deutschsprachige Abteilung des schwedischen Verlages Nimrod Einsatz leitet, erscheinen aus dem ländlichen Rügerup bei Hörby in Schonen sehr schön hergestellte und mit viel Liebe ausgesuchte und edierte Bücher deutscher Autoren, vor allem aber von Autoren in deutschsprachiger Übersetzung.  Unter letzteren ist der angesehenste der Australier Les Murray, den Lehbert seit langem mit Nachdruck protegiert und von dem es immer wieder heißt, er werde seit längerem als Kandidat für den Literaturnobelpreis genannt.  Auch der Lyriker Klaus Anders ist als Übersetzer aus dem Norwegischen bei Rügerup in Erscheinung getreten.

Der fünfte Gedichtband von Klaus Anders mit dem schönen Titel Wachtelzeit (an Sommermorgen in Schonen sind manchmal ganze Wachtelschwärme an den Feldrändern zu sehen) ist sehr aufwendig produziert und wirbt mit einem künstlerisch gestalteten Foto des Autors auf dem Einband mit einem Strohhut und einer Handschriftenprobe auf der Einbandrückseite.  Der Band ist mit ca. 125 Seiten nicht nur recht stark, sondern mit zahlreichen, in drei nummerierte Abschnitte gegliederten Gedichttexten auch abwechslungs- und beziehungsreich. Anders fährt Orte und Landschaften u.a. in den Vereinigen Staaten (Pennsylvania, New York), Italien und Schweden ab und zeigt sich kenntnisreich und belesen (z.B. die englischen Dichter William Blake und John Clare), Der einführende lange Text „Pennsylvania“ umfasst den ersten Teil des Bandes. Darin bereist und umkreist Anders Kindheitserinnerungen und das Gebiet der „Pennsylvania Dutch“ (Amish) und verwebt anheimelnd Eigenes mit literarischen und Gegenwartsbezügen:

Wir hatten eine Ziege daheim,
sie hieß Bessie und war
die Intelligenteste von uns allen.
Manchmal, wenn sie mich ansah
und dabei versonnen einen Zweig kaute,
schien mir, sie würde gleich etwas
sagen, irgendein spitzes Bonmot. In solchen
Augenblicken sah sie aus wie Vanessa
Redgrave in The Bostonians.

Ob Anders ein Exemplar seines Buches an Redgrave geschickt hat, die als heikle neuenglische Dame Olive Chancellor in der Verfilmung von Henry James’ Roman brillierte? Wie man sieht, schreibt Anders ein freundliches, oftmals witziges, gut lesbares Parlando – er berichtet, er beschreibt, er erinnert sich.  Das bewegt sich alles oft sehr in der Nähe leichter Prosa und nicht immer sind die Zeilenbrechungen, die Reime oder die Wortwahl sonderlich überraschend: So rückten „die Sterne / blinzelnd näher“, der „Wind riß am Dach“ und das „Geäst“ muss „krachen“ (“Pennsylvania“).  Anders’ Naturbeobachtungen, oft in sehr kurzen Texten („Rapsblüte“), manchmal in gemächlich längeren („Kreuzspinne“), sind stellenweise frisch und überraschen; andere sind eher wie Gleichnisse und um neo-romantische Volksliedhaftigkeit bemüht (müssen wir hier an Robert Burns denken?).

Spitzmauskinder

Die Katze biß ihnen die Mutter tot,
Da lagen sie warm und schliefen,
Bis sie sehr schmerzhaft der Hunger kniff.
Sie wurden unruhig und riefen.

Sie krochen heran und irrten durchs Gras,
Das eine gesund, das andere ein lahmes,
Sein ganzer Hinterleib hing schlaff,
Kaum von der Stelle kam es.

Sie krochen und schrieben immerzu,
Das lahme schrie am längsten.
Am nächsten Morgen liegen sie tot,
Vorbei sind Schmerz und Ängste.

Ebenso spektakulär wie gruselig ist Anders’ Gedicht „Vivarium“. Man sieht hinter dickem Panzerglas einen Alten gierig und zittrig Schlagsahne löffeln – hier ist jemand ausgestellt, der nicht in seinem Bunker Selbstmord begangen hat.

                                  Sein Mund spricht unentwegt,
Er tobt, der Mann brüllt, schluchzt, doch keiner
Hört ihn, schalldicht ist das Glas. Man hielt ihn
Vierzig Jahre lang verborgen auf dem
Speicher des Dekabristen-Museums Irkutsk. Dann
War er weg – und steht jetzt in einem Laden
In Brooklyn, Atlantic Avenue, als
Deko-Objekt, kaum beachtet und
So gut wie nie erkannt. Die Frau betrachtet ihn,
Er unterbricht das Kauen, schaut zurück,
Schon wendet sie sich ab und geht, taucht
Ins Schneegestöber, ihr Schirm, o Röslein rot.

Hier wird jemand ausgestellt, wie man – nach amerikanischer Art – einst berühmte Banditen, nachdem sie getötet worden waren, zur Schau stellte. Ein Spektakel zur Abschreckung.  Nicht der Tod ist für diesen Täter die schlimmste Strafe, sondern nicht erkannt oder gar gehört zu werden.  Diese fast filmreife, sehr lesenswerte Fiktion ist fein strukturiert und mit Geduld gearbeitet und zeigt einen gekonnten Umgang im Gedicht mit diesem widerwärtigen Thema.  Das „Heideröslein“ tritt, wie wir, heran, und sticht, indem es Abstand hält.

Das Angebot an zum Teil sehr unterschiedlichen Texten in diesem Band ist groß.  Klaus Anders erzählt, sichtet und berichtet, und er tut das zumeist auf angenehme, sehr eingängige, den Leser ansprechende Weise.  Es ist ein schön gemachtes Buch, das sich entspannt lesen und wohl auch gut verschenken lässt. 

Klaus Anders
Wachtelzeit
Edition Rugerup
2014 · 17,90 Euro
ISBN:
978-942955-41-6

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