Ohne Note
In den großen - oder den übriggebliebenen - Buchhandlungen in den deutschen Fußgängerzonen schreitet die Schrumpfung der Gedichteecken munter voran, traurige Lyrikkatzentische findet man da, manchmal auch nur größere Schubladen, wo dann letztlich nur mehr so Titel sanft ruhen wie „Die lustigsten Zungenbrecher der Welt“, „Die schönsten Weihnachtsgedichte“, „Shakespeare in 90 Minuten“ oder „In vier Jahrhunderten durch die vier Jahreszeiten“. Sollen diese Reimecken noch etwas intellektueller, vielleicht auch aufgehübschter daherkommen (was auf den Filialleiter ankommt) oder - wenn noch zwei Quadratzentimeter übrig sind – dann gibt es auch noch einige in Kauf genommene Ladenhüter wie Paul Celan, den Hermann Hesse, den Rainer Maria Rilke, den „Großen Conrady“, eher aber noch Geschenkbandkompatibleres wie Goethe, Schiller und Hölderlin (letzteren immer seltener), Jandl und Fried oder witzig Gereimtes von Robert Gernhardt. Hier habe ich deshalb auch problemlos in meiner Bonner Fußgängerzone (nebst Tomas Tranströmer – dem ich noch etwa, als aktuellem Nobelpreisträger so ein, zwei Jahre in den Regalen gebe, schätzungsweise -), Konstantin Weckers Gedichte „Jeder Augenblick ist ewig – Die Gedichte“ gefunden.
Weckers Buch hat dann auch das typische Umschlagbild, nicht der Rede wert, natürlich ein Farbfoto des Dichters, nonchalantes Konterfei, der intensiv-gelassene Blick nebst Schal und Igelfrisur, strategisch so gewünscht und jugendlich-flott zum fünfundsechzigsten Geburtstag, aller Wahrscheinlichkeit nach von der „dtv“-Werbesektion. Wie blöd das alles ist. Ich frage mich da immer - obwohl es mir ja eigentlich klar sein sollte, daß es da diese Vorgaben bei den Marketingstrategen in den Großverlagen geben muß, die auf den Wiedererkennungswert spekulieren - warum so schauspielende oder im Fernsehen kochende oder musizierende oder moderierende (Promi-) Autoren nicht trotzdem einmal darauf bestehen möchten, wenn ihnen ihre Kunst so wichtig ist, ein graphisch ansprechendes, ihre Intention unterstreichendes, mehrdimensionales, tiefgestaltetes künstlerisches, kreatives Cover für ihre Bücher durchsetzen zu wollen. Stattdessen aber immer das tumbe Selbstbildnis, auf das sie sich alle hörig, scheinbar fraglos, einlassen, das bunte „Kauf-mich-denn-du-kennst-mich!“- Foto. Und gerade diese Betrachtung sollte doch eigentlich auch einem intelligenten Kerl wie dem Wecker mal durch den Schädel gegangen sein, wenn er sich denn wahrhaftig als einen Dichter begreift, dessen Drang, seine Lyrik publiziert zu sehen, ihm eine Herzensangelegenheit ist (- so wünschte ich es mir jedenfalls).
Und ich klatsche mir weiterhin den Handballen an die Stirn deshalb, weil direkt unter dem Titel des dtv-Taschenbuchs „Jeder Augenblick ist ewig“ dann zusammenfassend auch noch steht: „Die Gedichte“. Nicht etwa „Gedichte 1963-2012“ oder einfach „Gedichte“, nein, da steht das Resümee: „Die Gedichte“. Was soll denn das jetzt heißen? Konstantin Wecker ist doch nicht bereits jemand, der das Zeitliche gesegnet hat? Oder verhält es sich so, daß, wenn er noch unter uns weilt, er fortan keine Gedichte mehr schreiben will? Oder wird es vielleicht noch, wie bei Leonardo da Vinci, „die“ Gemälde von ihm geben, oder „die“ Erfindungen, „die“ Expeditionen oder gar „die“ schönsten Tore? Nein, nein, das glaube ich alles nicht, Konstantin Wecker hat nämlich nicht abgeschlossen mit allem, er ist nur, vermute ich mal, angekommen in seiner Art von postbohemer Lebensmühle aus Minne und Matze, weil ja die Performances im Liedermacherambiente möglicher- oder bedauerlicherweise out sind – ein Phänomen übrigens, das einer eigenen Betrachtung wert wäre. Sehr empfohlen sei da zur Vertiefung der Dokumentarfilm „Wader Wecker Vater Land“, ein sehenswertes Roadmovie, welches Hannes Wader und Konstantin Wecker durch ihre jüngste Deutschlandtournee begleitet, - zwei fast schon schüchterne, ängstlich-ältere Herren, die sich zeitungslesend und empfindlich zwischen den Auftritten im ICE gegenübersitzen, woraus Gottfried Benn möglicherweise ein gerontologisch-existentielles Gedicht hätte gemacht haben können. Ach, die Liedermacherära: Da neigte ich ja persönlich in den (frühen) achtziger Jahren – zugegeben - eher dem zärtlichen dunkelgrauen Ludwig Hirsch zu, welcher kürzlich seinem großen schwarzen Vogel nachgesprungen ist, aber auch unbedingt dem naiv-poetischen Herman van Veen, doch natürlich bin ich auch Konstantin Weckers wegen in die Bonner Beethovenhalle gepilgert – und, ich fand ihn schon toll! - Diese kraftvolle Rampensau, diesen schniefenden Engagierten, den Sexfilmchendarsteller aus Geldnot und/oder purem Hedonismus, den politischen Mahner und Hexer auf dem Schneebesen, den in die Toskana Abtauchenden, weil er sich nicht hat vereinnahmen lassen wollen von der bundesrepublikanischen muffigen Gesinnungsdialektik: immer intensiv, immer schwitzend, immer mit Goldkettchen und weinerlich oder schimpfend oder virtuos im Interpretieren seiner Klassiker wie zum Beispiel die Ballade vom „Willi“, diesem mundartlichen Politsong über einen von einem Neonazi erschlagenen Freund. Doch wollte ich ihn auch vor allem damals hören wegen seiner expressiven, von mir noch heuer im August anno 2012 beim Fußmarsch hin zum schwülen Einkauf beim Netto-Discounter hingesungenen, grandiosen Zeilen aus „Genug ist nicht genug“:
„Daß der Himmel heut so hoch steht,
kann doch wirklich kein Versehen sein.
Und es ist bestimmt kein Zufall,
daß die Lichter sich vom Dunst befrein.
Ich sitz regungslos am Fenster,
ein paar Marktfraun fangen sich ein Lächeln ein.
Irgendwo da draußen pulst es,
und ich hab es satt, ein Abziehbild zu sein.
Nichts wie runter auf die Straße,
und dann renn ich jungen Hunden hinterher.
An den Häusern klebt der Sommer,
und die U-Bahnschächte atmen schwer.
Dieser Stadt schwillt schon der Bauch,
und ich bin zum großen Knall bereit.
Auf den Häusern hockt ein satter Gott
und predigt von Genügsamkeit.“
Ausgerechnet diese Zeilen (wie auch die der „Ballade vom Willi“), die mich schon zu der Zeit tief berührten, als ich noch versuchte, die Kratzer der Vinylplatten zu polieren , sind seltsamerweise gar nicht drin in Weckers 266-seitigen Buch der „Gesammelten Gedichte“, wie ich das Buch im Untertitel übrigens lieber hätte benannt haben wollen, obwohl es dort ansonsten von Songtexten nur so wimmelt, und das ist auch gut so, denn wenn man die liest, singt man sie auch direkt mit.
Und genau an diesen Stellen packt sie einen dann auch direkt, jene notwendige Dimension, die Konstantin Weckers Lyrik braucht, nämlich die der gleichzeitigen, suggestiven Intonierung im wissenden Leser. Denn ohne diesen musikalischen Überbau geht die Wecker‘sche Poesie, wenn man es mal positiv ausdrücken will, kaum über eine Hommage an Hermann Hesse, über Reminiszenzen an Rainer Maria Rilke oder Verbeugungen vor Gottfried Benn hinaus. Und wenn man es dann doch negativer sehen will, kann man sogar sagen – um ehrlich zu sein - der Grad des Epigonalen ist geradezu sagenhaft, wenn es da zum Beispiel auf Seite 167 bennesk heißt: „Immer ist Ort und Stunde. / Immer bist du gemeint. / Und es ist jede Wunde / einmal zu Ende geweint. // So viele Schritte gegangen, / egal, wohin sie geführt. / Hauptsache angefangen, / ab und zu Leben gespürt. // Immer ist immer und weiter, / Immer – das bist du. / Die Tore öffnen, und heiter / schreitet der Tag auf dich zu.“ Das ist zwar recht schön, aber allzubekannt. Überdies ist das alles brav chronologisch angesammelt, wie nicht vom Autor, sondern vom (Verlags-)Unternehmen gemacht: Vorwort von Herbert Rosendorfer, dann Kapiteleinteilung: „1963 bis 1979: Eine ganze Menge Leben“, „1980 bis 1984: Ich möchte weiterhin verwundbar sein“, „1985 bis 1989: Jetzt eine Insel finden“, „1990 bis 1999: Stürmische Zeiten, mein Schatz“, „2000 bis 2012: Wut und Zärtlichkeit.“ - „Ich glaube“, sagte Konstantin Wecker einmal im Interview der Nachrichtenagentur dpa, „von meinem ganzen Wesen her bin ich Lyriker. Alles dreht sich um das lyrische Ich“. Auch seine Lieder seien immer Lyrik gewesen. „Ich bin ja angetreten mit dem Wunsch, meine Gedichte zu vertonen und sie so besser an den Mann zu bringen als nur gesprochen.“ Vertont statt nur gesprochen? Was ist mit „geschrieben“ oder „gedruckt“? Und man fragt sich zuletzt doch, wieviel Weckerblut wirklich in diese Publikation fließt, oder wieviel in die Medienindustrie absickert. Die Gedichtsammlung des ersten Kurt-Tucholsky-Preisträgers Konstantin Wecker (1995) ist schon eine gute Lektüre, aber eher als Libretto. Man kann sie versonnen durchblättern, um sie dann aber auch unbedingt wieder zuzuschlagen, einfach deshalb, weil man die Chance hat, sich weiter und intensiver darauf einzulassen, indem man direkt auf seine Lieder hört, live, auf Vinyl oder von mir aus auf You Tube. Wie auch immer und das gerne.
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