Dabeisein im Hurentaxi
Zuerst hat er dann und wann ihre Dienste in Anspruch genommen, wenn es Probleme mit der Freundin gab, wenn er einsam war, daheim oder auf Tournee. Dann wurde Martin Auer Fahrer für die größte Wiener Agentur, fuhr die Mädchen zu ihren Jobs, vom Nobelhotel bis zur Arbeiterwohnung im Plattenbau. Darunter nette Kerle ebenso wie Widerlinge.
Daraus wurde schließlich ein Buch, denn der Fahrer Martin notierte, was er täglich erlebt hatte. Martin Auer erzählt minutiös von den Problemen und dem Leben der Mädchen. Die meisten sprechen nicht Deutsch, manche ein wenig Englisch. Jedoch Martin beherrscht genügend Polnisch, um sich zu unterhalten. Ein Vorteil, über den andere Fahrer nicht verfügen. Selbstverständlich spielt der Dialekt in diesem Metier eine wesentliche Rolle.
Die Mädchen stammen aus Polen, Rumänien, Ungarn und der Slowakei. Sie sind alle sehr jung und hoffen, den Job nur kurze Zeit zu machen, um sich dann daheim eine Wohnung oder gleich jetzt einen gewissen Luxus leisten zu können, darunter Ex-Lehrerinnen oder Mädchen, die studieren wollen. Manche stammen aus desolaten Verhältnissen und trachten danach, ein besseres Leben zu erlangen. Mit 50 Euro Monatsgehalt in Rumänien ist daran nicht zu denken.
Martin Auer hilft den Mädchen, eine begleitet er zur Abtreibung, hilft ihnen, Geld nach Hause zu überweisen, treibt sogar das Honorar ein von einem Kunden, der sich weigert zu bezahlen. Er hat sich vorgenommen, nur aufzuschreiben, was geschehen ist, nichts zu erklären oder zu interpretieren. „Teilnehmende Beobachtung“ nennt er dies. Als Fahrer ist es ihm verboten, mit einem der Mädchen ein Verhältnis zu beginnen, dennoch entwickeln sich menschliche Beziehungen.
Insbesondere zu Gosia. Als sie verhaftet wird, gibt er sie als seine Freundin aus, und sie zieht bei ihm ein. Obwohl einst ihr Kunde gewesen, schläft sie im Wohnzimmer auf der Couch. Er hilft ihr dabei, ihren in Frankreich adoptierten Bruder zu finden und reist mit ihr nach Polen. Dieser Reisebericht ist der Höhepunkt des Buches sowie der CD, ein sowohl literarisches als auch menschliches Dokument.
Viele der Wunschträume sind dahingebröselt, wenige der Hoffnungen gingen in Erfüllung. Exakte Beobachtungen sowie poetische Beschreibungen machen die Faszination des Textes aus. Nach der Lektüre des Buches – oder vier Stunden zuhören, wobei auf der CD manches gestrafft wurde – eröffnet sich dem Leser bzw. Hörer, der Leserin bzw. Hörerin, eine real existierende Welt, die vielen bislang weder vertraut noch zugänglich war.
Fazit: Martin Auer interpretiert beeindruckende Erfahrungen als Hurentaxi-Fahrer
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