Gedichte & Brötchen
Es gibt keine Entschuldigung dafür, Lütfiye Güzel nicht zu lesen. Das gilt für ihr jüngst erschienenes fünftes Buch „hey. anti-roman“ mehr noch als für die Vorgänger. Lütfiye Güzel will nicht Underground sein, sie ist Underground, und ihre rotzigen, tieftraurigen Verse sind so echt wie sonst nichts in der derzeitigen deutschsprachigen Lyrik. Solange Lütfiye Güzel keinen der renommierten Literaturpreise erhält, fällt es schwer, den Betrieb noch ernstzunehmen – aber das fällt es ja ohnehin.
Die einen debattieren in den Feuilletons der großen Zeitungen darüber, wie langweilig und saftlos die deutsche Literatur ist, während Güzel ein literarisches Kraftpaket nach dem anderen abliefert. Autoren und Autorinnen wie sie wurden vom Betrieb schon immer gern übersehen. Sie passt nicht ins Bild von gefälligen Wasserglaslesungen und Preisverleihungen, bei denen kaum einer im Publikum je einen Blick in die Bücher der prämierten Autoren geworfen hat – und es auch am Ende des Abends nicht tun wird. Sie sagt ihrem Publikum: Wer sich langweilt und gehen will, der soll gehen, anstatt zu bleiben, aus Angst, die anderen könnten was Blödes über ihn denken. Aber niemand langweilt sich. Niemand geht. Stattdessen gibt es Applaus nach jedem zweiten Text.
Erschienen die ersten drei Bände noch in der Duisburger Edition Dialog, macht Güzel nun alles selbst. Schon „Pinky Helsinki“ (2014) lief unter ihrem eigenen Label Go-Güzel-Publishing. „Ich hab keinen Bock mehr auf Verlage“, sagt sie auf Nachfrage. Sie ist vielleicht die einzige, bei der so ein Satz nicht aufgesetzt klingt. Sie meint es ernst. Es gibt in „hey.“ eine Stelle über all die Leute, die Gedichte und Romane schreiben, aber dabei nicht bluten. Lütfiye Güzel blutet mit jedem Vers. Wer jetzt Angst hat vor autobiografischer Innerlichkeit – keine Sorge. Güzel versteht es meisterhaft, aus Biografie Literatur zu machen, und sie zögert auch nicht, sich selbst und anderen dabei auf die Füße zu treten. Ihre Texte tun weh, und das macht sie so gut.
„Herzterroristin“, „Let’s Go Güzel“, „Trist Olé“, das waren klassische Sammlungen von Gedichten und auch Kürzestprosa. „hey.“ ist ein Langgedicht, das eine Geschichte erzählt von Einsamkeit, Armut, Ruhrpott-Tristesse, von einem kaputten Land und von kaputtem Leben, von sich selbst: dem Leben, das zu Literatur wird und umgekehrt. Szenen in U-Bahnen und Krankenhäusern, tristen Hausfassaden, Fenstern, die ins Nirgendwo zeigen und den Träumen dahinter, darunter, darüber.
„auch meine mutter kann die menschen schonungslos / mit nur einem einzigen satz in ihrem kern / zusammenfassen / vielleicht gibt es keine masken / hinter die man blicken muss / keine tiefen / einfach nichts dahinter / vielleicht ist der mensch genau das was man in den / ersten sekunden in ihm sieht / die umwege könnte man sich sparen / auch bei sich selbst“
Güzel schreibt von einer Welt, die so schrecklich ist, weil die Normalität regieren will, während Verrückte das Sagen haben – Verrückte nicht im positiven Sinne. Sie schält die Tapeten ab und legt das Absurde offen und sucht dabei nicht das große Ganze. Das ganz ganz Kleine genügt ihr, um ein Bild zu zeichnen, das uns alle erschüttern würde, wenn es unsere Masken nicht gäbe. Sei es die Bäcker-Maske oder die Dichter-Maske. Alles dasselbe.
„du backst hundert brötchen und ich schreibe / hundert gedichte / das ist alles“
Fixpoetry 2015
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