Wiederbelebung des Authentischen
Marius Hulpe, 1981 in Westfalen geborener Lyriker, legt mit Wiederbelebung der Lämmer seinen ersten Gedichtband vor. Was fasziniert? Zum einen ist es der Wille zum Konkreten, zum Statement, zum Politischen. Hier versteckt sich niemand hinter polierten Allegorien, weit entfernt jeder political correctness wird über die eigene Zahnbürste sinniert, die eigenen vier Borsten betrachtend „müsste ich daran denken, dass andere sie besser / gebrauchen könnten als ich, aber der tag ist zu kurz, zu nehmen, was nicht fehlt“. Also die „tube auf“ und mal ein „weltlicher streifen“ auf das gute Stück. Hulpe gibt nicht vor, mit seinen Gedichten Himmel und Hölle in Bewegung setzen zu wollen, hier werden keine Danteschen Höllen vermessen, konkrete Alltagsschau schafft Intimität, atmet Authentizität. Nach dem Frühstück im aufstrebenden Neuköllner Stadtteil geht es zum Spaziergang in den Park, auf Beobachtungsposten der artist as a young man: „ein KLEINER SPAZIERGANG durch den park eine frau / filmt die familie ihres sohnes […] wie niedlich soll mal eines tages / einer sagen der davorsitzt vor irgendeiner / zukünftigen glotze mit einem die mutter / stolz machenden überwältigten ausdruck.“
Ein zynischer Kommentar zur Nichtigkeit aller Familienalben, den verzweifelten Archivierungsversuchen, die doch früher oder später auf einem Dachboden verstauben, in Brockensammlungen, auf Flohmärkten verhökert werden. Und doch das immer Gleiche, die nicht austauschbaren, unvergänglichen (?) Momente im Park, stolze Väter, Mütter und Großeltern, heute freilich mit Digitalkamera bewaffnet. Bei allem Neukölln spricht hier auch der lakonische Westfale, kein Wort zu viel gesetzt, kein rheinisches Geplauder, auch die Reise nach „nordböhmen“ findet ihren präzisen Niederschlag in einem knappen Landschaftsbild: „metallene ballons ragen / mit hilfe von stahlseilen / als einfarbige lollis / aus der erdwärme: // wasser setzt hier trends, / genau wie rostfarben. / oder flusswerften: / der spargel // ist immer äußerst frisch / trotz der ihm nachempfundenen schornsteine.“ Bescheidene Kleinschreibung korrespondiert mit aufschreckenden Bildern, z. B. ein irritierender „lolli“, an dem das innere Auge festhängt, daran zappelt wie ein in den Tannen verhakter Ballon, ein Farbklecks in der grauen Landschaft, abgestorbene Industrie. Wut und Mut atmen diese Gedichte, so auch im titelgebenden „wiederbelebung der lämmer“ (vgl. die verteidigung der wölfe von Enzensberger). Rhetorische Frage: „ganz ehrlich, habt ihr ihn jemals in verlegenheit gebracht, den wolf? […] was rüttelt euch aus eurem scheintod? die bombe? früh genug wird sie kommen, unverhofft, wenn ihr am frühstückstisch sitzt.“ Man wünscht sich mehr von dieser fein sublimierten Aggression, mehr von diesen direkten, unverstellten Versen aus dem Leben eines Marius Hulpe und darüber hinaus.
Schimmerndes Weltgerüst
Ein ebenfalls im Zürcher Ammann Verlag erschienener Gedichtband macht neugierig auf einen weiteren jungen Dichter: Jürg Halter, 1980 in Bern geboren. Auch seine Gedichte bestechen durch Authentizität und Wortwitz. Zum Beispiel „trafen sich Suizid und Heldentod / in einer Konkurs gegangenen Bar / zum Gespräch über den Nutzen der Sehnsucht. // Noch hatte keiner der beiden das Wort ergriffen, / da löste sich von der Decke der Kronleuchter. / Begrub die zwei Tunichtgute unter sich.“ Halter hat seine eigene Sprache, zuweilen wirkt der Duktus einer anderen Zeit entsprungen, eine angenehm antiquierte Fabelsprache trifft auf die Banalitäten der Jetztzeit. Ein Denkmal tritt abends müde von seinem Marmorsockel ab („Rücktritt eines Denkmals“), alles wächserne Pathos wird sogleich eliminiert. Selbstironie und Melancholie sind der rote Faden. Halter brilliert zudem durch seinen Sprachrhythmus. Er ist auch Musiker, als Kutti MC rappt er erfolgreich auf Berndütsch (hierzu wunderbare Videos auf Myspace!). So erinnern nicht wenige Gedichte an Songtexte, wie in „Die Liebe gehört niemandem“: „Sag nicht, daß du an mich denkst, indem du mich vergißt. / Sag nicht, du seist da für mich, indem du es nicht bist. / Sag jetzt nichts. / Du trägst ein Gesicht, um es zu verlieren. / Was weiß ich.“ Stefan Eicher, Rio Reiser oder Dirk von Lowtzow („Weil du mich verstehst …“) mögen hier Pate gestanden haben.
In einer somnambulen Nacht wandern Nachtgestalten am Tresen auf und ab, „Zwischen Ein- und Ausatmen / kann sich ein Leben ändern. // Wer geht da auf dem Balkongeländer / schlafend hin und her?“ Klare, überzeugende Bilder, auch in Bern werden keine Wörter verschenkt, geht es um eine hochkonzise Verdichtung sprachlicher Räume.
Insgesamt zwei starke Bände, individuelle Stimmen, keine selbstreflexive Kokonlyrik, kein Rückzug in die Landschaft, sondern der Versuch sich im Alltäglichen zu verorten. Und dennoch: Gerade hinter der Alltäglichkeit schimmert das Weltgerüst, schimmern die großen Fragen hindurch. Serviert werden sie uns in einer luftigen, wenig erdrückenden, ja verspielten Art und Weise. Nicht zufällig sind beide Lyriker auch in zwei soeben erschienenen wichtigen Anthologien vertreten, so in Lyrik von Jetzt. Zwei und im von Ron Winkler herausgegebenen Neubuch.
Lesen!
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