Literatenwäsche
Literatur- und Geisteswissenschaftlern wird gelegentlich, wenn einem sonst nichts mehr einfällt, eine besonders starke investigative Gabe zugeschrieben. Immerhin verbringen sie große Teile ihres Studiums und ihres Berufslebens damit, Sachen herauszufinden, zum beispiel biografische Daten, Namen und Beziehungen, wahre Namen hinter Pseudonymen, textuelle Abhängigkeiten bis hin zu direkten, wenngleich verdeckten Übernahmen. Sie denken über Wahrheit und Bedeutung nach und scheuen nicht davor zurück, die wildesten Spekulationen als wahr, wenn schon als kaum möglich hinzustellen. So reicht es ihnen meist, wenn sie irgendetwas an irgendjemand erinnert, um zu behaupten, dass das eine vom anderen abhänge. Das alles ist vielleicht ganz abenteuerlich im Geiste, zumal mit großen Wortwallungen umgeben, wenngleich methodisch kaum mehr belastbar als die Konstruktionen der zahlreichen CSI-Formate im Fernsehen, die man bestenfalls als hermeneutischen Optimismus bezeichnen kann.
Dennoch, dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Wolfgang Frühwald, war dergleichen Gedankengut derart plausibel, dass er in einem einschlägigen Beitrag mit offensichtlichem Stolz den Fall einer Kunsthistorikerin berichtete, die es bis zur Kriminalpolizei gebracht habe, gerade weil sie in der Lage gewesen sei, aus wenigen Hinweisen bereits komplette Kausalzusammenhänge zu (re)konstruieren. Zu hoffen ist, dass die Dame in ihrem Beruf erfolgreich und zufrieden war und ist und nicht das Schicksal jener einst so gehypten Profiler hat, die mittlerweile als großmäulige Geschichtenerzähler dastehen, ohne Effekt für die Ermittlungen oder gar die Tätersuche.
Dennoch ist es ein Wunder also, wenn nicht noch mehr Geisteswissenschaftler die Krimiszene bevölkern. Der Grund, warum die meisten Privatermittler immer noch Ex-Bullen sind, ist wohl vor allem darin zu sehen, dass das Genre arg langsam nur Innovationen zu akzeptieren bereit ist. Vielleicht sind Literaturwissenschaftler, die sich leider allzuoft allzu kompliziert und verstiegen ausdrücken und mit gutem Grund als ein wenig weltfremd gelten, aber auch als Krimiprotagonisten nur ziemlich unsexy.
Aber immerhin gibt es bereits ein paar Krimis, vor allem aus den USA, die in Literaten- und Akademikerkreisen spielen. Eine Krimiautorin hat sogar einmal eine forensische Linguistik gefordert. Nur Literaturwissenschaftler als Ermittler, die gabs nicht so häufig
Louise Welsh hat sich nun einen solchen Ärmelschoner zum Helden genommen und führt ihn von der literaturwissenschaftlichen auf die kriminaltechnischen Recherchewege.
Murray Watson ist ein einigermaßen hoffnungsloser Anglist aus Glasgow, dessen Karriere einigermaßen stagniert. Er unterhält ein Verhältnis mit der Frau seines Dekans (besser sie mit ihm), überwirft sich mit seinem Künstlerbruder und setzt sich auf die Spur eines lange verstorbenen Lyrikers, der in den ebenso lange vergangenen Siebzigern einen schmalen Band herausgebracht haben.
Das Projekt, für das er sich ein Jahr lang hat freistellen lassen (Forschungssemester nennt man das in Deutschland), hat ein bisschen Alibicharakter, zumal er nach einer ersten Sichtung des Nachlasses wenig bis gar nichts in der Hand hat. Auch seine ersten Recherchen führen nicht weit. Die paar Leute, die sich an den Archie Lunan erinnern können, wissen nur die üblichen rauen Geschichten über die damaligen Jahre zu erzählen. Der Dichter nun ist eben ein Dichter und dichtet nicht nur, sondern lässt an Drogen und anderen Vergnügen nichts aus, damit dann auch jeder weiß, dass man es hier mit einem Künstler zu tun hat. Auch das kreative Leben hat ein paar Rollenvorgaben zu erfüllen.
Watson (schon dieser Name) beißt sich dennoch an seinem Projekt fest, er reist dem Dichter auf die Insel nach, auf der er die letzte Zeit seines Lebens verbracht hat, ihm gelingt es sogar mit der letzten Lebensgefährtin Lunans zu sprechen, und selbstverständlich stößt er bei seiner Suche irgendwann auf jenen Sumpf aus Geheimnissen, Lügen, Sex und Tod, mit dem einen der Klappentext zu ködern versucht.
Das Ganze füllt über 400 großvolumige Seiten und plaudert sich fort und fort. Das Wetter auf der Insel ist rau, die Gewohnheiten der Bewohner auch, außerdem gibt es sogenannte Karsttrichter, die den einen oder anderen auch schon mal verschlingen können (geht ganz schnell, weg isser, der Dekan), und abgerundet wird das mit Sätzen wie dem, dass der Mann, für den er sich gehalten hatte, sich verändert habe, seitdem er Archie (dem Dichter) auf der Spur war. Romane, in denen so etwas steht, gehören nicht geschrieben und eigentlich auch nicht gelesen, es sei denn, man steht auf Küchenpsychologie. Aber wenn, dann ist eben auch alles erlaubt.
Fixpoetry 2011
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben