Der zukünftige Held wird einfach Mensch sein
Das Buch Helden und Legenden oder: Ob sie uns heute noch etwas zu sagen haben hat der Wallstein Verlag herausgegeben mit Blick auf den „Kultursommer Rheinland-Pfalz“. Es versammelt - manchmal um bereichernde Illustrationen ergänzt - auf 247 Seiten 30 Essays von Autorinnen und Autoren aus Literatur, Kunst, Wissenschaft, Religion und Politik des deutschsprachigen Raums. Eine größere Zahl von Autorinnen und Autoren aus dem philosophisch-theologischen Bereich hat einen Bezug zum Bistum Limburg, so einer der beiden Herausgeber – neben Holger Zaborowski - , Martin W. Ramb nämlich, dort im Bischöflichen Ordinariat als Leiter der Abteilung “Religionspädagogik“ tätig.
Welcher Leser könnte die Thematik des Buches als abseitig einschätzen, wer würde Sinn- und Orientierungssuche unserer Tage nicht gleich als zentral mitempfinden?
Wie aber werden die Herausgeber versuchen, die Thematik frisch und schillernd genug aufzubereiten? Antwort: Indem sie Autoren vielerlei Couleur mit ihrem überwiegend sehr konkreten Untersuchungsgegenstand aufeinanderfolgen lassen, so die trockene Luft der Akademie meist glücklich verscheuchend.
Auf geht’s mit Patrick Roth, dem freien Autor, der – so gleich zwei Helden präsentierend – seinen jugendlich kurzentschlossenen, deshalb auch erfolgreichen Zutrittsversuch zur Garderobe des gänzlich unhinterfragten Idols Henry Fonda 1980 schildert. Ein Foto seiner Frau bezeugt die glückseligen Augen des jungen Autors.
Schon im zweiten Beitrag, Auszug aus dem dramatischen Kurzstück „Die Schwarze Halle“ von Lukas Bärfuss allerdings kommt die für das besprochene Buch programmatische scharfe Wende: Buchautor und Sektenführer Hot Berry, von einer Wirtschaftsjournalistin des Steuerbetrugs angeklagt, bestreitet nicht nur seine Schuld sondern auch die Steuerpflicht als solche, denn: „Ich gebe nicht, ich nehme nur.“ Ist also das heldenhaft gehandelt?
Weitere prominente literarische Stimme in diesem Buch ist Sibylle Lewitscharoff mit ihrem kurzen Essay in frech-frischer Diktion „Über Helden und eine große Figur, die kein Held ist“. Sich der antiken Mythologie bzw. der Religionsgeschichte zuwendend, dokumentiert sie ihre Faszination für einen bestimmten Helden, dabei bezeichnend-modern: dessen Größe im Scheitern: „Hektor ist edel, ein Held, der seinen Untergang voraussieht und sich diesem mit Sammlung aller Manneskraft stellt.“
Jesus Christus aber ist für Lewitscharoff „der größte Anti-Held der Geschichte.“, ist „Mittler für die eigentlich Schicksalslosen, fast Namenlosen, der armen Hefe der Gesellschaft“, denn „er hat mit seinem gemarterten Leib für sie gebürgt und auf sie gewiesen.“
Neben der Gestalt des Jesus und seiner Kreuzigung ist innerhalb des reich vertretenen religiösen Kontextes Maria und ihre Strahlkraft Thema in diesem Sammelband. Hermann Kurzke stärkt in dem Kontext die Position der Mythen allgemein - “Auch Mythen sind etwas Starkes, nicht nur Wirklichkeiten.“; oder mit interessantem linguistischem Fokus: „Legenden - oder zutreffender: Mythenbildung hat immer einen Grund. Auch die Mytho-logik [sic] ist ja eine Logik.“ –, um dann hinsichtlich Maria zu konkretisieren: „In der mythischen Welt der Marienlieder … ist sie eine universale Überfrau. … Sie ist unsere Helferin nicht nur im Leben, sondern auch im Sterben.“
Für den Bereich der Christusnachfolge lesen wir mit Interesse Jens Zimmermanns Aufsatz „Bonhoeffer: Held des Glaubens?“, in welchem der Autor seine Sympathie für Bonhoeffers gleichsam strikt personalisierten Ansatz verdeutlicht, dessen Versuch nämlich, „nicht Prinzipien, sondern Christus zu folgen.“, denn so Zimmermann:
„Wir brauchen keine Glaubenshelden, die einen Götterhammer schwingend und einem fixen Ideal folgend, große Taten vollbringen. Was geht da nicht alles kaputt? Die Idee ist stark und fordert Fanatiker; Gottes Wort ist schwach und verlangt Mitleiden, bemerkte Bonhoeffer dazu. Nein, besser sind gewöhnliche Helden, die wie Bonhoeffer einmal sagte, nicht Gottes Reich auf Erden verwirklichen wollen, sondern immer nur den nächsten Schritt in Nachfolge des Gottes tun, der Mensch wurde, damit auch wir nach seinem Bilde wahre Menschen werden.“
Mit Karl Marx und seiner möglichen Strahlkraft auf die Gegenwart wählt die Historikerin Anja Kruke einen landläufig als zu Vorangehendem gänzlich konträr, scheinbar religionsfernen Gegenstand, der sie hinsichtlich unserer Tage auch zu der weiterführenden Einschätzung führt: „Für den politischen Bereich scheinen Helden – mit Ausnahme von Edward Snowden - ausgedient zu haben, zugleich werden eher ‚gebrochene‘ Heldenfiguren geschätzt und verehrt wie Willy Brandt. … Heute sind Alltagshelden gefragt, in der Populärkultur finden Helden wie der iron man mit ironischer Wende großen Anklang, historisch werden ‚stille Helden‘ (Helferinnen und Helfer der im nationalsozialistischen Europa verfolgten Juden) jetzt medial sichtbar herausgearbeitet.“
Die Triebkräfte des Mauerfalls beleuchtet Jens Reich unter programmatischer Überschrift „Menschen haben gehandelt: Kein Determinismus des geschichtlichen Ablaufs“. Als Vorbedingung für die Wende nennt Reich die seinerzeit kontinuierlich abgebaute Angst der Ostblockbewohner. Als bloße „Erzählungen“ bezeichnet er die Lesart, „den Epochenwechsel auf das persönliche Wirken von Menschen wie Michail Gorbatschow, Helmut Kohl, Georg Bush, Hans-Dietrich Genscher und einigen weiteren Akteuren zurückzuführen“; vielmehr waren nach Reich entscheidend „der ‚mainstream‘ der Bevölkerung …, die ‚einfachen‘ Menschen in den Ländern östlich des Eisernen Vorhanges, die das Ganze handelnd, nach langem Zögern endlich handelnd, in Gang gesetzt haben.“
Bevor Holger Zaborowski den Schlusspunkt setzt mit seinem Aufsatz „Von der Zukunft der Helden“ hat uns das Buch innerhalb der Heldenthematik auch schon meist bedenkenswerte Darlegungen geboten (gleichwohl will vielleicht nicht jedem die Aussage des Sportfunktionärs Zwanziger „Leistung und Charakter sind für mich die wesentlichen Merkmale, um den Titel ‚Helden‘ für jemanden zu verwenden.“ erhellend vorkommen) zu solch unterschiedlichen Gegenständen aus den Bereichen Kunst, Musik, Literatur, Film, Geschichte, Kirchengeschichte, Mythologie, Soziologie, Philosophie wie: Esel vs. Pferd in der Bibel, San Vincenzo Pallotti: Ein Porträt von Michael Triegel – verwendet auch für die ansprechende Gestaltung des Schutzumschlags -, Markus Lüpertz‘ Kirchenfenster, Richard Wagner (zweifach), der Dichter und Übersetzer Henryk Bereska, Camus‘ Essay „Der Mythos des Sisyphos“, Willy Brandt aus der Sicht von Brigitte Seebacher, Trümmerfrauen, -männer , Heldenverehrung im Film, Das Nano-Ego des postmodernen Helden usw.; Holger Zaborowski also fasst abschließend einige Positionen zusammen, die bei nicht wenigen der AutorInnen in diesem Sammelband auftreten, nämlich dass uns Heutigen viele der Helden der Geschichte „fremd geworden“ sind. Einen interessanten geschlechtsbezogenen Aspekt bietend, fährt er fort: „Nur wenige Frauen würden sich in dieses historische Symposium verirren. Das Heldenhafte stehe ihnen nicht … Für sie sei (Man)n Held. Doch … sie seien anders heldenhaft.“ Zunehmende Religionsferne wohl spiele der Heldenabkehr in die Karten: „Wo Götter sterben, nehmen Menschen … ihre Stellung ein. Helden, die ein anderes Leben kennen könnten, stören da nur noch. Was also bleibt und sich in ihrem langsam verblassenden Scheine sonnt, sind die Stars und Sternchen, die Eintagsfliegen gleich sich ins Scheinwerferlicht drängen, sind Dschungelkönige und Superstars, sind Mädchenschwärme und Altherrenphantasien.“ Aber auch der Anti-Held, noch scheinbar sehr lebendig, werde das Schicksal des Helden ereilen, denn „ohne heldenhafte Tragödien gibt es auch keine Komödie mehr, sondern nur noch albernen Schalk.“
Doch Zaborowski will gleichwohl den Begriff „Held“ nicht einmotten, spricht dann doch von einem „zukünftigen Helden“; den mag auszeichnen „der ganz einfache Mut …, ein Selbst, ein Mensch zu sein.“; es wären „Helden des Gewöhnlichen, der überzeugten Tat, aber auch des beherzten Sein-Lassens. Sie verdichten in ihrer Existenz eigentliche Menschlichkeit.“
Mit Helden und Legenden oder Ob sie uns heute noch etwas zu sagen haben hat der Wallstein-Verlag einen ergiebigen Sammelband herausgegeben, der zwischen den Polen Künste, Religion und Wissenschaft einen zunehmend wichtigen Gegenstand in perspektivreicher Weise beleuchtet.
Anmerkung der Redaktion: Mit Beiträgen von Lukas Bärfuss, Thomas Brose, Christopher Paul Campbell, Alfred Denker, Josef Früchtl, Jürgen Hardeck, Stephan Grätzel, Michael Hochschild, Joachim Hofmann-Göttig, Alexander Holzbach, Anja Kruke, Hermann Kurzke, Sibylle Lewitscharoff, Markus Lüpertz, Olaf Mückain, Eckhard Nordhofen, Jens Reich, Patrick Roth, Brigitte Seebacher, Peter Steinacker, Andreas Tacke, Martin W. Ramb, Abt Andreas Range, Marie-Luise Reis, Holger Zaborowski, Henrike Maria Zilling, Jens Zimmermann, Theo Zwanziger. (Quelle: Wallstein Verlag)
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