Die Ästhetik der Belanglosigkeit durchkonjugiert
Kleine Prosa muss nicht gleich schlecht sein, logisch. Im Gegenteil: die Verdichtung, die ein Text erfährt, dessen Zeichenkosmos sich auf einen ganz kleinen Raum beschränkt, ist eine hohe Kunst - und birgt eine Gefahr. Im Gegensatz zu einem langen Prosatext, ist hier nicht viel Platz für Erklärungen. Stimmung und Bildern müssen evoziert sein, noch bevor das Weiß der Seite mit dem Auge erreicht ist. Ein Meister dieser Kunst war der japanische Schriftsteller und Nobelpreisträger Yasunari Kawabata. Kawabata schrieb Zeit seines schriftstellerischen Lebens sogenannte „Handtellergeschichten“ (jap. 掌篇小説, shōhen shōsetsu), deren Name daher rührte, dass sie tatsächlich nicht mehr als die Länge eines Handtellers hatten. Verdichtete Prosa hat weder viel Platz noch Zeit sich zu entfalten: sie darf daher, wie das Lyrische, mit Assoziationen spielen und gerade aus ihrer Kürze entsteht eine Fläche für Projektionen, die nicht größer als ein Handteller sein muss. Solche Texte können große Intensität besitzen. Sie sind Experimente, die wenn falsch angeordnet, schiefgehen und dann bleibt der hermeneutische Horizont unberührt und man steht als Leser mit leeren Händen da.
Die Kunst der kleinen Prosa bleibt eine Kunst, die zu meistern Marie T. Martin leider nicht geschafft hat. Ihr Band „Woher nehmen Sie die Frechheit meine Handtasche zu öffnen?“ ist so banal wie die begleitenden Zeichnungen und die der Titel. Hier ist bereits angelegt, was die Texte, die in Kapiteln wie Zyklen angeordnet sind, zusammenhält: die Banalität der Gegenstände, denen mit einer ebenso banalen Sprache aufgelauert wird. Voll von Gewöhnlichkeit steckt diese kleine Prosa, sodass sich weite Teile lesen, wie ein Lehrstück darin, wie man kleine Texte eben nicht schreibt. Martins Prosa lebt von einer Abwesenheit des Dramatischen, ist nahezu pedantisch und manchmal liegt gerade darin ihr Witz. Sie befühlt die Welt, ohne sie zu fühlen. Martins Experiment scheitert und so bleiben die Texte nicht mehr als ein Blick auf den Alltag, ohne Brille, ohne Details, ohne Schärfe und letztlich auch ohne Würze.
Die Banalität der Texte entlarvt sich dann, wenn sie ihr zu entflüchten suchen. Etwas magischen Realismus versucht Martin einzustreuen, wenn etwa ein Fallschirmjäger im Garten landet. Ihre Naturbeobachtungen sollen wohl durchdacht klingen und die Welt wieder verzaubern, ein romantischer Anspruch, der, das ist wohl auch romantisch, horrend scheitert. Die kleinen Narrative versuchen sich dann an der Manipulation der Vorstellungskraft, verharren dabei aber auf einem Niveau, das die Impulsschwelle einfach nicht überschreitet. Es zündet nicht, was hier steht. Es stimuliert leider auch nicht. Die Banalität des Alltags als Banalität zu präsentieren, würde zum Stilmittel gereichen, wenn da nicht das notorische Verklausulieren im Weg stehen würde. Statt die Sprache aufzubrechen, nimmt Martin die Haltung einer kecken Erzählerin ein, die sich selbst keck findet und damit schon verloren hat:
„In der Vorweihnachtszeit kämpfte ich gegen den Wunsch einen Tannenbaum in der Wohnung aufzustellen. Ich saß am Schreibtisch und sah Akten durch, ich wischte die Wohnung, verbannte Rot- und Grüntöne, und manchmal hielt ich meine Finger in die Flamme einer Kerze, die ich beim Bäcker geschenkt bekommen hatte.“
Der Text „Advent“ sei zitiert, stellvertretend für das Vorgehen der Autorin. Sie gibt den Texten einen Zeichenkosmos auf den Weg, der sich nicht entfaltet, weil er nicht dicht genug ist. Sie steckt einen semantischen Rahmen ab, den sie allzu erwartbar ausfüllt. Wenn sie dann im titelgebenden Text fragt, warum jemand ihre Handtasche öffnet, dann ergeht sie sich in Befindlichkeitsbeschreibungen und konstruiert eine Perspektive, die derart pedantisch ist, dass sie in etwa so nervt, wie das Räuspern einer spießigen Person in der U-Bahn, wenn sich jemand ein Bier aufmacht. Es geht tatsächlich viel um Inneres und vielleicht liegt darin ein Teil des Problems: würden die Texte wenigstens Jammern, wäre hier wenigstens Leidenschaft zu spüren, könnte man Empathie entwickeln. Aber der kalte Blick auf die Welt lässt leider kalt. Wenig kreativ geht es auch zu, wenn in „Eintritt“ eine Videoinstallation beschrieben wird, die die Erzählerin mit einem Freund betritt. Diese Installation zeigt zunächst nichts und endet mit der Pointe, dass sie den Weg der Erzählerin und ihrer Begleitung in die Installation zeigt: in Großformat. Die trockene Pointe dieses Textes, der sich als tief generiert, aber leider nur an einer sprachlichen und philosophischen Oberfläche kratzt, steht symptomatisch für das, woran Martins Schreiben im vorliegenden Band krankt: der Fähigkeit die Dinge zu durchdringen.
Lediglich einer der Zyklen will überzeugen: schon der Titel „Textile Genealogie“ macht neugierig. Hier wird die Familiengeschichte durch das 20. Jahrhundert hindurch durch die Perspektiven verschiedener Familienmitglieder erzählt. Hier entfaltet das Trockene eine Schönheit, die ihm sonst fehlt und wird Martins prosaische Welt zu kleiner Prosa, die verzückt.
Und die Illustrationen? Stehen in ihrer Belanglosigkeit den Texten leider in nichts nach. Der Stil erinnert an Kinderbücher und wäre da viel besser aufgehoben. Jetzt sind die Bilder zwar nur begleitend und wenn die Texte schon wenig inspirierend sind, so holt Ulrike Steinke mit ihren Bildern doch noch einen Rest an Witz in die Situation. Leider ein trockener Witz.
Jetzt ist der eingangs erwähnt Kawabata eine hoch angesetzte Latte und soll nicht verwirren. Es muss nicht immer nobelpreisverdächtige Literatur sein, aber wenn sich jemand auf das Gebiet der kleinen Prosa begibt, dann sollte zumindest so viel Übung und Können in den Texten stecken, dass die kleinen Experimente aufgehen. Leider sind die vorliegenden Versuche nicht mehr als eben das, bloße Versuche, die uninspiriert und banal keinen Preis gewinnen. Muss man das Schade finden? Wohl eher nicht. Kleine Prosa ist ein verdammt schwieriges Genre, das zu beherrschen eine ästhetische Agenda benötigt, die hier nur als Stilfigur, aber nicht umgesetzt, zu finden ist.
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